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Anborn lächelte schwach. »Es ist eine Möglichkeit, die immer existiert, wenn der eine den anderen verlässt. Hast du nicht etwas Ähnliches gesagt?«

»Ja. Aber ich mag die Art nicht, wie es aus deinem Munde klingt. Als ich es gesagt habe, wollte ich den Leuten damit klar machen, wie sehr ich sie mag. So wie du es sagst, kommt es mir wie ein endgültiger Abschied vor.«

»Es ist keines von beiden. Ich möchte nur der einzigen lirinischen Benennerin, die ich kenne, eine geschichtliche Tatsache mitteilen, die ich nie zuvor jemandem verraten habe. Meine beiden Eltern waren selbstsüchtige, in die Irre geleitete Herrscher, die wegen einer unwesentlichen Meinungsverschiedenheit und ihrem eigenen Machthunger einen ganzen Kontinent in den Krieg geschickt und die Zivilisation zerstört haben, die ihr Volk aus dem Nichts errichtet hatte. Darin liegt etwas so Habsüchtiges und Selbstgefälliges, das man nur als zutiefst böse bezeichnen kann – bei beiden.«

Er beugte sich noch weiter vor, sodass seine sanften Worte deutlich zu hören waren.

»Es mag Leute geben, die meine Aussage als voreingenommen oder eigensüchtig bezeichnen, doch ich schwöre dir, Rhapsody, dass mein Vater Gwylliam ein Mann war, den seine Eigensucht böse gemacht hat, meine Mutter aber war von Anfang an durch und durch böse und übel wollend, und zwar auf eine viel tiefer gehende Weise. Falls Llauron aus dem Äther oder einem anderen Element, in dem er inzwischen lebt, hier erscheinen würde, wäre er vielleicht anderer Meinung, weil er immer Partei für sie ergriffen hat. Doch was mein Bruder auch sagen mag, ich kann dir aus persönlicher Anschauung berichten, dass meine Mutter das personifizierte Böse war. Sie war seelenlos; sie war mit der Fähigkeit geschlagen, immer nur in die Vergangenheit zu sehen und andauernd an all das Unrecht, die Hintergehungen und Kränkungen erinnert zu werden, die gute Männer und Frauen irgendwann hinter sich lassen und begraben, damit sie weiterleben und in die Zukunft sehen können. Vielleicht wird jemand, der ein solches Schicksal hat, einfach böse. Aber Anwyn zeigte eine Unbarmherzigkeit, die aus tieferen Ursachen herrührte. Niemand bezweifelt, dass sie es war, die dem Dämon, den du und deine Freunde besiegt haben, zu seiner Stärke verhalf und ihn Jahrhunderte lang vor der Welt verbarg, damit er seine zerstörerischen Pläne schmieden konnte. Aber ich weiß noch mehr – viel mehr. Und ich sage dir, dass meiner Erfahrung nach nichts dem Blick in die Gruft der Unterwelt näher kommt als ein Blick in die Augen meiner Mutter. Möge sie in dieser Gruft auf ewig verwesen.«

Er gab den Sänftenträgern ein Zeichen und wurde aus dem Zimmer getragen. Rhapsody schaute ihm in verblüfftem Schweigen hinterher.

25

Die Höhle im Verborgenen Meer — Gwynwald

Elynsynos’ Höhle war noch genau so, wie Rhapsody sie in Erinnerung behalten hatte.

Die Reise mit Ashe war viel einfacher als die erste gewesen, die sie gemeinsam zu diesem Ort unternommen hatten. Damals hatten sie einander noch nicht vertraut; das Land war erfüllt gewesen von verborgenem Bösen und hatte sich im Griff eines unsichtbaren F’dor befunden. Selbst Verbündete waren misstrauisch gegeneinander gewesen. Als sie nun verliebt und als zukünftige Eltern zu der verborgenen Höhle zurückkehrten, die bei einem Tal nahe einem kleinen Waldsee lag, erkannten der Herr und die Herrin der Cymrer, dass ihnen alle angenehmen Erinnerungen der ersten Reise im Gedächtnis geblieben waren, während Misstrauen und Bitterkeit verflogen waren.

Der See am Fuß des Berges war zugefroren; das kristallene Eis spiegelte die Bäume am Ufer wider.

Aus den Tiefen der Höhle drang eine Stimme, während sie näher kamen. Es war Sopran, Alt, Tenor und Bass gleichzeitig.

Hallo, meine Schöne. Du hast deinen Mann und dein Kind mitgebracht. Wie nett.

Rhapsody kicherte. »Hallo, Elynsynos. Dürfen wir eintreten?«

Ja, natürlich. Kommt herein.

Gemeinsam folgten Ashe und Rhapsody dem gewundenen Pfad in die Höhle der Drachin.

Die große Drachin, Matriarchin aller auf dem Kontinent lebenden Artgenossen, wartete inmitten ihres Hortes aus glitzernden Münzen, ihren Schatzkisten, Juwelen und Artefakten, welche die eifersüchtige See hergegeben hatte: Dreizacke, Masten, Galionsfiguren von untergegangenen Schiffen, Ruder und Räder, gestaltet zu Kerzenleuchtern mit tausend kerzenlosen Flammen.

Wie immer kämpfte Rhapsody darum, nicht von Elynsynos’ Augen hypnotisiert zu werden. Es waren Prismen aus Farben und verzauberndem Licht, die dieselben senkrechten Pupillen hatten wie Ashes Augen. Sie tanzten im Licht der Erregung.

Die große Bestie hob sich aus dem salzigen Wasser des Sees, der den Boden ihres Hortes bedeckte. Ihre gleißenden Schuppen und der gewaltige, schlangenartige Körper flössen wie ein Windstoß dahin. Elynsynos hatte schon vor langer Zeit ihre körperliche Gestalt aufgegeben und existierte in einem rein elementaren Zustand, wie auch ihr Enkel Llauron, Ashes Vater, ihn aus eigenem Willen angenommen hatte.

Kommst du mich besuchen, wie du versprochen hast, meine Schöne?, fragte die Drachin und ließ sich wieder auf dem Höhlenboden nieder.

»Allerdings«, antwortete Rhapsody. »Ich hoffe, von dir zu erfahren, wie man ein Drachenkind austrägt und sich dabei nicht allzu schlecht fühlt.«

Wie fühlst du dich jetzt?, fragte die große Bestie.

Rhapsody dachte nach. Die Übelkeit war in dem Augenblick verschwunden, als sie die Höhle betreten hatte und vom rhythmischen Plätschern des kleinen Salzsees eingehüllt worden war.

Während die Dunkelheit und Enge des Ortes sie an die Wurzel des Weltenbaumes erinnerten, lag hier Liebe in der Luft, die Rhapsodys Angst, welche sie manchmal an unterirdischen Orten befiel, im Zaum hielt.

Die Meeresschätze waren ein Zeichen für die Liebe der Drachin zu ihrem verstorbenen serenischen Seemann Merithyn dem Eroberer, der diesen Ort vor tausend Jahren entdeckt und unwissentlich eine Dynastie geschaffen hatte, welche den Kontinent gegründet und wieder zerstört hatte.

Und ihn nun wieder neu gründete.

»Besser«, sagte sie. »Beinahe gut.«

Die Drachin betrachtete sie mit einer Mischung aus Besorgnis und Zärtlichkeit.

»Kümmerst du dich an meiner statt eine Weile um meine Frau, Urgroßmutter?«, fragte Ashe und half Rhapsody in einen Liegestuhl, der mit einem in den Stein der Höhle gerammten Dreifuß an der Wand befestigt war.

Natürlich, sagte die Drachin, indem sie den Wind als Stimme benutzte. Habt ihr schon einen Namen für das Kind ausgesucht?

Die werdenden Eltern schauten einander an.

»Wir haben uns einen überlegt, aber wir wollen abwarten, wie das Kind aussieht und sich verhält«, erklärte Rhapsody.

Sehr gut, meinte Elynsynos. Ihr wisst aber sicherlich, dass das Kind einen Namen braucht, um überhaupt geboren werden zu können.

»Äh, nein, das wusste ich nicht«, gestand Rhapsody.

Ein Drache schlüpft in elementarem Zustand aus dem Ei, belehrte Elynsynos sie. Da Drachen hauptsächlich das Erbe der Erde besitzen, aber auch das aller anderen Elemente, bestimmt der Name wesentlich, wie das Kind sein wird. Wählt ihn also weise aus. Viele Drachinnen sind nach dem Eierlegen reizbar, und die Namen, die sie ihren Abkömmlingen geben, wenn sie diese ausbrüten, führen oft zu noch reizbareren Drachen.

»Wird das bei unserem Kind genauso sein?«, fragte Ashe, während er sich neben einen gewaltigen Haufen aus Münzen setzte, die aus einem blauen, aus den Tiefen der Berge stammenden Metall bestanden. »Er oder sie wird kein voll entwickeltes Drachenkind sein. Ich hoffe, dass es wegen des stark verdünnten Blutes sogar wenig drachenhaft ist.«

Die große Bestie zuckte die Schultern; es war eine Geste, die Rhapsody zum Kichern brachte.

Jeder Drache ist anders, sagte Elynsynos. Man kann nie wissen, was die Kombination verschiedener Blutarten hervorbringen wird. Schließlich gibt es nur wenige Drachen auf der Welt, und alle, die ich kenne, sind mit mir verwandt. Meine drei Töchter Manwyn, Rhonwyn und Anwyn sind Drachinnen der ersten Generation, und von ihnen hat sich nur Anwyn fortgepflanzt. Die einzigen anderen lebenden Drachen, die ich kenne, sind Anwyns drei Söhne Edwyn, Llauron und Anborn und natürlich du, Gemahl meiner Schönen. Ihr alle seid unterschiedlich, auch wenn es eine gewisse Familienähnlichkeit gibt. Wer kann da sagen, wie euer Kind sein wird? Der Junge oder das Mädchen wird halt so sein, wie er oder sie ist.