Выбрать главу

Plötzlich wurde sie starr.

Sein unbrauchbarer Arm! Wie hätte Cian das Schiff um Mitternacht verlassen und sich allein an Land rudern können? Mit einem Arm war das Skiff unmöglich zu rudern. Und das Skiff! Mein Gott, was war nur mit ihrer Beobachtungsgabe los? Wenn er es durch ein Wunder fertiggebracht hätte, das Skiff vom Schiff zur Insel zu bewegen, wie kam das Skiff zum Schiff zurück? Jemand hatte Cian zur Insel gerudert und war mit dem Boot zurückgekehrt.

Eadulf hätte das gemerkt. Ach Gott, wie nötig brauchte sie ihn. Sie hatte sich so sehr daran gewöhnt, solche Dinge mit ihm durchzusprechen und sich seinen Rat anzuhören.

Sie hätte eher daran denken sollen, anstatt sich in Tagträume zu verlieren. Die Wirkung der sanften Wellen war zu einschläfernd und .

Da spürte sie auf einmal, daß die Wellen nicht mehr so sanft waren wie vorhin. Sie wurden kabbeliger, und sie hörte ein fernes Knallen. Sie öffnete die Augen und blinzelte. Das Großsegel der »Ringelgans« bauschte sich im Wind. Der versprochene Wind war aufgekommen, und das Schiff gewann Fahrt. Sie drehte sich um und schwamm ein paar Stöße.

Die Erkenntnis durchfuhr sie wie ein eisiger Schreck.

Das Tau um ihren Leib war nicht straff. Es schwamm, jedenfalls der Teil, der nicht vom Wasser durchweicht und deshalb schwerer war. Das Tau war nicht mehr an der Reling befestigt.

Sie stieß einen Hilferuf aus.

Sie sah weder Gurvan noch jemand anders an der Reling. Die »Ringelgans« entfernte sich mit zunehmender Schnelligkeit von ihr.

Sie schwamm jetzt um ihr Leben, aber der Wellengang wurde stärker, und es wurde schwieriger, schnell zu schwimmen. Noch als sie ausholte, war ihr klar, daß sie unmöglich das Schiff erreichen konnte, ehe es verschwand und sie allein mitten im Meer zurückließ.

Kapitel 20

Das Zischen der See, das leise Pfeifen des Windes über den schäumenden Wellen, die aus ihrem Blickwinkel gigantisch erschienen, bösartig und mächtig, übertönten alle anderen Geräusche. Sie glaubte ein fernes Rufen zu hören, doch mit gesenktem Kopf schwamm sie mit aller Kraft weiter. Dann war plötzlich jemand neben ihr im Wasser.

Überrascht schaute sie auf. Es war Gurvan.

»Halt dich an mir fest!« schrie er kaum verständlich, weil die Wellen über ihn hinweggingen. »Rasch!«

Fidelma hatte nichts dagegen. Sie packte ihn an den Schultern.

»Um Himmels willen, laß ja nicht los!« brüllte Gurvan.

Er drehte sich um, und nun sah Fidelma, daß er an einem Tau hing, das sie beide rasch durchs Wasser zog. Dunkle Gestalten an der Reling des Schiffes holten es mühsam ein, und sie merkte, daß sie langsam, fürchterlich langsam, von der reinen Muskelkraft der Matrosen an das Schiff herangezogen wurden.

Ihr kam ein schrecklicher Gedanke. Sie hingen hilflos an der Seite des fahrenden Schiffes, und wenn die Männer da oben das Tau losließen, würde der Schwung sie beide unter das Schiff drücken, und das wäre ihr sicheres Ende.

Dann wurden sie aus dem Wasser gehoben.

»Halt dich ganz fest«, schrie Gurvan.

Fidelma gab keine Antwort. Ihre Hände krallten sich unwillkürlich in die Kleidung des Steuermanns.

Augenblicke später wurden sie hochgezogen aus der See, die sie nicht loslassen wollte, deren weißschäumende Wellen wie mit Fingern nach ihnen griffen und sie in den Abgrund des Meeres hinunterzulocken versuchten.

Fidelma schloß die Augen und hoffte nur, daß das Tau nicht reißen würde. Dann packten Fäuste ihre Handgelenke und Arme. Sie hoben sie über die Reling, und sie sank auf dem Deck zusammen, nach Luft ringend und zitternd. Wenbrit eilte herbei und legte ihr ihre Kutte über die Schultern. Er machte ein besorgtes Gesicht. Sie blickte auf und lächelte ihn dankbar an, sprechen konnte sie nicht.

Es dauerte eine Weile, bis sie, noch unsicher, auf den Beinen stand. Wenbrit stützte sie. Gurvan lehnte neben ihr an der Reling und rang ebenfalls nach Luft. Hätte er seinen Rettungsversuch nur ein wenig später unternommen, hätte es keine Hoffnung mehr gegeben. Das Schiff schnitt jetzt schnell durch die Wellen. Das Segel bauschte sich unter dem aufgekommenen Wind. Mit stummem Dank streckte sie Gurvan die Hand entgegen. Erst dann konnte sie wieder sprechen und sagte: »Du hast mir das Leben gerettet, Gurvan.«

Der Steuermann zuckte die Achseln. In seiner Miene spiegelte sich seine Besorgnis. Schließlich fand auch er die Sprache wieder.

»Ich hätte besser aufpassen müssen, als du im Wasser warst, Lady.«

Murchad eilte herbei und war froh, daß Fidelma unverletzt war.

»Ich habe dich gewarnt, Lady, es ist gefährlich, so zu baden«, sagte er streng.

»Sieh mal.« Gurvan trat beiseite und wies auf die Reling. »Schau, Kapitän, das Tau ist zerschnitten.«

Das Ende des Taus war angebunden wie zuvor, aber nur ein kurzes Stück hing noch daran.

Fidelma versuchte zu erkennen, auf was Gurvan zeigte.

»Ist es gerissen?« fragte sie. Sie merkte, daß das eine dumme Frage war, denn jetzt fiel ihr auf, daß das Tau durchgeschnitten war, die einzelnen Stränge wie von einem scharfen Messer durchgetrennt.

»Jemand wollte dich umbringen, Lady«, erklärte ihr Gurvan leise. Er hatte recht, es war deutlich genug zu erkennen.

»Als ich im Wasser war«, fragte sie Gurvan, »wie lange hast du noch neben dem Tau gestanden?«

Gurvan überlegte.

»Ich wartete, bis ich sah, daß du gemütlich geschwommen bist. Du hast mir zugewinkt, und ich habe geantwortet. Dann hat mich Bruder Tola abgelenkt. Er fragte mich, wer da schwimmt und ob das nicht gefährlich wäre.«

»Bist du längere Zeit von dieser Stelle fort gewesen?«

»Höchstens ein paar Minuten. Ich ging nach achtern, um etwas mit dem Kapitän zu besprechen.«

»War sonst niemand an Deck?«

»Ein paar Matrosen.«

»Ich meine nicht von der Mannschaft, sondern von den Passagieren.«

»Da war die junge Nonne, Schwester Gorman, und Schwester Crella zusammen mit dem Mann mit dem kraftlosen Arm, Bruder Cian. Und dann noch der Schweigsame, Bruder Bairne.«

Fidelma blickte sich um und sah, daß die meisten von ihnen ein Stück entfernt zusammenstanden und sie verlegen beobachteten. Alle hatten bei ihrer Rettung zugeschaut.

»Kam jemand von ihnen dem Tau nahe?«

»Da bin ich nicht sicher. Jeder hätte es sein können. Ich ging sofort zurück, als ich merkte, daß der Wind aufkam. Da sah ich, daß das Tau durchgeschnitten war. Ich rief ein paar Matrosen, wir nahmen ein anderes Tau, und den Rest weißt du.«

Fidelma versank in Nachdenken.

»Lady.« Das war Wenbrit. »Zieh lieber deine nassen Sachen aus.«

Fidelma lächelte ihm zu. Ihr wurde bewußt, daß die nasse Seide sich an ihren Körper schmiegte wie eine zweite Haut. Sie zog die Kutte enger um sich.

»Ein Schluck corma wäre nicht verkehrt, Wenbrit«, meinte sie. »Ich bin in meiner Kajüte.«

Sie eilte über das Deck, und Mannschaft und Passagiere lösten sich in kleine Gruppen auf, in denen aufgeregt, aber leise geredet wurde.

Eine halbe Stunde später kam Fidelma, innerlich erwärmt durch das feurige corma und äußerlich durch ein kräftiges Abreiben und trockene Sachen, nach achtern zu Murchad in seine Kajüte. Der Kapitän sah immer noch verstört aus bei dem Gedanken, wie nahe die Schwester seines Königs Colgü von Cashel dem Tode gewesen war.

»Geht es dir wieder gut, Lady?« begrüßte er sie, als sie eintrat.

»Ich komme mir wie ein Trottel vor, Murchad, weil ich nicht daran gedacht habe, daß ein Mensch, der einmal getötet hat, manchmal Lust am Töten bekommt.«