Выбрать главу

Ashe lächelte seine Urgroßmutter an. »Weise Worte. Wir werden unser Kind lieb haben, wie es auch sein mag. Ich hoffe, du hilfst uns dabei, es in den Überlieferungen der Drachen zu unterrichten. Bei mir hat das niemand getan. Ich glaube, es hätte mir geholfen, meine zweite Natur, diese nichtmenschliche Seite, besser zu verstehen.«

Die große Bestie schnaubte.

Die Drachennatur ist geradeheraus, Gemahl meiner Schönen, sagte sie ein wenig beleidigt. Es ist das menschliche Blut, das die Drachennatur widersprüchlich macht.

Die Drachen beschützen ihr Land, weil es ihre Pflicht ist. Wir sind die letzten Wächter der uranfänglichen Erde; sie lebt in uns wie in keiner anderen Kreatur. Wir allein begreifen das Risiko des Todes, die Endgültigkeit des Endes, weil wir im Gegensatz zu anderen Geschöpfen keine Seele haben. Kein Drache würde je einen anderen Drachen töten, wie sehr er ihn auch hassen mag, denn wir wissen, dass unsere Rasse bestehen bleiben muss. Das ist eine Weisheit, die älter ist als ich – die älter als wir alle ist. Ich weiß nicht, ob die Abkömmlinge der Drachen es ebenfalls wissen. Ich vermute, dass es bei Anwyns Söhnen der Fall war. Sie haben nie versucht, einander oder ihre Mutter umzubringen, auch wenn es ihnen möglich war – besonders Llauron. Aber was Anwyn angeht, so weiß ich nicht, ob sie sich an die Drachenart halten würde, wenn es ihren Zielen nicht diente. Die Drachin beäugte Ashe, wobei prismatisch gebrochene Lichtblitze über die Münzen tanzten, die verstreut in der Höhle herumlagen. Über dich sind noch keine Geschichtsbücher geschrieben. Wir müssen abwarten, ob du den Drachengesetzen treu bleibst oder ob dich dein Mischblut auf andere Wege führt.

»Es stimmt, an meinen Händen klebt Blut«, sagte Ashe mit melancholischer Stimme. »Soweit ich weiß, habe ich nie jemanden meiner eigenen Art getötet. Aber ich hatte die Gelegenheit, meine Großmutter aus der Luft zu holen, als sie das cymrische Konzil im Tiefflug angegriffen und meine Frau in die Luft entführt hat, und ich hätte ihr ohne Zögern das Herz herausgerissen. Doch glücklicherweise hat Rhapsody das für mich getan, und ich kann nicht behaupten, über ihren Tod traurig zu sein. Sie war eine verbitterte, blutrünstige, bösartige Frau, und ihr Tod war für alle ein Segen.«

Unzeitiger Tod ist nie ein Segen, sagte die Drachin traurig. Das sagst du, weil du es nicht besser weißt. Ich hatte es auch nicht besser gewusst, bis Merithyn starb.

Vorher hatte ich den Tod nie gespürt, sein böses Brennen nie zwischen den Zähnen gefühlt. Die Geschöpfe, die ich verzehrt habe – Hirsche, Rehe und dergleichen –, haben den Tod in meinen Fängen erlitten, doch mit ihrem Vergehen war das Leben gekommen; daher hatte es nicht denselben bitteren Geschmack. Merithyns Tod hingegen war ein so vollständiges Ende, dass er einen Teil meines Lebens mit in den Abgrund gerissen hat. Auf der Liege streckte Rhapsody die Hand aus und streichelte die gewaltige Schulter der Drachin.

»Merithyn hat sein Leben für die Rettung seines Schiffes und eines großen Teils der Ersten Flotte hingegeben. Auch aus seinem Tod ist Leben erwachsen, Elynsynos. Es war ein großes Opfer, für ihn und für dich, doch es hat einer ganzen Nation das Leben geschenkt. Vielleicht war es eines der größten Opfer in der Geschichte.«

Die Drachin schüttelte heftig das Haupt.

Nein, meine Schöne. Ich will dir sagen, was das größte Opfer war. Es ist wichtig, dass ihr beide es wisst, weil es sich um das Erbe eures Kindes und seines Drachenblutes handelt. Ich will euch vom Ende erzählen.

Ihr kennt die Geschichten aus der Vor-Zeit von den großen Kämpfen zwischen den fünf erstgeborenen Rassen, als die Kinder der Luft, der Erde, des Wassers und des Äthers, die Kith, die Drachen, die Mythlin und die Seren sich zusammenschlössen und die zerstörerische fünfte Rasse, die Feuerdämonen der F’dor, in das Innere der Welt verbannten, wo sie der Erde keinen Schaden mehr zufügen konnten. Und ihr wisst zweifellos auch, dass die Rolle, welche die Drachen dabei spielten, in der Hingabe des Lebendigen Gesteins bestand, damit die Gruft der F’dor damit versiegelt werden konnte, ja?

»Ja«, sagte Ashe.

Aber was du nicht weißt, mein Urenkel und Gemahl meiner Schönen, ist der Umstand, dass die Gruft trotz der großen Menge an Lebendigem Gestein die F’dor nicht vollkommen einkerkern konnte. Der Stammvater aller Drachen, der Erste unserer Rasse, erkannte, dass der Käfig aus Lebendigem Gestein sie auf Dauer nicht zu halten vermochte.

Also machte er das größte Opfer der ganzen Geschichte. Dieses Opfer ist allen Drachen als Das Ende bekannt. Bei der Entscheidung eines Drachens, sein Leben aufzugeben, muss man bedenken, dass wir kein Nachleben haben – zumindest kein bewusstes. Meistens wird diese Entscheidung am Ende eines sehr langen Lebens getroffen. Dann ist der Drache zu müde, um weiterzuleben, er leidet Schmerzen und ist erschöpft und versucht daher nicht länger, am Leben zu bleiben. Also beendet er es. Diese Art des Endes lässt etwas von ihm zurück: Das Blut, das in seinen Adern floss, wird zu Gold. Und etwas von dem, was der Drache zu Lebzeiten war, bleibt darin enthalten: Geiz und Besitzanspruch. Warum sind die Menschen so hungrig nach einem weichen, gelben Metall, das ihnen doch gar nichts nützt? Sie können ihren Hunger nicht damit stillen oder sich damit heilen, wenn sie krank oder verletzt sind. Sie können es nicht einmal zu Waffen schmieden. Dennoch führen sie Kriege darum, begehen dafür alle Arten von Verbrechen und verlieren sogar ihre Seele daran. So würde es auch ein Drache tun.

»Darüber habe ich noch nie nachgedacht«, gestand Rhapsody und machte sich Notizen in ihrem kleinen Buch. Der Stammvater erkannte also, dass die F’dor irgendwann aus der Gruft entkommen würden. Nach all dem Sterben, all der Zerstörung und allem, was im Kampf um ihre Einkerkerung geopfert wurde, begriff er den unermesslichen Preis dafür. In dem Augenblick, da das Schloss der Gruft von innen gesprengt wurde, wand der Stammvater seinen unvorstellbar großen Körper um die Gruft und versiegelte sie auf diese Weise. Er hatte sich im ätherischen Zustand befunden. Sobald er die Gruft mit seinem eigenen Selbst umschlossen hatte, erledigte er sich nach und nach seiner elementaren Eigenschaften – des Äthers, der Erde, des Wassers, der Luft und des Feuers. Sein Körper vertrocknete und verhärtete sich zu einer gewaltigen Hülle, welche die Gruft umgab und die F’dor am Entkommen hinderte. Er führte sein eigenes Ende herbei. Das ist sein Vermächtnis – und es ist gleichzeitig das Vermächtnis eures Kindes. Jeder Drache hat die Macht, das Ende herbeizuführen, aber meines Wissens hat es seitdem niemand mehr getan, denn es ist die vollständigste und endgültigste Form des Todes. Dabei bleibt von einem nicht einmal etwas in Gold und Edelstein zurück, das eines Tages die hohlen Köpfe der Könige oder die Brüste eitler Damen schmücken könnte. Drachen haben eine stärkere Beziehung zur Erde als alle anderen Wesen, weil wir ihr zu ihrem Schutze mehr als alle anderen geopfert haben.

Der Herr und die Herrin der Cymrer sahen einander schweigend an.

Das ist also die Geschichte, schloss Elynsynos mit einem leichteren Ton in ihrer vielfarbigen Stimme. Nun, Gemahl meiner Schönen, solltest du etwas essen, damit du gestärkt für die Heimreise bist, und du darfst uns oft besuchen kommen.