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Fidelma wandte sich ab, um ihren Zorn zu verbergen. Offensichtlich hatte Wenbrit dringend mit ihr sprechen wollen, aber nicht in Gegenwart Cians.

»Ich habe zu tun«, erwiderte sie schneidend.

Cian schien nicht beeindruckt von ihrem Ton.

»Du hast doch keine Angst davor, mit mir zu reden?«

Sie starrte ihn mit offener Abneigung an. Sie konnte seiner Gegenwart nicht entfliehen. Es hatte keinen Zweck, weitere Entschuldigungen vorzubringen, früher oder später mußten sie sich aussprechen. Vielleicht lieber früher als später. Die Fahrt würde noch viele Tage dauern. Sie hoffte, Wenbrits Neuigkeit könnte warten. Sie hatte mit ihren Erinnerungen zu tun.

Kapitel 8

Grian hatte ihr die Nachricht bringen müssen. Sie war in die Herberge gekommen, in der Fidelma wohnte, und hatte ihr Zimmer betreten, ohne anzuklopfen. Fidelma lag auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Sie zog ärgerlich die Brauen zusammen, als sie Grian erblickte.

»Ich hoffe, du willst mir nicht wieder was vorpredigen«, sagte sie streitlustig, bevor ihre Freundin zu Wort kam.

Grian setzte sich auf das Bett. »Wir vermissen dich alle, Fidelma. Wir möchten dich nicht in dieser Lage sehen.«

Fidelma verzog das Gesicht, ihr Ärger nahm zu.

»Es liegt nicht an mir, daß ich nicht im Unterricht bin«, entgegnete sie. »Es war Morann, der sich in mein Leben einmischte. Er war es, der mich ausgeschlossen hat.«

»Er tat es zu deinem Besten.«

»Es ging ihn nichts an.«

»Er meint, doch.«

»Ich mische mich auch nicht in sein Privatleben ein. Also sollte er mich ebenfalls damit verschonen.«

Grian war sichtlich unglücklich.

»Fidelma, ich fühle mich für das verantwortlich, was geschehen ist. Es war meine Dummheit .«

»Tu bloß nicht so, als hättest du mir was zu sagen, nur weil du mich mit Cian bekannt gemacht hast«, erwiderte Fidelma scharf.

»Das mache ich auch nicht. Ich habe gesagt, ich fühle mich verantwortlich. Was ich getan habe, hat vielleicht dein Leben zerstört. Das kann ich nicht ertragen.«

»Morann hat mein Studium unterbrochen, nicht du.«

»Aber Cian .«

»Erzähl mir nichts von Cian. Ich weiß, er benimmt sich manchmal unreif, aber seine Absichten sind gut. Er wird sich ändern.«

Grian schwieg einen Moment, dann sagte sie leise: »Du zitierst doch gerne aus Publilius Syrus. Hat er nicht geschrieben, daß ein zorniger Liebhaber sich viele Lügen einredet? Dasselbe gilt wohl auch für Frauen, wenn sie verliebt sind. Liebende wissen, was sie wollen, aber nicht, was sie brauchen. Du brauchst Cian nicht, und er will dich nicht.«

Fidelma wollte zornig aus dem Bett auffahren, doch Grian drückte sie zurück in die Kissen. Fidelma wußte gar nicht, daß ihre Freundin solche Kraft besaß.

»Du hörst mir jetzt zu, auch wenn es das letzte Mal sein sollte, daß wir miteinander reden. Ich tue das zu deinem eigenen Besten, Fidelma. Heute morgen hat Cian Una geheiratet, die Tochter des Verwalters des Großkönigs, und sie werden in Aileach bei den Cenel Eoghain leben.«

Grian sprach so rasch, daß Fidelma keine Gelegenheit hatte, sie zu unterbrechen.

Fidelma sah ihre Freundin mehrere lange Augenblicke verständnislos an. Es war totenstill, während ihr langsam die Bedeutung der Worte Grians aufging. Dann erstarrte ihr Gesicht, als sei es zu Stein geworden.

Grian wartete auf eine Reaktion ihrer Freundin, und als keine kam, setzte sie hinzu: »Ich hab schon vorher versucht, dich zu warnen. Du mußt doch gewußt oder wenigstens geahnt haben ...?«

Fidelma hatte das Gefühl, sie wäre aus der Wirklichkeit herausgeschleudert und in kaltes Wasser geworfen worden. Sie war wie betäubt und vollkommen sprachlos. Grian hatte sie gewarnt, und ehrlich gesagt, sie selbst hatte vermutet - und gefürchtet -, daß sie recht hatte. Sie hatte versucht, sich selbst zu täuschen und es abzuleugnen. Schließlich vermochte sie einen der vielen Gedanken, die ihr im Kopf herumwirbelten, in Worte zu fassen.

»Geh weg und laß mich allein«, rief sie mit vor Erregung brüchiger Stimme.

Grian schaute sie besorgt an. »Fidelma, du mußt verstehen .«

Im nächsten Moment fuhr Fidelma schreiend, schlagend und kratzend auf ihre Freundin los. Wäre Grian nicht erfahren in der Kunst der troid-sciathaigid, der Selbstverteidigung, gewesen, hätte sie ernste Verletzungen erlitten. Aber Grian beherrschte diese Technik, die vor Jahrhunderten entwickelt worden war, als die Gelehrten der fünf Königreiche sich gegen Angriffe von Dieben und Banditen schützen mußten. Da sie es für Unrecht hielten, Waffen zu tragen, mußten sie eine andere Art der Selbstverteidigung erfinden. Jetzt wurden viele Missionare, die in andere Länder gingen, darin ausgebildet.

Grian fiel es nicht schwer, Fidelmas unbeherrschte Wut zu bezwingen, denn ungesteuerte körperliche Kraftanstrengung führt zu nichts. Grian hatte sie schnell mit einem ihrer Griffe wehrlos gemacht und mit dem Gesicht nach unten in die Kissen gedrückt.

In diesem Moment platzte der Herbergswirt herein und wollte wissen, was das für ein Lärm sei, der seine Gäste störte. Seine entsetzten Blicke blieben sofort an den Töpfen und dem Stuhl hängen, die zu Bruch gegangen waren, bevor Fidelma von ihrer Freundin überwältigt worden war.

Grian schrie ihn nur an, er solle verschwinden, der Schaden werde bezahlt.

Eine lange, lange Zeit hielt sie ihre Freundin fest, bis die Wut und die Erregung aus ihrem Körper wichen, die Spannung verebbte und ihre Muskeln sich lockerten.

Schließlich sagte Fidelma in ruhigem und vernünftigem Ton: »Ich bin wieder in Ordnung, Grian. Du kannst mich loslassen.«

Widerstrebend gab Grian nach, und Fidelma richtete sich auf.

»Es wäre mir lieb, wenn du mich eine Weile allein läßt.«

Grian warf ihr einen forschenden Blick zu.

»Du brauchst dich nicht zu sorgen«, sagte Fidelma leise. »Ich mach keinen Unsinn mehr. Du kannst zur Hochschule zurückkehren.«

Grian zögerte noch, sie zu verlassen.

»Geh schon«, beharrte Fidelma, die ihr Schluchzen kaum noch zurückhalten konnte. »Ich hab’s versprochen - reicht dir das nicht?«

Nun glaubte Grian, daß der Anfall von Wahnsinn vorbei war, und erhob sich.

»Denk daran, Fidelma, daß du Freunde in der Nähe hast«, sagte sie.

Es dauerte noch mehr als einen Monat, bis Fidelma in Brehon Moranns Unterricht zurückkehrte. Der Alte bemerkte sofort die feinen Linien um die Winkel ihrer Augen und ihres Mundes. Sie verrieten eine Härte, die vorher nicht dagewesen war.

»Kennst du Aischylos, Fidelma?« fragte der Bre-hon ohne weitere Vorrede, als sie sein Zimmer betrat.

Sie schaute ihn verständnislos an und antwortete nicht.

»>Wer, außer Göttern, bleibt denn sein ganzes Leben lang von Leid verschont?««

Sie schwieg einen Moment. Dann sagte sie, ohne auf seine Worte einzugehen: »Ich möchte mein Studium wieder aufnehmen.«

»Ich für mein Teil würde mich freuen, wenn du das tust.«

»Darf ich mein Studium wieder aufnehmen?« fragte sie ihn ruhig.

»Hindert dich etwas daran, Fidelma?«

Fidelma hob mit ihrer alten trotzigen Geste das Kinn. Nach einigen Sekunden antwortete sie entschieden: »Nichts.«

Der Alte seufzte traurig, kaum vernehmbar.

»Wenn du Bitterkeit in deinem Herzen trägst, ist das Studium kein Zucker, der sie versüßt.«

»Haben die alten Barden nicht gesagt, daß wir durch Leid lernen?« erwiderte sie.

»Das ist richtig, aber nach meiner Erfahrung denkt der Leidende entweder zuviel oder zuwenig über seinen Schmerz nach. Ich fürchte, du denkst zuviel darüber nach, Fidelma. Wenn du zurückkommst, mußt du dich auf das Studium konzentrieren und nicht auf das Unrecht, das du deiner Meinung nach erlitten hast.«