Выбрать главу

»Schwester Gorman!« Fidelma hatte sich vorgenommen, einige Zeit mit dem Mädchen zu verbringen, denn sie war sichtlich überreizt, und niemand schien sich um sie zu kümmern. Das Mädchen schaute ihr mißtrauisch entgegen. »Ich hoffe, du machst dir nicht immer noch Vorwürfe wegen dessen, was mit Schwester Muirgel passiert ist?«

Die Miene des Mädchens wurde noch ängstlicher.

»Was meinst du damit?«

»Nun, als wir glaubten, sie sei über Bord gefallen, hast du mir doch gesagt, daß du dich schuldig fühltest, weil du sie verflucht hattest.«

»Ach das!« Gorman machte eine wegwerfende Geste. »Da war ich einfach albern. Natürlich hat nicht mein Fluch sie umgebracht. Das ist nun durch ihren Tod erwiesen. Wenn mein Fluch sie wirklich getötet hätte, dann hätte sie nicht noch zwei Tage gelebt.«

Fidelma hob leicht die Brauen bei der offenkundigen Gefühllosigkeit im Ton des Mädchens. Gorman machte sichtlich eigenartige Stimmungswechsel durch.

»Wie du weißt«, sprach Fidelma eilig weiter, »fragte ich jeden, wo er sich unmittelbar vor dem Frühstück befand Ich glaube, du hast gesagt, du warst in deiner Kajüte?«

»Ja.« Die Antwort war kurz.

»Zusammen mit Schwester Ainder, mit der du die Kajüte teilst?«

»Sie war eine Weile hinausgegangen.«

»Ach ja, das hat sie auch gesagt.«

»Muirgel ist tot. Du verschwendest nur deine Zeit mit solchen Fragen«, fauchte Gorman.

Fidelma stutzte bei ihrem rüden Ton.

»Es ist meine Pflicht«, erklärte sie und wechselte dann das Thema, um das Mädchen zu beruhigen. »Wie ich höre, singst du gern Verse aus der Bibel.«

»Alles ist in den heiligen Worten enthalten«, erwiderte Gorman beinahe arrogant. »Alles.« Plötzlich starrte sie Fidelma fest in die Augen, und auf ihrem Gesicht bildete sich wieder dieses unheimliche Lächeln.

»Dein Schade ist verzweifelt böse, Und deine Wunden sind unheilbar. Alle deine Liebhaber vergessen dein, Fragen nichts darnach. Ich habe dich geschlagen, wie ich einen Feind schlüge.«

Unwillkürlich erschauerte Fidelma.

»Ich verstehe dich nicht .«

Gorman stampfte tatsächlich mit dem Fuß auf.

»Jeremia. Du kennst doch wohl die Bibel? Das ist eine passende Grabschrift für Muirgel.«

Damit wandte sie sich ab und eilte an der hohen Gestalt Schwester Ainders vorbei. Diese wollte mit ihr sprechen, aber das Mädchen hielt nicht an, und die Frau machte ihrer Empörung mit einem Ausruf Luft, weil Gorman sie fast aus dem Gleichgewicht gebracht hatte.

»Ist mit Schwester Gorman etwas nicht in Ordnung?« fragte sie Fidelma.

»Ich glaube, sie braucht dringend eine Freundin, die ihr raten kann«, antwortete Fidelma.

Schwester Ainder lächelte tatsächlich.

»Das mußt du mir nicht erst sagen. Sie bleibt immer für sich, redet zuweilen mit sich selber, als brauchte sie niemand anderen. Aber man sagt ja auch, daß die wahren Heiligen Engel sehen und mit ihnen sprechen. Ich würde sie nicht verurteilen, denn vielleicht hat sie einen stärkeren Glauben als wir anderen alle zusammen.«

Fidelma blieb skeptisch.

»Ich meine, sie ist einfach eine Seele in Nöten.«

»Aber Wahnsinn kann auch eine Gabe Gottes sein, vielleicht ist sie damit gesegnet.«

»Glaubst du, daß sie wahnsinnig ist?«

»Wenn nicht wahnsinnig, dann ein bißchen wunderlich, wie? Sieh mal, da ist sie wieder und murmelt Verwünschungen und Flüche.«

Schwester Ainder preßte die Lippen zusammen und wollte dieses Thema anscheinend nicht weiter verfolgen, denn sie bemerkte: »An dieser Pilgerfahrt von Mönchen und Nonnen zu einem heiligen Schrein fehlt offensichtlich etwas.«

»Nämlich?« fragte Fidelma vorsichtig.

»Die Religion selbst. Ich fürchte, von wenigen Ausnahmen abgesehen ist Gott nicht mit denen, die diese Reise machen.«

»Wie kommst du zu diesem Urteil?«

Schwester Ainders Augen bohrten sich in Fidelmas Gesicht.

»Es war zweifellos nicht die Lehre Christi, die die Hand führte, die Schwester Muirgel tötete, und sie wiederum war keine richtige Nonne. Sie wäre in einem Bordell besser aufgehoben gewesen.«

»Du mochtest Muirgel also nicht?«

»Wie ich dir schon gesagt habe, ich kannte sie nicht gut genug, um sie nicht zu mögen. Mir hat nur ihr freizügiger Umgang mit Männern nicht gefallen. Aber damit war sie ja nicht fehl am Platz unter unseren sogenannten Pilgern.«

»Ich nehme an, du zählst dich nicht zu denen, die >fehl am Platz< sind? Gibt es noch weitere Ausnahmen?«

»Bruder Tola natürlich.«

»Aber ich nicht?« lächelte Fidelma.

Schwester Ainder schaute sie mitleidig an.

»Du bist keine Nonne. Dir geht es um das Recht, und eine Schwester des Glaubens bist du nur zufällig.«

Fidelma hatte Mühe, eine unbewegte Miene zu bewahren. Sie hatte nicht gedacht, daß es so auffällig wäre. Erst Bruder Tola und nun Schwester Ainder fühlten sich imstande, ihre Hingabe an Gott in Zweifel zu ziehen.

»Und was ist mit den anderen in der Gruppe? Meinst du, die gehörten auch nicht ins Kloster?«

»Mit Sicherheit nicht. Cian zum Beispiel ist ein Schürzenjäger ohne jede Moral und ohne einen Gedanken an andere Menschen. Er besitzt keinerlei Mitgefühl. Bei seiner Eitelkeit käme es ihm nie in den Sinn, daß er vielleicht andere verletzt. Krieger war wahrscheinlich der richtige Beruf für ihn. Das Schicksal ließ ihn Zuflucht in einem Kloster suchen. Das war ein falscher Entschluß.«

Dann wies Schwester Ainder auf Dathal und Adamrae. »Diese jungen Männer sollten lieber ... na ja!« Ihr Gesicht drückte ihr Mißfallen aus.

»Würdest du sie verurteilen?« forschte Fidelma.

»Unsere Religion verurteilt sie. Denk an die Worte, die Paulus den Römern schrieb: >Desgleichen auch die Männer haben verlassen den natürlichen Gebrauch des Weibes und sind aneinander erhitzt in ihren Lüsten und haben Mann mit Mann Schande getrieben und den Lohn ihres Irrtums (wie es denn sein sollte) an sich selbst empfangen. Und gleichwie sie nicht geachtet haben, daß sie Gott erkenneten, hat sie Gott auch dahingegeben in verkehrten Sinn, zu tun, was nicht taugt.<«

Fidelma verzog das Gesicht.

»Wir wissen alle, daß Paulus von Tarsus ein Asket war, der an Enthaltsamkeit und strenge Moral glaubte.«

Schwester Ainder schüttelte ärgerlich den Kopf.

»Es ist ganz klar, Schwester, daß du nicht die Worte beachtest, die Gott zu Mose sprach. Drittes Buch Mose, Kapitel achtzehn, Vers zweiundzwanzig: >Du sollst nicht bei Knaben liegen wie beim Weibe; denn es ist ein Greuel.< Ein Greuel!« wiederholte sie zornig.

Fidelma wartete einen Moment und sagte dann: »Ist nicht die Grundlage unseres Glaubens die Rettung aller? Wir sind doch alle Sünder und bedürfen alle der Rettung. Gott hat die Welt nicht verurteilt, deshalb haben wir kein Recht, sie zu verurteilen. Ich antworte dir mit den Worten des Johannesevangeliums: >Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde.<«

Schwester Ainder lachte sogar, wenn auch säuerlich.

»Du bist wirklich eine dalaigh, zitierst Sätze von hier und da zur Bekräftigung deiner Argumente. Du bist und bleibst eine Frau des Gesetzes, und doch sprichst du davon, die Welt nicht zu richten?«

»Ich richte nicht. Ich suche die Wahrheit - und in der Wahrheit liegt auch die Verantwortlichkeit.«