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Die Drachin schüttelte sich heftig, als ob sie so den Körper abwerfen könnte, in dem sie gefangen war. Sie versuchte mit Willenskraft, ihre alte Gestalt wiederzubekommen, und endete schließlich dabei, ihre Haut mit den scharfen Krallen zu zerfleischen und grausame Wunden in ihr eigenes, dickes Fleisch zu schlagen. Doch es war alles umsonst. Das Feuer, das sie getroffen und ihr Bewusstsein seit ihrem Erwachen heimgesucht hatte, war von den Sternen gekommen, dem Element des Äthers, gereinigt in der lebendigen Flamme. Die Gestalt, die sie nun aus freiem Willen so sehr verletzt hatte, war auf immer und ewig ihre eigene. Alles Menschliche war für alle Zeit durch eine Macht aus ihr getilgt worden, die älter als ihre eigene war.

Ihr drehte sich der Magen um, und sie erbrach ätzende Flammen, deren Feuer seinen Ursprung in den Brandherden hatte, die nun ein Teil ihrer Eingeweide waren. Das Gebüsch entzündete sich, knisterte, wurde sofort schwarz und erfüllte die Luft mit trägem Rauch.

Als helles Blut in Streifen und Flecken auf den Frostboden fiel, verwandelte sich der Kummer der Drachin in Wut. In gewisser Weise gefiel ihr die versehentliche Vernichtung des Buschwerks und linderte ihren Schmerz ein wenig.

Sie holte tief Luft, atmete wieder aus und ließ es zu, dass sich ihr Zorn in ihrem Atem entlud. Eine wogende Welle aus orangefarbener Hitze rollte über die frostige Ebene, schmolz den Schnee und versengte die kleinen Bäume. Überall um sie herum schwelte die Landschaft.

Zerstörung, flüsterte es in ihren immer noch nicht völlig klaren Gedanken. Zerstörung lindert den Schmerz ein wenig.

Das war eine leicht einzunehmende Medizin.

In der Ferne erfühlte sie den Ort, der ihr Nest gewesen war. Er rief sie von Westen her.

Die Drachin war zu müde, um über die Folgen ihrer neuen Gestalt nachzudenken. Sie schleppte sich auf den Ort zu, an dem sie Antworten zu finden hoffte.

Und Ruhe, die ihr zu neuer Stärke verhelfen würde.

3

Fischerdorf bei Jeremias’ Landung — Avonderre

Als der Fischer Kail Faron am Strand entdeckte, glaubte er zunächst, er sei bloß über ein dickes Knäuel Seegras gestolpert, das eines der Priele verstopfte.

Nach eingehenderer Untersuchung merkte er, dass das, was ihn schließlich an einen großen Tintenfisch oder eine Qualle denken ließ, in Wirklichkeit eine groteske Masse farbloser Haut war, die an einem Knochengerüst hing, das keine Ähnlichkeit mit einer menschlichen Gestalt hatte.

Doch der Kopf erinnerte entfernt an den eines Kindes. Die Augen waren geschlossen, die Lippen vorn zusammengenäht, und schwarzes Wasser tropfte aus den Mundwinkeln.

Zuerst hatte der Fischer es mit einem Brett totschlagen und den Katzen zum Fraß vorwerfen wollen. Er hätte es getan, wenn ihm nicht aufgefallen wäre, dass sich die flache Brust noch hob und senkte.

Bächlin, sein Gefährte, der die Netze säuberte, sah, wie er vor Abscheu zurückprallte, und rief vom Pier aus: »Was ist denn los?«

Kail zuckte die Schultern. »Hier ist was aus einem Albtraum!«, brüllte er zurück.

Bächlin wischte sich den Schleim an der Hose ab und kam zu Kail herüber, der noch immer auf die Masse starrte, die sich am Ende des Priels im Seetang verfangen hatte.

»Lieber All-Gott«, sagte er und beschirmte die Augen.

Die Kreatur lag totenstill in dem stinkenden Wasser. Nur die schwache Bewegung der platten Nasenflügel und das sanfte Heben und Senken der Brust deuteten an, dass sie noch lebte. Die blasse, leicht goldene, aber von der Sonne ausgebleichte Haut hing lose über einem Skelett, dessen Missbildungen selbst unter all dem Seegras deutlich erkennbar waren.

»Glaubst du, es lebt?«, fragte Bächlin nach kurzer Zeit nervös.

Kail nickte schweigend.

Vorsichtig hob Bächlin ein Ruder auf und entfernte ein wenig Seetang von der Kreatur.

Beide Männer zuckten zusammen, als mehr von ihrem Körper ans Licht kam. Verdrehte Glieder, die nicht aus Knochen, sondern aus Knorpel zu bestehen schienen, standen in unmöglichen Winkeln vom Rumpf ab. Das Geschöpf lag auf der Seite und war fast nackt. Die zerrissenen Überreste von Stoff, die einen Teil seines Körpers bedeckten, wölbten sich an einigen Stellen leicht vor und deuteten sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale an.

Bächlin fluchte erneut und warf den Seetang ins Meer.

»Eine Missgeburt, das ist es. Eine Laune der Natur«, sagte er. Er konnte nicht wissen, wie wenig die Natur mit dem zu tun hatte, was da in dem Priel vor ihm lag. »Zum Teil Qualle, zum Teil Mensch oder was Ähnliches.«

»Oder vielleicht zum Teil eine Frau«, bemerkte Kail und deutete auf die Knospen, die Brüste zu sein schienen.

»Pech drüberschütten und anzünden«, murmelte Bächlin. »Ich hab was im Boot.«

Kail schüttelte nachdenklich den Kopf. »Nee«, meinte er schließlich. »Vielleicht können wir daran eine oder zwei Kronen verdienen. Der Fang heute war mies.«

»Eine Krone verdienen? Bist du verrückt, Mann? Wer will denn so was essen?«

»Nicht essen, du Dämel!«, erwiderte Kail verächtlich. »Wir könnten es einem vorbeiziehenden Zirkus oder einem Monstrositätenkabinett anbieten – die kaufen solche Missgeburten. Vor etwa zwei Wochen war eins oben an der Küste bei Windreich.«

Bächlin warf einen Blick die Küste hoch, wo der Rauch aus den erst kürzlich gelöschten Waldbränden noch in der Luft hing. Bis vor wenigen Nächten hatte die gesamte Westküste unter stinkender Hitze gelegen. Ätzende Flammen, die den unmissverständlichen Stempel des Bösen getragen hatten, waren über das Land hinweg gezogen. Nun, da die Feuer erstickt waren, kehrten einige der evakuierten Dorfbewohner zurück und durchstöberten die verkohlten Überreste ihrer Häuser am Wasser und in dem versengten Wald. Es lag eine beunruhigende Stille in der Luft, als ob die Küste auf die nächste Welle der Zerstörung wartete.

»Wenn sie in Windreich waren, sind sie vermutlich zusammen mit den anderen Flüchtlingen nach Osten Richtung Bethania gegangen«, sagte er und stieß vorsichtig mit dem Ruder gegen das Geschöpf. »Dieses Ding würde es nie so weit schaffen.«

»Ja, scheint so was wie’n Fisch zu sein«, stimmte Kail ihm zu. »Ein Fischjunge.«

»Oder Mädchen.«

»Brr. Na ja, die Leute, die mit diesen Seltsamkeiten und Missgeburten handeln, könnten Verwendung dafür haben, was immer es sein mag – lebend oder tot. Ich hole das Netz. Wir ziehen es aus dem Priel und legen es in den Wagen. Wir sollten auch unsere paar gefangenen Fische räuchern und sie nach Bethania karren. Da verkaufen wir unsere Waren und besorgen das Seil und was wir sonst noch in der nächsten Zeit brauchen, und während wir da sind, suchen wir nach dem Monstrositätenkabinett. Dieses Ding nimmt uns nicht viel Platz im Wagen weg.«

Bächlin seufzte. »Wenn du meinst«, sagte er zweifelnd. »Aber ich glaube, wir müssen es feucht halten. Sonst überlebt der Einzigartige Schreckliche Fischjunge den Weg nach Bethania nicht. Ob tot oder lebendig, er wird anfangen zu stinken. Vielleicht stinkt er weniger, wenn wir ihn am Leben erhalten.«

Kail, der schon auf dem Weg zum Boot war, kicherte bei dieser Vorstellung.

Faron wurde von einem heftigen Stoß ins Bewusstsein zurückgeschleudert, als das Karrenrad in eine tiefe Straßenfurche geriet. Das Geschöpf öffnete ein großes, fischartiges Auge, das von milchigem grauem Star überzogen war. Es war so schwach, dass es nicht einmal unter den Schmerzen zusammenzuckte. Die Mittagssonne badete seine brüchige Haut in Licht und Hitze, was Blasen auf seinem Körper hervorrief. Es schloss das Auge wieder und seufzte, während es den Atem ausstieß. Faron war bereits so geschwächt und krank, dass für seinen umwölkten Verstand der Tod gar nicht schnell genug kommen konnte.

Obwohl Faron sein ganzes Leben lang in einem ungeheuerlichen, schlecht funktionierenden Körper eingekerkert war, war sein Verstand zwar einfach, aber scharf, und obwohl er dem Tod so nahe war, erkannte er doch die Erschütterungen, die durch das Wasser an seine hoch empfindlichen Trommelfelle drangen, als Stimmen, wenn auch als unvertraute. Unwillkürlich erschauerte das Geschöpf und versuchte zu begreifen, was geschehen war. Seit seiner Geburt war Faron in Dunkelheit in einem Teich aus glimmerndem grünem Wasser gehalten worden. Deshalb begriff er nur wenig von der äußeren Welt, auch wenn ihm sein Vater abends bei seinen Besuchen, während denen er seinen Sohn mit Meeresaalen gefüttert hatte, von ihr erzählt hatte. Farons Vater war zärtlich zu ihm gewesen, obwohl er manchmal Ausbrüche von Grausamkeit und Zorn gehabt hatte. Faron liebte ihn so sehr, wie ein unterentwickelter Geist lieben konnte, und fühlte sich in seiner Abwesenheit hilflos – so hilflos, dass ihm nach dem Verlust seines Vaters der Tod willkommen war.