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»Backbordschoten fieren! Backbordleinen locker!« schrie Murchad.

Rasch führten die Matrosen seine Befehle aus, und das Großsegel veränderte seinen Winkel zum Schiff.

Murchad hatte den Wechsel der Windrichtung so genau berechnet, daß sich das Segel sofort füllte, und Fidelma spürte, wie das Schiff schneller durch die Wogen glitt.

Aufgeregt zeigte Wenbrit auf das angelsächsische Schiff, denn der Abstand zwischen beiden Fahrzeugen vergrößerte sich. Das Segel des anderen Schiffes hing schlaff. Murchad hatte recht behalten: Der Kapitän des anderen Schiffes hatte sich auf seine Ruderer verlassen und nicht auf Wind und Segel geachtet. Mehrere wertvolle Augenblicke lang lag der Angelsachse ohne Fahrt still.

Durch das Zischen der See und das Pfeifen des Windes in der Takelage hindurch hörte Fidelma ein Rufen schwach herübertönen.

»Was ist das?« fragte sie verwundert.

Wenbrit verzog das Gesicht.

»Sie flehen ihren Kriegsgott um Hilfe an. Hörst du das Rufen? >Woden! Woden!< Solches Geschrei aus angelsächsischen Kehlen kenne ich von früher.«

Mit stummer Frage schaute ihn Fidelma an.

»Das Land meines Volkes grenzt im Osten an das Gebiet der Westsachsen«, erklärte er. »Die fielen immer wieder in unser Land ein und riefen dabei Woden um Hilfe an. Sie glauben, das Größte, was ihnen passieren kann, ist, daß sie mit dem Schwert in der Hand und dem Namen Woden auf den Lippen sterben. Es heißt, daß dann dieser Gott sie hinaufträgt in eine große Halle der Helden und sie dort ewig leben.«

Wenbrit drehte sich um und spuckte über die Reling, um seinen Abscheu zu zeigen.

»Die Angelsachsen sind doch nicht alle gleich«, wandte Fidelma ein, als ihr Eadulf plötzlich vor Augen stand. »Die meisten von ihnen sind jetzt Christen.«

»Aber nicht die auf dem Schiff da drüben«, verbesserte sie Wenbrit spöttisch.

Das andere Schiff hatte nun in den Wind gedreht, die Ruder waren eingezogen, und das Segel füllte sich. Jetzt erkannte Fidelma deutlich die Zeichnung des Blitzstrahls auf dem Segel. Wenbrit sah, wie sie die Augen zusammenkniff.

»Sie haben einen anderen Gott namens Thunor, der einen mächtigen Hammer schwingt. Wenn er damit zuschlägt, erzeugt er den Donner, und die Funken, die dabei sprühen, sind die Blitze«, erläuterte er ihr voller Ernst. »Sie haben sogar einen Wochentag, der diesem Gott heilig ist und Thunors Tag heißt. Es ist der Tag, den wir Christen Dies Jovis nennen.«

Fidelma versagte es sich, dem Jungen zu erklären, daß dies der lateinische Name eines anderen heidnischen Gottes war, nur diesmal eines römischen. Sie hielt das für zwecklose Pedanterie. Von Thunor hatte sie schon in ihren langen Unterhaltungen mit Bruder Eadulf über den alten Glauben seines Volkes erfahren. Sie konnte sich kaum vorstellen, daß es Angelsachsen gab, die nach zwei Jahrhunderten Kontakt mit den christlichen Briten und den irischen Missionaren immer noch an die alten Götter glaubten, während die nördlichen Königreiche bereits von ihrem wilden Aberglauben an Krieg und Mordlust bekehrt waren. Sie beobachtete weiter das angelsächsische Schiff, das nun wieder aufholte.

»Jetzt nutzt er den Wind, Kapitän«, hörte sie Gurvan rufen. »Es ist ein schnelles Schiff, und ihr Kapitän weiß, wie er es mit dem Wind von achtern zu segeln hat.«

Das war noch untertrieben. Selbst Fidelma merkte, daß ihr Verfolger schneller durchs Wasser glitt als die »Ringelgans«. Schließlich war es ein Kriegsschiff und nicht wie Murchads Schiff für den friedlichen Handel gebaut.

Murchad blickte abwechselnd auf die Segel und auf das herannahende Fahrzeug. Er fluchte. So einen Fluch hatte Fidelma noch nie gehört, es war ein vollgewichtiger Seemannsfluch.

»Wenn das so weitergeht, holt sie uns bald ein. Sie ist kleiner und schneller, und außerdem hat sie die Luvposition.«

Fidelma wünschte, sie verstünde die Ausdrücke. Wenbrit kam ihr zu Hilfe.

»Die Windrichtung, Schwester«, erklärte er. »Nicht nur der Wind läßt den Angelsachsen aufholen, sondern durch den Winkel, in dem wir zum Wind liegen, werden wir auch noch auf seinen Kurs herübergedrückt und können keinen seitlichen Abstand von ihm halten.«

Ein Schauer der Furcht überlief sie.

»Dann wird uns der Angelsachse also einholen?«

Wenbrit grinste beruhigend.

»Ihr Kapitän hat bereits einen Fehler gemacht, vielleicht macht er noch einen. Es muß schon ein sehr guter Seemann sein, der besser segeln will als Murchad. Der weiß, was er seinem Namen schuldig ist.«

Fidelma erinnerte sich, daß Murchad »Seekämpfer« bedeutete.

Der Kapitän schritt jetzt hin und her und schlug mit der geballten Faust in die Fläche der anderen Hand. Seine Brauen waren gerunzelt, als suche er nach einer Lösung.

»Wende gegen den Wind!« schrie er plötzlich.

Gurvan fuhr zusammen, dann stemmten er und sein Gefährte sich gegen das Steuerruder.

Die »Ringelgans« drehte herum. Fidelma schwankte und mußte sich an der Reling festhalten. Einige Augenblicke verlor das große Schiff die Fahrt, dann schrie Murchad einen neuen Befehl zum Wenden.

Überrascht von Murchads plötzlichem Wechsel der Taktik mußte sich Fidelma erst nach dem anderen Schiff umsehen.

So fest hatte der gegnerische Kapitän darauf vertraut, seine Beute einzuholen und längsseit zu gehen, daß er mehrere kostbare Augenblicke brauchte, um zu erfassen, was Murchad vorhatte. Das leicht gebaute angelsächsische Kriegsschiff schoß unter vollen Segeln vor dem Wind fast eine Meile weiter, ehe die Segel gerefft waren und das Schiff auf den neuen Kurs der »Ringelgans« einschwenkte.

»Ein gelungenes Manöver«, sagte Fidelma zu Wenbrit, »aber gehen wir jetzt nicht gegen den Wind an? Kann uns der Angelsachse nicht trotzdem einholen?«

Wenbrit wies lächelnd auf den Himmel.

»Wir müssen zwar gegen den Wind segeln, aber der Angelsachse auch. Sieh, wie tief die Sonne am Horizont steht. Vor Einbruch der Nacht erreicht er uns nicht. Ich nehme an, Murchad will sich in der Nacht an ihm vorbeischleichen, vorausgesetzt, die Wolken bleiben und der Mond scheint nicht.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Haben wir den Wind in den Segeln, hat der leichtere und schnellere Angelsachse einen Geschwindigkeitsvorteil. Wir sind schwerer und unhandlicher. Kreuzen wir gegen den Wind, ist das anders. Die Wellen, die uns das Vorwärtskommen erschweren, behindern den Angelsachsen noch stärker. Wir können die hohen Wellen abreiten, während sie das leichtere Fahrzeug noch weiter nach Lee drücken, also haben die es schwerer, an uns heranzukommen.«

Murchad hatte die Erklärung des Jungen gehört und trat mit einem breiten Grinsen zu ihnen. Er schien mit seiner Segelkunst zufrieden und wirkte entspannter, seit das angelsächsische Schiff sich erneut herankämpfen mußte.

»Der Junge hat recht, Lady. Auch reicht unser Kiel tiefer als ihrer. Ein leichtes Schiff spürt jede Welle, während wir besser Kurs halten können, weil uns die unruhige Oberfläche weniger ausmacht. Gegen den Wind segeln wir besser als der Angelsachse.«

Murchad war wieder guter Laune.

»Der Angelsachse hat noch eine Weile zu tun, und inzwischen wird die Nacht anbrechen, und zwar, wie ich hoffe, mit schönen dicken Wolken. Dann steuern wir wieder nach Südsüdwest, und mit etwas Glück kommen wir im Schutz der Dunkelheit an ihnen vorbei.«

Fidelma blickte den stämmigen Seemann mit Bewunderung an. Wie gut Murchad sein Schiff kannte! Irgendwie erinnerte sie das an Roß und Reiter. Sie verstand auch, weshalb ihr dieser Vergleich in den Sinn kam. Murchad empfand für sein Schiff und die Elemente, die es bewegten, die See und den Wind, genau das gleiche, was ein guter Reiter für sein Pferd empfand. Er war eins mit ihm, als sei er mit ihm verwachsen.

Sie spähte zurück zu dem fernen Segelschiff.

»Dann sind wir also in Sicherheit?«

So absolut wollte sich Murchad nicht festlegen.

»Das hängt davon ab, ob ihr Kapitän besser vorausschaut als bisher. Er könnte damit rechnen, daß wir im Schutz der Dunkelheit den Kurs ändern, und dasselbe tun in der Hoffnung, uns im Morgengrauen wieder zu sichten. Ich schätze allerdings, er wird denken, wir kneifen und suchen Schutz in einem Hafen von Cornwall. Das ist die Richtung, in die wir jetzt segeln.«