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Wenbrit kam mit einem Becher voll Schnaps und reichte ihn dem Krieger.

»Du solltest deine nasse Kleidung ablegen«, riet er ihm. »Ich glaube, ich finde ein paar passende Sachen für dich.«

»Das ist gut, meine Junge . « Er brach mitten im Satz ab.

Sein Gesicht war erstarrt, den Becher hatte er halb erhoben, den Mund wie zum Trinken geöffnet, die Augen weit aufgerissen. Ein ungläubiger Ausdruck huschte über sein Gesicht, an einer Wange begann ein Muskel zu zucken.

Fidelma drehte sich um und suchte den Grund dieser plötzlichen Veränderung.

Cian war an Deck gekommen, um zu sehen, was sich ereignet hatte, seit Murchad die Pilger unter Deck geschickt hatte. Er sah Fidelma und kam auf sie zu.

Aus der Kehle Toca Nias brach ein tierartiger Laut hervor. Der Becher entfiel seiner Hand, der Inhalt ergoß sich auf das Deck.

Bevor Fidelma begriff, was vor sich ging, stürzte sich der Mann auf den verblüfften Cian.

»Schurke! Mörder!«

Die beiden Worte fielen wie Peitschenhiebe.

Im selben Moment hatte er Bruder Cian erreicht, und seine Faust fuhr dem Verdutzten ins Gesicht. Einen Augenblick stand Cian mit blutiger, eingeschlagener Nase da, die Augen starr vor Verwunderung, dann fiel er rücklings um, so langsam, als wolle er den Gesetzen der Schwerkraft trotzen.

Kapitel 17

Fidelma stand vor Verblüffung wie angewurzelt da. Wenbrit reagierte als erster mit einem Warnruf. Zwei Matrosen erreichten Toca Nia, bevor er mit dem Fuß auf Cians ungeschützten Kopf eintreten konnte. Sie zerrten ihn, der sich sich heftig wehrte, von dem an Deck liegenden Cian weg. Murchad kam herbeigerannt.

»Was zum Teufel ...?« setzte er an.

»Teufel ist richtig!« tobte Toca Nia und bemühte sich mit haßverzerrtem Gesicht, sich dem Griff der Matrosen zu entwinden.

Fidelma beugte sich über den bewußtlosen Cian und fühlte ihm den Puls. Sie schaute zu Murchad auf.

»Würde wohl jemand Bruder Cian in seine Kajüte schaffen und sich um ihn kümmern? Die Verletzung scheint nicht gefährlich, aber er ist bewußtlos.«

Murchad winkte zwei Matrosen heran, und wortlos trugen sie Cian unter Deck.

Fidelma hatte sich erhoben und trat Toca Nia gegenüber. Er stand jetzt still im festen Griff der Matrosen. Mit gekreuzten Armen blickte sie ihm in das erregte Gesicht.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte sie ihn.

Toca Nia gab keine Antwort.

»Du bist uns eine Erklärung schuldig, mein Freund«, sagte Murchad. »Ich habe dich nicht aus dem Meer geholt, damit du einen meiner Passagiere totschlägst, noch dazu einen heiligen Bruder auf einer Pilgerreise. Was ist in dich gefahren?«

Toca Nia schaute Murchad in das ernste Gesicht und wandte sich dann an Fidelma.

»Das ist kein heiliger Bruder!«

»Das mußt du uns erklären«, beharrte Murchad. »Bruder Cian gehört zu den Pilgern, die auf meinem Schiff reisen.«

»Cian! Ja, so heißt er. Ich habe allen Grund, mich daran zu erinnern. Aber er ist ein Krieger wie ich. Einer der Krieger von Ailech. Er ist der >Schlächter von Rath Bile<!«

Fidelma starrte Toca Nia an und bemühte sich, seine Anschuldigung zu begreifen.

»Der >Schlächter von Rath Bile<?« wiederholte sie ratlos.

»Ein ganzes Dorf und eine Burg zerstört, alle Gebäude niedergebrannt, Männer, Frauen und Kinder niedergemetzelt auf Befehl von Cian von Ailech. Hundertundvierzig Seelen in den Himmel geschickt von diesem Scheusal ...« Toca Nias Stimme schwoll an vor Erregung.

Fidelma hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen.

»Beruhige dich, Toca Nia. Wieso bist du sicher, daß Bruder Cian für solch ein Massaker verantwortlich war?«

Das Gesicht des Iren war wutverzerrt, in seinen Augen stand seine Qual.

»Weil meine Mutter, meine Schwestern und mein jüngerer Bruder dort hingeschlachtet wurden, weil ich dabei war und es bezeugen kann.«

Fidelma saß auf der Koje in Murchads Kajüte, während der Kapitän sich auf einem Stuhl ausstreckte. To-ca Nia war in Gurvans Kajüte gebracht worden, und Drogan hielt davor Wache. Fidelma schaute besorgt drein. Die neue Situation hatte etwas Unwirkliches an sich.

»Ich habe noch nie erlebt, daß sich die Persönlichkeit eines Menschen derartig verändert«, erklärte sie Murchad. »Zuerst machte dieser Toca Nia einen angenehmen, freundlichen Eindruck, doch in dem Moment, als er Cian sah, verwandelte er sich in einen tobenden Irren und geriet völlig außer Kontrolle.«

Murchad zuckte die Achseln.

»Wenn seine Behauptung stimmt, ist seine Wut verständlich. Du kennst doch Cian von früher her, da mußt du doch etwas von dem gehört haben, was Toca Nia vorbringt?«

Fidelma machte eine verlegene Bewegung.

»Ich kannte Cian vor zehn Jahren«, gab sie zu. »Damals war er Krieger in der Leibgarde des Königs von Ailech. Darüber hinaus weiß ich nichts. Von diesem Rath Bile habe ich noch nie etwas gehört.«

Es trat ein längeres Schweigen ein, in dem Murchad in seinem Gedächtnis nachforschte.

»An einiges kann ich mich erinnern«, meinte er schließlich.

»Wann ereignete sich das?«

»Vor mehreren Jahren. Vielleicht vor fünf Jahren. Rath Bile liegt im Gebiet der Ui Feilmeda im Königreich Laigin.«

»Das heißt südlich der Abtei Kildare«, überlegte Fidelma. »In der Abtei war ich ein paar Jahre, aber an die Geschichte kann ich mich nicht erinnern.« Sie dachte einen Moment nach. »Vor fünf Jahren? Es könnte in der Zeit gewesen sein, als ich nach dem Westen geschickt worden war. Was weißt du von dem Massaker?«

Murchad zuckte die Achseln.

»Herzlich wenig. Es gab einen Konflikt zwischen dem Großkönig Blathmac und Faelan von Laigin - einen Streit darüber, ob die Ui Cheithig ihren Tribut an Blathmac in Tara oder an Faelan in Fearna zu entrichten hätten. Ich weiß, daß ein Vertrag geschlossen wurde. Aber anscheinend hatte Blathmac vor, Faelan wegen seines Widerstandes eine Lektion zu erteilen, und schickte eine Schar seiner Elitetruppe zu Schiff die Küste entlang ins Land der Ui Enechglais. Sie marschierte zur Burg von Faelans Bruder in Rath Bile und richtete ein Blutbad an. Es stimmt, daß viele Greise, Frauen und Kinder dabei ebenso ums Leben kamen wie die Handvoll Krieger von Laigin, die den Ort verteidigten.«

Fidelma war beunruhigt.

»Das ist eine Verwicklung, die uns auf dieser Reise gerade noch gefehlt hat.«

Murchad teilte ihre Besorgnis.

»Und du bist der Aufklärung des Mordes an Schwester Muirgel noch nicht näher gekommen? Es wird geflüstert, Schwester Crella sei die Schuldige. Stimmt das?«

»Ich sehe noch nicht klar. Es steckt mehr dahinter, als man auf den ersten Blick erkennt. Wie lange dauert es noch, bis wir den Hafen von Ushant erreichen?«

»Bei diesem Wind können wir in einer Stunde dort sein. Du mußt mir einen Rat geben, was ich mit Toca Nia und Cian machen soll, Lady.«

Fidelma schüttelte den Kopf. »Wenn ich die Gesetze über Kriegsverbrechen in den Critb Gablach richtig in Erinnerung habe, heißt es dort nur, daß nach Abschluß eines cairde oder Friedensvertrages alle Ansprüche dieser Art binnen eines Monats gestellt werden müssen. Wer nach dem Gesetz eine Entschädigung für ungesetzliche Tötung erlangen will, muß innerhalb dieser Frist darauf klagen. Das Massaker, von dem hier die Rede ist, ereignete sich vor mehreren Jahren.«

Murchad schaute trübe drein.

»Erst Mord und jetzt auch noch Kriegsverbrechen! In all meinen Jahren auf See habe ich so etwas nicht erlebt. Was müßten wir tun? Toca Nia hält mir Zitate aus der Bibel vor und verlangt Rache.«

»Rache ist nicht Gerechtigkeit«, erwiderte Fidelma.

»Dieser Fall gehört vor einen höheren Brehon, ich bin nicht befugt, hierüber zu entscheiden.«