Es handelte sich um ein nach innen gewölbtes Oval, das leicht ausgefranst war an den Rändern. Wenn man es flach hielt, so war es grau. Die blaue Färbung trat erst dann auf, wenn die Schuppe gegen das Licht gehalten wurde, das dann zu einem schimmernden Regenbogen brach, der über die eingekerbte Oberfläche tanzte. Auf der einen Seite der Schuppe war ein Auge eingraviert, umgeben von etwas, das wie Wolken aussah. Der Zirkusdirektor drehte sie sorgfältig in der Hand und bemerkte, dass die andere Seite – die konvex gewölbte – eine ähnliche Einritzung trug; doch das Auge auf dieser Seite wurde zum Teil von den Wolken bedeckt.
Er schaute wieder die zitternde Kreatur an, die in den Armen der Aufseher gefangen war und noch immer vor Wut heulte. Schwarzes Blut tropfte aus den Hautfalten des Bauches und trübte das Wasser.
»Ist das nicht hübsch?«, meinte er, hielt die Schuppe hoch und verspottete Faron. »Wenigstens weiß ich jetzt, wie ich dich dazu bringe, deine Vorstellung abzugeben, Fischjunge.« Er nickte den Aufsehern zu. »Lasst ihn los.«
Die Handlanger gehorchten, und Faron glitt zurück in den nur noch halb vollen Tank. Sie marschierten aus dem Wagen, gefolgt von dem durchnässten Zirkusdirektor.
Faron heulte immer noch. Manchmal klang es wütend, manchmal erbärmlich. Endlich kam Entenfuß-Emmi wieder zu sich. Sie presste die Hand gegen ihre misshandelte Stirn, kroch in ihren nassen, raschelnden Kleidern an Farons Seite und flüsterte Worte des Trostes und der Beruhigung, bis das Geschöpf nur noch gelegentliche Schluchzer von sich gab.
»Mein Liebchen, gräm dich nich. So is das Leben, furcht ich.« Sie streichelte mit ihren Knöcheln sanft den weichen Kopf. »So is das Zirkusleben.«
14
Achmed hatte schon seit über einer Stunde über dem staubigen Buch gebrütet, als der Botenvogel eintraf. Grunthor hatte sich in der letzten Zeit angewöhnt, im Sitzen oder Stehen still über die Feldkarten und Berichte nachzusinnen, die von dem Klan der Augen in den Außenposten hereinkamen. Die fernen Wachttürme Ylorcs lagen hinter der Heide und den blauen Wäldern des zentralen Königreiches, tief in den Klüften der Zahnfelsen. Die Krankheit hatte sich unter den Klanen der Klaue und der Eingeweide ausgebreitet, aber die Augen waren offenbar nicht beeinträchtigt. Daher kamen inzwischen die meisten Informationen von ihren Anführern, die nun, da keine Konkurrenten mehr da waren, seine Gunst erringen wollten. Die Nachrichten, die sie schickten, wurden jedoch immer verwirrender.
Die aus dem Berg gehauenen Steinwände, die den Hauptversammlungsraum des Kessels umfassten, waren von Schatten aus dem großen Kaminfeuer durchzogen, das still in der Ecke brannte; ein gelegentliches Knistern und Knacken des Holzes waren die einzigen Geräusche.
Als der Bote aus dem Vogelhaus die Tür öffnete, hallten das Geräusch der Angeln und das Winseln des Holzes durch die Stille. Grunthor schaute auf und bemerkte, dass sich die Haare an den sehnigen Armen des Bolg-Königs aufgerichtet hatten.
Der Soldat hüstelte höflich; es war ein Laut, den ein Mensch als Grunzen ansehen würde. Achmed winkte ihn ungeduldig herbei.
Lange starrte er auf die Botschaft, die ihm der Bote übergab, dann setzte er sich auf seinem schweren hölzernen Stuhl zurück und legte die Hand auf die dünnen Lippen, wie er es immer tat, wenn er angestrengt nachdachte. Schließlich schaute er auf und warf dem Sergeant-Major einen scharfen Blick zu.
»Ich muss in ein paar Wochen wieder aufbrechen«, sagte er zu Grunthor.
»Bist doch grade erst zurückgekommen«, meinte der Sergeant mürrisch. »Was ist denn jetzt wieder los?«
»Ich muss zum Karneval gehen.«
»Na ja, wenn’s so ist, wünsch ich dir viel Spaß«, erwiderte Grunthor sarkastisch. »Bring mir ’n paar von diesen leckeren gezuckerten Mandeln mit, wenn’s welche gibt.«
Achmed warf die Botschaft ins Feuer und sah zu, wie sie verbrannte. Er liebte das Zischen von versengendem Papier. Schließlich sagte er:
»Rhapsody und ihr Tunichtgut von Mann haben sich entschieden, Stephens Sohn Gwydion den Titel eines Herzogs von Navarne zu verleihen. Obwohl ich es mir kaum vorstellen kann, das von einem Cymrer zu sagen, muss ich doch gestehen, dass ich den jungen Gwydion mag, so wie ich seinen Vater gemocht habe.«
»Ja, der alte Herzog Stephen war’n netter Kerl«, stimmte Grunthor zu; die Schroffheit in seiner Stimme verflüchtigte sich ein wenig. »Aber wenn ich was sagen darf: Du hast noch ’ne Menge anderer Sachen zu tun, wenn du weißt, was ich meine. Die Krankheit breitet sich aus, oder zumindest scheinen all die, die eine Berührung mit dem Glas des Lichtfängers überlebt haben, große Schmerzen zu haben. Dann das seltsame Gepolter in den Brustwehren und die Nachricht von den Augen, dass es in Sorbold ungewöhnlich ruhig ist. Irgendwas stimmt nicht, man spürt’s an der Luft. Wäre wohl gut, zu Hause zu bleiben.«
»Zweifellos«, pflichtete Achmed ihm bei. »Aber ich habe andere Gründe, dorthin zu gehen, als das Hofzeremoniell über mich ergehen zu lassen oder ein paar nette Tage mit wichtigtuerischen cymrischen Adligen zu verbringen.«
»Das würd ich nie bezweifeln«, meinte der Sergeant trocken. »Wir alle wissen, wie sehr du solche Feierlichkeiten liebst. Ich nehm an, dass du’s auch wegen der Herzogin tust.«
Der Bolg-König erhob sich und hockte sich vor den Kamin. Die pulsierende Wärme glitt über die empfindlichen Nerven auf seiner Haut. »Eigentlich gar nicht. Sie muss etwas für mich tun. Und sie schuldet mir etwas.« Er stand auf und kehrte zu seinem staubigen Buch zurück. »Außerdem möchte ich Gwydion Navarne etwas geben etwas, das ich bei Rhapsodys Rettung an mich genommen habe. Ich hatte es für mich beansprucht, obwohl Ashe schon entschieden hatte, dass Gwydion es bekommen soll. Ich will derjenige sein, der es ihm übergibt, damit es in der richtigen Weise eingesetzt wird. Das muss ich allen Beteiligten klar machen. Und ich will in meiner Abwesenheit die Archonten auf die Probe stellen. Sie haben ihren Auftrag erhalten und wissen nun, was ich von ihnen erwarte und was ihr Zweck ist. Ich werde kaum länger als zwei Wochen fort sein. Sicher kannst du die Dinge bis dahin ohne Zwischenfall am Laufen halten, Grunthor.«
Der riesige Sergeant antwortete nichts darauf, sondern starrte nur in die zuckenden Flammen und fragte sich, welches Grauen wohl diesmal heraufdämmerte.
Auf dem höchsten vereisten Gipfel klammerte sich die Drachin an die schneebedeckten Felsen und zitterte im Wind. Sie war durch das Tor des erfrorenen Palastes geglitten und in die Berge gestiegen, wobei sie auf dem ganzen Weg zum dunklen Gipfel gegen den Wind kämpfen musste.
Sie hatte sich um die Bergspitze gewickelt, ihren schlangenartigen Schwanz im Eis verankert, die Zähne gegen den Wind gebleckt und bemühte sich, die Augen zu öffnen. Der Sturm, der um den Gipfel tobte, peitschte sie und vergrub sich mit eisigen Fingern in ihren Lidern.
Verdammt, dachte die Bestie.
Sie spürte die Kälte nicht mehr so deutlich, denn in ihr hatte sich ein Feuer entzündet. Mit der Erinnerung an ihren Namen war eine brennende Kraft gekommen, die tief in ihren Eingeweiden glühte. Es war eine Quelle der Stärke und Energie, die durch ihren Beinahe-Tod und ihre Einkerkerung fast versiegt war. So lange sie nicht gewusst hatte, wie sie hieß, wie ihre Vergangenheit aussah und wie sie in ihren gegenwärtigen Zustand gekommen war, war sie schwach, gestört, ohnmächtig gewesen. Doch nun, da sie sich wenigstens an einen Teil ihrer Vergangenheit erinnerte, wollte sie unbedingt auch den Rest erfahren.
Und ihre Kraft wieder finden.
Sie stählte ihren Willen gegen den eisigen Wind und schrie mit aller Macht ihres Geistes in den kreischenden Sturm.
Anwyn Anwyn!
Aus dem Drachenschlund der Bestie kam kein Laut, da sie keinen normalen Kehlkopf hatte. Doch der Wille zu sprechen reichte. Um sie herum verdichtete sich die Luft und erzitterte. Sie beugte sich ihrem Befehl, wie sich alle Elemente des Ansinnen eines Drachen beugten.