»Warum habt ihr sie denn nicht gemocht?«
Bruder Adamrae zuckte die Achseln.
»Sie verachtete uns. Sie war eine sehr sexuell veranlagte junge Frau. Wir brauchen dir wohl nicht zu erklären, weshalb sie auf Dathal und mich hinabsah. Jedenfalls kann man nicht jedem mit Liebe und Barmherzigkeit begegnen. Nehmen wir mal Bruder Tola. Ich wäre nicht traurig, wenn er aus unserer Gesellschaft verlorenginge.«
Fidelma dachte an Bruder Tolas Einstellung zur Gelehrsamkeit und mußte lächeln.
»Ich verstehe, was du meinst. Aber hatte Schwester Muirgel etwas Besonderes an sich, was Abneigung hervorrief?«
»Etwas Besonderes?« Bruder Dathal lachte. »Ich würde eher sagen, alles an ihr ärgerte uns. Sie ließ jeden wissen, daß sie die Tochter eines Fürsten war und daß sie wegen ihres gesellschaftlichen Ranges immer die Führung haben müsse.«
»Warum seid ihr mit auf diese Pilgerfahrt gegangen?« Fidelma wußte die Antwort, sobald ihr die Frage entfahren war.
»Weil zu Beginn Schwester Canair die Gruppe leitete. Muirgel war einfach nur dabei. Schwester Canair konnte sie in ihre Schranken weisen, obgleich Muirgel auch da schon ihren Anspruch zu behaupten versuchte.«
»Ihr Charakter unterschied sich von dem Schwester Canairs?«
»Absolut. Schwester Muirgel war niedrig gesinnt, von Eifersucht zerfressen, hochmütig und ehrgeizig!« Bruder Dathal stieß die Worte geradezu gehässig aus. Fidelma sah ihn überrascht an. Bruder Adamrae kam ihm zu Hilfe.
»Ich glaube, man muß Dathal seine unchristlichen Gedanken verzeihen.« Er lächelte leise. »Wenn man die Wahrheit sagt, kann einem das auch als unfreundlich und hart ausgelegt werden.«
»Worauf richtete sich ihr Ehrgeiz?«
Die beiden Männer wechselten Blicke. Bruder Dathal gab die Antwort.
»Macht, nehme ich an. Macht über Menschen, Macht über Männer.«
»Ich habe gehört, sie habe die kleine Schwester Gorman schikaniert.«
»Davon hören wir zum erstenmal«, antwortete Adamrae. »Aber Gorman sonderte sich immer ab.«
»Und du sagtest, Muirgel sei eifersüchtig gewesen. Auf wen denn?« fragte sie, an Dathal gewandt.
»Offensichtlich auf Schwester Canair. Frage ihre Gefährtinnen aus Moville. Wir haben sie erst zu Beginn der Reise kennengelernt, aber auf dem Wege nach Ardmore haben wir allerhand gehört. Man reist nicht mehrere Tage in einer kleinen Gruppe, ohne manches aufzuschnappen, was die anderen verbergen möchten. Muirgel war derart eifersüchtig auf Schwester Canair, daß es uns erschreckte.«
»Was war der Grund für ihre Eifersucht?«
»Ich meine, in Schwester Muirgel nistete ein Haß, der in Gewalttätigkeit umschlagen konnte.«
»Es hieß, Muirgel sei eifersüchtig auf Canair wegen ... wegen Bruder Cian.«
»Wer hat euch das gesagt?«
»Bruder Bairne«, antwortete Dathal.
»Wart ihr also beunruhigt, als Schwester Canair an dem Morgen, als das Schiff auslief, nicht kam und Schwester Muirgel die Führung übernahm?«
Bruder Adamrae schüttelte den Kopf und antwortete: »Es gab zwei Gründe, weshalb wir uns keine Sorgen machten. Erstens hatte uns Schwester Canair nicht bis Ardmore begleitet. Sie wollte jemanden besuchen, bevor wir die Abtei erreichten. Deshalb war es logisch, anzunehmen, daß sie gar nicht nach Ardmore kommen würde. Zweitens blieb Schwester Muirgel mit uns in der Abtei, bis wir zum Kai kamen und feststellten, daß Canair nicht da war und wir aufs Schiff gehen oder die Abfahrt versäumen mußten. Dathal und ich wären mit oder ohne Canair an Bord gegangen, weil wir unsere Chance, nach Iberia zu reisen und unsere Forschungen zur alten Geschichte unseres Volkes abzuschließen, nicht verschenken durften.«
Fidelma überlegte angestrengt.
»Ich habe noch eine Frage.«
Bruder Dathal lächelte.
»Fragen rufen immer neue Fragen hervor.«
»Seid ihr sicher, daß Muirgel auf Schwester Canair und Cian eifersüchtig war? Ich habe gehört, daß Mu-irgel ihr Verhältnis mit Cian beenden wollte.«
»Nun, Bairne hat auch seine Probleme. Er war in Muirgel verschossen. Aber Muirgel mochte Canair wirklich nicht. Sie war wahrscheinlich erpicht auf die Macht und das bißchen Autorität, das Canair besaß.«
Bruder Adamrae nickte überzeugt.
»Ich glaube, wir haben dir geholfen, so gut wir konnten, Schwester. In unserem Geschwätz wirst du wohl die Antworten, die du suchst, nicht finden. Du hast sicher schon darüber mit Bruder Bairne gesprochen oder wirst es tun?« Er stand auf und öffnete die Kajütentür, und Fidelma ging hinaus, in größerer Verwirrung als zuvor.
Cian blickte überrascht auf, als Fidelma an seine Kajütentür klopfte und eintrat.
»Was kann ich für dich tun?« fragte er. »Bist du gekommen, um wieder über die Vergangenheit zu jammern?«
Kühl erwiderte Fidelma: »Ich suche Bruder Bairne, der die Kajüte mit dir teilt.«
»Wie du siehst, ist er nicht hier.«
»Das sehe ich«, bestätigte Fidelma. »Wo finde ich ihn?«
»Soll ich meines Bruders Hüter sein?« fragte Cian sarkastisch.
Fidelma sah ihn angewidert an.
»Du solltest daran denken, in welchem Zusammenhang diese Frage gestellt wurde, bevor du einen Scherz damit treibst«, erwiderte sie und ging, ehe er etwas erwidern konnte.
Sie fand Bruder Bairne am Eßtisch des Messedecks, wie er trübsinnig in einen Krug Met starrte. Seine Augen waren rotumrandet, und man brauchte ihn nicht nach seinem Gemütszustand zu fragen.
Er blickte auf, als sie eintrat und sich neben ihn setzte.
»Ich weiß«, sagte er, »ein paar Fragen. Ich habe schon alles über deine Nachforschungen gehört. Ja, ich war in Muirgel verliebt. Nein, ich habe sie seit gestern abend nach Ausbruch des Sturms nicht mehr gesehen.«
Fidelma nahm diese Aussage ohne sichtliche Überraschung entgegen.
»Du sagtest, du bist aus Moville, nicht wahr?«
»Ich war dort in Ausbildung, um das Wort Gottes unter den Heiden zu predigen«, bestätigte er.
»Warst du mit Schwester Muirgel gut bekannt?«
»Ich hab dir schon gesagt, ich war verliebt ...«
»Mit Verlaub, das ist nicht dasselbe wie jemanden gut kennen.«
»Ich kannte sie seit mehreren Monaten.«
»Natürlich kanntest du auch Schwester Crella?«
»Natürlich. Sie waren mehr oder weniger unzertrennlich. Muirgel und Crella schienen alles miteinander zu teilen.«
»Einschließlich ihrer Freunde?«
Bruder Bairne errötete und schwieg.
»Hat Muirgel deine Gefühle für sie erwidert?«
»Du hast sicher schon Schwester Crella danach gefragt?«
»Ich betrachte das als eine negative Antwort. Unerwiderte Liebe ist schwer zu ertragen, Bairne. Hast du Muirgel gehaßt, weil sie dich abwies?«
»Natürlich nicht. Ich liebte sie doch.«
»Ich habe mich nur gefragt, warum du heute vormittag ausgerechnet aus dem Propheten Hosea zitiert hast.«
»Ich war völlig außer mir. Ich habe einfach nicht nachgedacht. Ich wollte zuschlagen .«
»Du wolltest Muirgel treffen?«
»Ich ... ich glaube nicht. Hätte sich Muirgel mir zugewandt, hätte ich sie geliebt und beschützt. Aber sie wies meine Liebe zurück und wandte sich Leuten zu, die sie verletzen konnten und es auch taten. Sogar dieser einarmige Halunke, mit dem ich eine Kajüte teilen muß, konnte mit ihr machen, was er wollte ...«
»Bruder Cian?« fragte Fidelma.
»Cian! Wenn ich nur als Krieger ausgebildet wäre, ich hätte ihm eine Lektion erteilt.«
»Du hast Dathal und Adamrae erzählt, daß er ein Verhältnis mit Muirgel hatte? Daß Muirgel ihn noch liebte und auf Canair eifersüchtig war, weil Cian jetzt ein Verhältnis mit ihr hatte?«
»Ich wußte, daß er sie wegen Schwester Canair verlassen hatte, aus demselben Grunde, aus dem er alle seine Frauen im Stich läßt. Canair hatte ihm im Moment mehr zu bieten.«