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»Bruder Guss, nehme ich an?«

Sie sah, wie der Mönch das Gesicht in ihre Richtung wandte.

»Ich bin Guss«, erwiderte er mit zitternder Stimme.

»Können wir hier etwas Licht bekommen?« fragte Fidelma und wartete die Antwort nicht ab, sondern nahm eine Laterne vom Gang und stellte sie in die Kajüte.

Beim Licht sah man, daß der Mönch noch jung war. Mehrere Dinge fielen ihr an ihm auf, das zerzauste rötliche Haar, die Sommersprossen auf seiner hellen Haut, seine angstvollen großen blauen Augen und seine hohe, sehnige Gestalt. Als sie ihm in die Augen schaute, senkte er wie ein schuldbewußtes Kind den Blick.

»Wir haben dich weder an Deck noch bei den Mahlzeiten gesehen«, begann sie und setzte sich neben ihm auf die Koje. »Bist du noch seekrank?«

Bruder Guss schaute sie mißtrauisch an. »Ich war krank - seekrank. Wer bist du?«

»Ich heiße Fidelma. Fidelma von Cashel.«

»Bruder Tola hat von dir gesprochen. Ich war krank«, wiederholte er.

»Das habe ich gehört. Aber jetzt geht es dir besser?«

Er antwortete nicht.

»Die See ist jetzt viel ruhiger, und es ist nicht gut, sich so lange in der Kajüte einzuschließen. Du mußt an Deck gehen und frische Luft schöpfen. Ich habe dich nicht einmal an Deck gesehen, als alle nach oben beordert wurden.«

»Ich dachte nicht, daß die Anordnung auch für mich galt.«

»Wußtest du nichts von den Gefahren?«

Der junge Mann antwortete nicht und sah sie weiter argwöhnisch an.

»Guss ist ein ungewöhnlicher Name«, begann Fidelma von neuem. »Es ist ein sehr alter Name, nicht wahr?« Am besten lockte man ihn aus seiner Defensive heraus, indem man ihn zum Reden brachte.

Der junge Mann neigte leicht den Kopf.

»Er bedeutet, wenn ich mich richtig erinnere, Kraft oder Wildheit. Vermutlich nennen dich die Leute Gu-san?« fügte sie hinzu und benutzte die Verkleinerungsform. Die Anspielung auf seine Jugend sollte ihn reizen.

Tatsächlich reagierte er mit einem finsteren Blick.

»Ich heiße Guss«, erwiderte er verärgert.

»Und du kommst aus der Abtei Moville?«

»Ich studiere in der Abtei«, bestätigte er. Er war wohl kaum mehr als zwanzig Jahre alt.

»Was studierst du?«

»Ich studiere die Sternkunde unter dem Ehrwürdigen Cummian und helfe bei der Aufzeichnung der Himmelserscheinungen.« Trotz seiner kläglichen Haltung klang Stolz aus seiner Stimme.

»Cummian? Der lebt also noch?« fragte Fidelma verwundert.

Der junge Mann runzelte die Stirn.

»Kennst du den Ehrwürdigen Cummian?«

»Ich kenne sein hohes Ansehen. Er studierte bei Mo Sinu maccu Min, dem großen Abt von Bangor, und er hat viele Bücher über astronomische Berechnungen geschrieben. Er muß aber schon sehr alt sein. Du bist Student bei ihm?«

»Einer seiner Studenten«, ergänzte Guss stolz.

»Doch ich habe schon den fünften Grad der Weisheit erreicht.«

»Ausgezeichnet. Es ist gut zu wissen, daß wir jemanden an Bord haben, der die Gestirne kennt und uns den Weg zurück über dieses stürmische Meer berechnen kann.«

So ermutigte ihn Fidelma, lockte ihn aus der Reserve und bemühte sich, seine anfangs feindselige Reaktion auf ihr Eindringen abzubauen. Sie bemerkte, daß er immer wieder mit der rechten Hand den linken Arm massierte. Auf dem Ärmel war ein dunkler Fleck.

»Du hast dich anscheinend am Arm verletzt«, meinte sie voller Mitgefühl. »Ist es eine Schnittwunde? Soll ich sie mir mal ansehen?«

Er errötete und machte ein finsteres Gesicht. »Nur ein Kratzer, weiter nichts.« Dann verfiel er in Schweigen.

Fidelma fragte weiter. »Weshalb bist du auf diese Pilgerfahrt gegangen, Bruder Guss?«

»Wegen Cummian.«

»Das verstehe ich nicht. Hat Cummian dir gesagt, du sollst auf diese Fahrt gehen?«

»Cummian hat einmal eine Pilgerfahrt zum Schrein des heiligen Jakobus unternommen und mir geraten, ich sollte für meine Ausbildung diese Fahrt auch machen.«

»Um fremde Länder zu sehen?« vermutete Fidelma.

Der junge Mann schüttelte überlegen den Kopf.

»Nein, um die Sterne zu sehen.«

Fidelma mußte einen Moment nachdenken, ehe sie begriff, was er meinte.

»Zum Schrein des heiligen Jakobus vom Sternen-feld?«

»Cummian sagt, wenn man an dem Schrein steht, kann man in den klaren Nachthimmel hinaufschauen und den Weg der Weißen Kuh erkennen, der sich direkt bis zu den Königreichen von Eireann erstreckt. Man sagt, daß unsere Ahnen vor mehr als tausend Jahren dem Weg der Weißen Kuh folgten und so an die Küsten des Landes gelangten, das sie besiedelten.« Kurz klang Begeisterung in seinen Worten auf.

Fidelma wußte, daß der Weg der Weißen Kuh unter vielen Namen beschrieben wurde. Im Lateinischen hieß er Circulus Lacteus, die Milchstraße.

»Deswegen heißt der Ort ja Sternenfeld, weil die Sterne so klar sichtbar sind«, fügte er hinzu.

»Also schlug Cummian vor, du solltest auf diese Pilgerfahrt gehen?«

»Als Schwester Canair ankündigte, sie wolle die Reise organisieren, sorgte Cummian dafür, daß ich sie begleiten konnte.«

»Du kanntest aber Schwester Canair schon?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nein, ich lernte sie erst kennen, als Cummian mich ihr vorstellte. Wir Studenten der Sternkunde kommen nicht viel mit den anderen Abteilungen der Gemeinschaft zusammen.«

»Also kanntest du niemanden aus dieser Pilgergruppe?«

Bruder Guss runzelte die Stirn.

»Die Brüder Cian, Dathal, Adamrae und selbst Bruder Tola kannte ich nicht. Sie kommen alle aus Bangor. Einige der anderen kannte ich vom Sehen.«

»Schwester Crella zum Beispiel?«

Ein Ausdruck des Abscheus huschte über sein Gesicht.

»Crella kenne ich.«

Rasch beugte sich Fidelma vor.

»Du magst sie aber nicht?«

Guss wurde merklich vorsichtig.

»Es steht mir nicht zu, jemand zu mögen oder nicht zu mögen.«

»Doch du magst sie nicht«, wiederholte Fidelma. »Gab es dafür einen besonderen Grund?«

Guss zuckte die Achseln, sagte aber nichts.

Fidelma versuchte ihn anders zu nehmen.

»Kanntest du Schwester Muirgel gut?«

Bruder Guss stutzte und verschloß sich wieder.

»Ich habe sie ein paarmal in der Abtei getroffen, bevor die Pilgerfahrt angekündigt wurde.« In seiner Stimme schwang Spannung mit. Fidelma versuchte sie zu deuten.

»Du mochtest Muirgel?«

»Das leugne ich nicht«, erwiderte er.

»Mehr als das?« riet sie.

Mit steinerner Miene blickte er Fidelma in die Augen. Er zögerte mit der Antwort.

»Ich sagte - ich mochte sie!« Das klang wie ein Protest.

Fidelma überlegte einen Moment, was wohl in ihm vorgehen mochte.

»Nun, daran ist nichts verkehrt«, meinte sie. »Was hielt sie von dir?«

»Sie erwiderte meine Gefühle«, sagte er ruhig.

»Es tut mir leid.« Fidelma legte ihm unwillkürlich die Hand auf den Arm. »Ich war zu aufdringlich. Der Kapitän hat mich ersucht, die Umstände ihres Todes zu untersuchen, deshalb muß ich solche Fragen stellen. Das verstehst du doch, nicht wahr?«

»Die Umstände ihres Todes?« Der junge Mann konnte tatsächlich lachen, aber es war ein hartes, mißtönendes Bellen. »Die Umstände ihres Todes kann ich dir erklären. Sie wurde ermordet!«

Fidelma starrte in sein zorniges Gesicht, dann sagte sie ruhig: »Du glaubst also nicht daran, daß sie einfach über Bord gespült wurde? Und was, glaubst du, ist wirklich mit ihr passiert, Bruder Guss?«

»Ich weiß es nicht!« Kam seine Antwort etwas zu rasch?