Ein Tablett mit Würstchen und Schalen mit Schinken erschienen auf dem Höhlenboden.
Ashe lachte. »In Ordnung, ich habe den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden. Also gut, Urgroßmutter, ich werde essen und mich auf den Weg machen, damit du den Besuch meiner Frau endlich genießen kannst. Ich weiß, wenn ich unerwünscht bin, und ich habe keine Lust, deinen Atem zu spüren, also werde ich mich fügen.«
Mach dich nicht lächerlich, sagte die Drachin. Ein Drache muss einen guten Grund haben, wenn er jemanden mit seinem Atem versengen will. Ich habe keinen.
Und jetzt nimm etwas Schinken! Dann machst du dich auf den Weg.
Nachdem Ashe gegangen war, schaute Rhapsody die Dokumente durch, die Achmed ihr gegeben hatte, wie sie es ihm versprochen hatte.
»Ich habe vergessen, dir etwas Wichtiges zu sagen, Elynsynos«, meinte sie, während sie vorsichtig die Papiere durchblätterte und den Musik-Code übertrug, in dem das Manuskript abgefasst war. »Zur Tauperiode habe ich meinen Freund Achmed gebeten herzukommen.«
Die Drachin atmete langsam ein.
Hast du ihm gesagt, wo ich zu finden bin?
»Nein«, entgegnete Rhapsody rasch. »So etwas würde ich nie ohne deine Erlaubnis tun. Ich habe ihm gesagt, er soll zum Tarafel gehen, und ich würde ihn von dort aus mit meinem Gesang zu dem Ort leiten, an dem ich ihn treffen möchte. Er kann dem Klang seines Namensliedes überallhin folgen. Ich will dich nur darauf vorbereiten, dass Achmed und ich zuweilen heftig miteinander streiten. Das ist kein Anzeichen dafür, dass er mir etwas zu Leide tun will, sondern ganz normal unter uns. Bitte misch dich nicht ein, falls wir uns streiten sollten. Ich möchte nicht zusehen müssen, wie er an einem Spieß über seinem eigenen Lagerfeuer geröstet wird.«
Also gut, meinte die Drachin, auch wenn sie nicht begeistert klang.
Von nun an genossen sie die Gegenwart des anderen. Die Drachin erfreute sich an ihrer Freundin, und die cymrische Herrscherin übersetzte die Dokumente, bis sie erzitterte, als sie begriff, was sie bedeuteten. Mit bebenden Händen legte sie das Manuskript zurück in die Metallkassette und schloss sie rasch. Ein Brechreiz überkam sie, doch er rührte nicht von ihrer Schwangerschaft her.
»O heiliger All-Gott!«, flüsterte sie.
26
Als Ashe sich dem gegenüberliegenden Ufer des kristallartigen Sees näherte, hinter dem sich das Nest der Drachin Elynsynos befand, spürte er ein unerwünschtes Prickeln im Rückgrat, das über die Haut bis in die Fingerspitzen ausstrahlte. Einen Herzschlag später war es verschwunden.
Er hielt im verharschten Schnee an und drehte sich wütend um. Er hatte die Schwingungen erkannt und suchte nach ihrer Quelle, doch in dem alten Wald war nichts zu sehen. Die tiefe, üppige Farbe der immergrünen Zweige hob sich scharf gegen die bloßen Stämme und Äste der Laubbäume ab, die silbern und kahl dastanden oder bedeckt waren von toten, roten und rostbraunen Blättern, die im starken Winterwind bald fortgeweht würden. Die Brise, die nun durch die Lichtung blies, war scharf und kalt.
»Wo bist du, Llauron?«, fragte der Herr der Cymrer in die Luft.
Nichts als der Wind und die Kräuselungen an der Oberfläche des Sees antworteten ihm.
Wütend packte Ashe den Griff seines Schwertes und zog es rasch aus der Scheide. Kirsdarke, die Klinge aus elementarem Wasser, wurde in seiner Hand lebendig und war wie die schäumenden Wellen des Meeres; ihr schimmernder, flüssiger Zorn glich dem von Ashe. Er hielt sie gegen die Augen und schaute hindurch.
Die Welt hinter den Kräuselungen erschien matt und stumpf wie ein alter Grabstein, dessen Inschrift mit der Zeit immer blasser geworden war. Wie wenn Wasser auf einen solchen Stein rinnt und die Vertiefungen der Schrift wieder sichtbar macht, so wurde durch die Klinge hinter dem Rand der Lichtung eine elementare Gestalt sichtbar, die dem menschlichen Auge üblicherweise verborgen blieb.
Ein großer Drache glitt durch die Luft über dem Boden; er war grau und silbern wie die Zweige der Ahornbäume.
»Ich sehe dich, Vater«, sagte Ashe verärgert. »Du kannst dich ruhig zeigen.«
Ein Seufzer der Enttäuschung pfiff wie eine Brise durch den Wald. »Mit dir konnte man nie Verstecken spielen«, sagte ein leichter, wohltönender Bariton. »Schon als Kind war dein Drachensinn scharf. Wenn du mehr als ein paar Atemzüge brauchtest, um mich zu finden, wussten wir beide, dass du mir nur schmeicheln wolltest.«
»Ich bin aus dem Spielealter heraus«, sagte Ashe verbittert und steckte Kirsdarke mit einer wilden Bewegung zurück in die Scheide. »Vor drei Jahren habe ich dir gesagt, du sollst dich von mir und meiner Familie fern halten. Obwohl du überall im Äther herumlungern und mit den Elementen reden könntest, was du dem Beisammensein mit deiner Familie vorgezogen hast, bist du hier draußen vor Elynsynos’ Nest. Welch ein Zufall! Was willst du?«
»Nichts Böses, das kann ich dir versichern«, sagte die Stimme mit gereiztem Unterton. »Es ist nicht nötig, so grob zu sein. Ich bin dein Vater, Gwydion, oder wenigstens war ich das zu meinen Lebzeiten als Mensch.«
»Was du freudig für eine hohle Unsterblichkeit geopfert hast«, sagte Ashe und zupfte an seinen Lammfellhandschuhen. »Und zum Nachteil des Seelenfriedens meiner Frau. Sie hat manchmal immer noch Albträume, in denen sie dich auf deinem falschen Scheiterhaufen mit einem Sternenlichtblitz aus ihrem Elementarschwert in Brand gesetzt hat, weil du es so wolltest. Ich habe es dir damals gesagt, und ich sage es dir jetzt wieder: Halte dich von Rhapsody fern. Sie hat für deine elementare Drachenschaft einen hohen Preis bezahlt, und ich will sicherstellen, dass so etwas nie wieder vorkommt.«
»Deine Frau hat mir schon vor langer Zeit vergeben, Gwydion«, sagte die Stimme. Die Luft zwischen den Bäumen bewegte sich, nahm Umriss und Gestalt an und verdichtete sich, bis sie zu einer gewaltigen, dunstigen Schlange mit schimmernden, aschfarbenen Schuppen wurde, auf denen es abwechselnd golden und silbern aufblitzte. Die gewaltigen Schwingen waren gefaltet, und nur der schlangenartige Körper war sichtbar, der von den Nüstern bis zur Schwanzspitze mehr als hundert Fuß maß. »Es ist schade, dass du nicht ihrem Beispiel gefolgt bist.«
»Ich kümmere mich mehr um ihr Wohlergehen als sie selbst«, gab Ashe angespannt zurück und starrte dem gewaltigen ätherischen Drachen in das facettenartige Auge, in dem eine längsgeschlitzte Pupille steckte. Diesen Blick hielten nur wenige Menschen aus, ohne sich dem Willen der Bestie auszuliefern, doch Ashe blinzelte nicht einmal, so stark war sein
Drachenblut. »Und deshalb will ich allen Ärger, jede Belästigung und Beeinflussung von ihr fern halten – all das hast du ihr schon angetan. Scher dich fort. Du hast hier nichts verloren.«
Der Wind rauschte durch die verschneite Lichtung, hob das körnige Tuch aus Schnee und trieb die Kristalle in flatternden, tanzenden und zuckenden Bändern vor sich her; dann fiel er wieder zu Boden und rutschte über die Erde.
Schließlich sprach der Drache mit einer Stimme, die tief wie das Meer war und in der unmissverständliche Traurigkeit schwang:
»Du möchtest mich von meinem eigenen Enkel fern halten?«
Ashe stieß scharf die Luft aus. »Das ist es also, nicht wahr? Du hältst nach dem Kind Ausschau. Warum? Was willst du mit einem Kind anfangen? Du hattest einmal eines, wenn ich mich recht erinnere, und es war kaum mehr für dich als ein Werkzeug, mit dem du deine Ziele erreichen wolltest. Welche Ziele hast du jetzt noch, Llauron? Ich hatte geglaubt, solche Dinge fielen mit der Asche des sterblichen menschlichen Körpers ab, den du im Kohlenbett deines Scheiterhaufens zurückgelassen hast, nachdem du meine Frau überzeugt hattest, dich ohne ihr Wissen in dein elementares Selbst zu verwandeln. Hast du nichts Besseres zu tun, jetzt, da du der Wind, das Feuer, die Erde, das Wasser und der Äther und sicherlich auch die schiere Galle bist?«