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Fidelma fühlte sich völlig geschlagen. Noch nie hatte sich jemand so ihren Fragen entzogen oder sie so beantwortet, daß sie um keinen Deut klüger war. Sie atmete tief durch und kam sich vor wie eine junge Studentin, die von Brehon Morann in einer Debatte gänzlich an die Wand gespielt worden war. Aber wenn sie etwas von Morann gelernt hatte, dann war es die Regel, nicht gleich beim ersten Mißerfolg aufzugeben.

Sie ging wieder hinunter auf das Messedeck und machte sich auf die Suche nach anderen Pilgern. Erst dachte sie, die große Kajüte sei leer, doch dann sah sie einen gebückten Schatten in einer Ecke. Fidelma räusperte sich geräuschvoll.

Die Gestalt in Kutte und Kapuze sprang auf und fuhr mit katzenartiger Gewandtheit herum. Die Kapuze fiel zurück und gab das Gesicht frei. Es war Schwester Crella. Ihre Augen waren gerötet, als habe sie geweint.

»Es tut mir leid, daß ich dich erschreckt habe, Schwester.« Fidelma lächelte ihr beruhigend zu.

»Ich dachte . Ich hab dich nicht kommen hören.«

»So wie das Schiff quietscht und knarrt, brauchtest du schon scharfe Ohren, um Schritte zu hören«, meinte Fidelma. »Ich hätte mich bemerkbar gemacht, aber ich dachte, die Kajüte sei leer.«

»Ich hatte hier in der Ecke etwas verloren und suchte danach.«

»Kann ich dir helfen?« Fidelma blickte auf die trübe Lampe, die noch auf dem Tisch flackerte.

»Nein«, antwortete Schwester Crella rasch. Sie hatte sich wohl von ihrem Schreck erholt. »Ich dachte, ich hätte es hier verloren, aber ich muß es wohl in meiner Kajüte gelassen haben. Es ist nicht wichtig.«

Fidelma schaute nachdenklich in ihr etwas feindseliges Gesicht.

»Na gut«, sagte sie. »Hast du einen Moment Zeit für ein Gespräch?«

Crellas Augen zogen sich mißtrauisch zusammen.

»Gespräch worüber?«

»Über Schwester Muirgel.«

»Du meinst wohl den Gottesdienst? Ich werde mich nicht entschuldigen. Bruder Bairne benahm sich wie immer eifersüchtig und dumm.«

»Warum zitierte er aus dem Propheten Hosea? Mir kam es merkwürdig vor bei einer solchen Gedenkfeier.«

Crella schnaufte verärgert.

»>... denn der Hurerei-Geist verführt sie, daß sie wider ihren Gott Hurerei treiben<«, zitierte sie. »Ich kenne den Text gut. Bruder Bairne war eifersüchtig, weil die Männer Muirgel und mich anziehend fanden und wir uns auch von manchen Männern angezogen fühlten. Das ist alles. Er war dagegen.«

»Ich nehme an, daß er nicht zu den Männern gehörte, von denen ihr euch angezogen fühltet?«

Crella brachte tatsächlich ein hartes Lachen zustande.

»Ganz bestimmt nicht.«

»War Schwester Muirgel von Bairne ebensowenig angetan?«

»Natürlich. Wir beide hielten Bairne für einen Flegel. Wenn das nun alles ist .«

»Noch nicht ganz. Hauptsächlich wollte ich mit dir über den tragischen Tod von Schwester Muirgel sprechen.«

Crella setzte sich an den Tisch. Fidelma ließ sich auf der Bank gegenüber nieder. Im Licht der Lampe sah man nun deutlich, daß die junge Frau wirklich geweint hatte.

»Ich glaube, beim Frühstück hast du erwähnt, daß Schwester Muirgel deine Kusine war«, begann Fidelma vorsichtig.

»Und außerdem meine vertrauteste Gefährtin«, erklärte das Mädchen so heftig, als habe jemand das bestritten.

Fidelma legte Crella mitfühlend die Hand auf den Arm.

»Der Kapitän hat mich gebeten, Nachforschungen anzustellen. Nach dem Gesetz muß er nämlich den Behörden in seinem Heimathafen einen Bericht über den Tod Schwester Muirgels erstatten, denn sonst kann ihre Familie ihn wegen Fahrlässigkeit belangen.«

Crellas Augen weiteten sich unschuldig.

»Aber ich gehöre doch zu ihrer Familie, und ich weiß, daß Murchad an ihrem Tod keine Schuld trägt.«

»Nun, Murchad muß das nach dem Gesetz beweisen. Sonst könnte ungeachtet deiner guten Absichten einer ihrer nahen Verwandten den Sühnepreis verlangen, ihr Vater beispielsweise oder ihr Bruder. Da ich Anwältin bin, hat er mich ersucht, ein paar Fragen zu stellen und den Bericht für ihn vorzubereiten.«

Crella gab einen Laut von sich, der halb ein Schnaufen und halb ein Seufzer war.

»Ich weiß gar nichts. Ich war die ganze Nacht in meiner Koje und hab mich in meiner Todesangst vor dem Sturm nicht einmal bewegt.«

»Natürlich. Ich wollte dich auch mehr nach dem Hintergrund fragen. Du sagtest, du warst Schwester Muirgels Kusine und vertrauteste Gefährtin? Dann kannst du mir sicher etwas über ihre Familie erzählen.«

Crella schien nicht sehr bereit dazu. Sie schaute Fidelma etwas mißtrauisch an.

»Wir sind aus der Abtei Moville. Sie steht am oberen Ende des Loch Cüan. Sie wurde vor hundert Jahren von dem heiligen Finnian gegründet. Colmcille lehrte dort, und heute ist sie eine der berühmtesten geistlichen Hochschulen des Landes.«

»Das weiß ich«, erklärte Fidelma. »Ihr wart also beide Glieder der Gemeinschaft von Moville.«

»Wir waren Kusinen. Unsere Väter gehörten der fürstlichen Familie Dal Fiatach an.«

Fidelma sah sie scharf an.

»Den Dal Fiatach, zu deren Besitzungen auch Moville zählt?«

»Und die große Abtei Bangor«, fügte Crella stolz hinzu. »Das Gebiet der Dal Fiatach ist eins der größten Kleinkönigreiche von Ulaidh.«

»Ach ja. Also würde Schwester Muirgel ...«

»Einen hohen Sühnepreis kosten.« Schwester Crella hatte die Frage geahnt. »Sieben cumals.«

Fidelma war überrascht vom Wissen des Mädchens.

»Du kennst offensichtlich euren Sühnepreis.« Die Summe entsprach dem Wert von einundzwanzig Milchkühen.

»Muirgels Vater war der Fürst des Gebiets und mein Vater sein Tanist oder erwählter Nachfolger. Wir lernten diese Dinge schon, als wir aufwuchsen«, erläuterte das Mädchen.

»Warum habt ihr euch für das religiöse Leben entschieden?«

Schwester Crella zögerte einen Moment und machte dann eine ausladende Armbewegung.

»Muirgel. Sie war es, die das vorschlug. Wir hatten zu Hause Brüder und Schwestern, und Muirgel meinte, es wäre gut, wenn wir weggingen und studierten.«

»Wie alt war Muirgel?«

»So alt wie ich, zwanzig Jahre.«

»Wann seid ihr in die Abtei Moville eingetreten?«

»Als wir sechzehn waren.«

»Warum seid ihr auf diese Pilgerfahrt gegangen?«

Schwester Crella begann: »Es war ...« Dann hielt sie inne, als sei ihr etwas eingefallen.

Fidelma lächelte ermutigend.

»Es war also Muirgels Idee?« riet sie.

Schwester Crella nickte.

»Hast du dich immer nach Muirgel gerichtet?«

Crella war wieder auf der Hut.

»Wir standen uns sehr nahe. Sie war für mich eher eine Schwester als eine Kusine. Wir waren immer zusammen.«

Fidelma lehnte sich zurück und trommelte unbewußt mit den Fingern auf der Tischplatte.

»Warum hattest du auf dieser Reise nicht eine Kajüte mit Muirgel gemeinsam?«

Crella war verwirrt.

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Ich wundere mich nur. Wenn du Muirgel so nahestandest und auf die Pilgerfahrt gingst, weil sie es wollte, hätte ich erwartet, daß ihr euch eine Kajüte teilt, wenn sie zu zweit belegt werden mußten. Als ich an Bord kam, wurde ich zunächst gebeten, mit in ihre Kajüte zu ziehen.«

»Ach so, jetzt verstehe ich. Ich hatte Schwester Canair versprochen, mit ihr zusammenzuziehen, weil sie solche Angst hatte. Sie war noch nie auf See gewesen.«

»Ach ja. Aber Schwester Canair kam nicht an Bord, nicht wahr? Sie verpaßte das Auslaufen.«

Schwester Crella machte eine sorgenvolle Miene.