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»Entschuldigung, Kapitän«, sagte sie. »Ich war mit den Gedanken woanders.«

Erst jetzt bemerkte Fidelma die Schäden, die der Sturm auf dem Schiff angerichtet hatte. Auf dem Deck lagen zersplitterte Rahen herum, das Wasserfaß war zu Bruch gegangen, und Taue und Takel hingen wirr durcheinander. Matrosen waren anscheinend vor Erschöpfung umgefallen, wo sie gerade standen.

»Ist jemand verletzt?« fragte Fidelma beim Anblick dieser Trümmer.

»Ein paar von meinen Leuten haben Kratzer abbekommen«, gab Murchad zu.

»Und die anderen Passagiere?«

Murchad schüttelte den Kopf.

»Denen wurde kein Haar gekrümmt, Lady - diesmal. «

Fidelma erschien es wie ein Wunder, daß das kleine Schiff zwei Tage lang von der wilden See derartig umhergeschleudert worden war und dennoch niemand verletzt wurde.

»Morgen oder übermorgen werden wir die iberische Küste in Sicht bekommen, Lady«, sagte er ruhig. »Und wenn ich gut navigiert habe, sind wir bald danach im Hafen. Von dort ist es nicht mehr weit über Land zum heiligen Schrein.«

»Ich werde froh sein, wenn ich der Enge deines Schiffes entronnen bin, Murchad«, gestand Fidelma.

Der Kapitän warf ihr einen trüben Blick zu.

»Was ich damit meinte, Lady, ist etwas anderes: Sobald wir den Hafen erreichen, haben wir keine Gelegenheit mehr, den Mörder von Muirgel oder Toca Nia vor Gericht zu bringen. Das wäre sehr schlecht. Die Geschichte würde dieses Schiff verfolgen wie ein Gespenst, sie würde wie ein Fluch auf ihm liegen. Meine Matrosen nennen diese Fahrt schon die Reise der Verdammten.«

»Das Rätsel wird gelöst, Murchad«, versicherte ihm Fidelma zuversichtlich. »Der Name deiner lieben Frau hat meine Überlegungen zum Abschluß gebracht, oder vielmehr, er hat mir einige Dinge deutlich werden lassen.«

Er starrte sie verständnislos an.

»Der Name meiner Frau? Aoifes Name hat dir gesagt, wer für die Morde verantwortlich ist?«

»Ich glaube, wir können den Schuldigen jetzt benennen«, erwiderte sie optimistisch. »Aber wir werden damit warten, bis alle Pilger zum Mittagessen versammelt sind. Dann werden wir alles mit ihnen besprechen. Ich möchte, daß du und Gurvan und Wen-brit auch dabei sind. Vielleicht brauche ich tatkräftige Hilfe«, fügte sie hinzu.

Sie lächelte über seine verwirrte Miene und legte ihm freundlich die Hand auf den Arm.

»Mach dir keine Sorgen, Murchad. Heute nachmittag weißt du, wer all diese schrecklichen Verbrechen auf dem Gewissen hat.«

Kapitel 21

Sie hatten sich versammelt, wie Fidelma es gewünscht hatte, und saßen zu beiden Seiten des langen Tisches in der Mittelkajüte. Murchad lehnte am Mastfuß, Gurvan saß etwas unbequem an einer Seite und Wen-brit mit baumelnden Beinen auf dem Tisch, auf dem er sonst das Essen zubereitete. Er verfolgte das Verfahren mit Interesse. Fidelma saß zurückgelehnt auf ihrem Stuhl am Kopfende des Tisches. Alle schauten sie erwartungsvoll an.

»Man hat mir nachgesagt«, begann sie gelassen, »daß ich jemand sei, der alles durch eine Art von Instinkt weiß. Ich kann euch versichern, das stimmt nicht. Als dalaigh stelle ich Fragen und höre zu. Manchmal erfahre ich durch das, was die Leute in ihren Antworten weglassen, mehr als durch das, was sie wirklich sagen. Aber ich brauche Informationen. Ich brauche Tatsachen oder auch Fragen, über die ich nachdenken kann. Ich prüfe lediglich diese Beweise und erwäge diese Fragen, und nur dadurch kann ich zu Schlußfolgerungen kommen.

Nein, weder verfüge ich über ein geheimes Wissen, noch bin ich eine Prophetin, die die Lösung eines Rätsels ohne Kenntnisse erahnt. Die Kunst der Ermittlung ist den Spielen fidchell oder brandubh vergleichbar. Alles muß offen auf dem Brett liegen, damit man die Lösung des Problems suchen kann. Das Auge muß sehen, das Ohr muß hören, der Verstand muß arbeiten. Instinkte können lügen oder in die Irre führen. Deshalb sind Instinkte nicht unfehlbar, wenn es darum geht, die Wahrheit zu ergründen, obwohl sie manchmal gute Führer sein können.«

Sie hielt inne. Es herrschte Schweigen. Alle blickten sie gebannt an wie Kaninchen einen Fuchs.

»Mein Mentor, der Brehon Morann, warnte uns Studenten immer vor dem Offensichtlichen, weil das Offensichtliche manchmal täuscht. Davon bin ich ausgegangen, bis ich merkte, daß das Offensichtliche des öfteren deswegen so offensichtlich ist, weil es die Wirklichkeit ist.

Wenn dir jemand begegnet, der mit stierem Blick, wirrem Haar und verzerrtem Gesicht die Straße entlangrennt, schreiend und mit Schaum vor dem Mund, ein blutiges Messer in der Hand und Blut auf seiner Kleidung, wofür würdest du ihn halten? Es könnte sein, daß er das Gesicht verzerrt und schreit, weil er sich verletzt hat, daß er ein blutiges Messer in der Hand hält, weil er gerade Fleisch zum Essen geschnitten und sich dabei mit Blut bespritzt hat. Es gibt viele mögliche Erklärungen, aber die offensichtliche lautet, er ist ein mordender Irrer, der auf alle losstürmt, die ihm oder ihr nicht aus dem Wege gehen. Und manchmal ist die offensichtliche Erklärung auch die richtige.«

Wieder hielt sie inne, aber es kamen keine Bemerkungen.

»Ich fürchte, ich habe lange auf das Offensichtliche gestarrt und es nicht als die Wahrheit erkennen wollen.

Als ich alles zurückverfolgte, gab es eine Person, mit der sämtliche Ereignisse in Verbindung standen, einen gemeinsamen Faktor, an dem auf keine Weise vorbeizukommen war. Cian war der gemeinsame Faktor.«

Cian erhob sich mühsam, das Schwanken des Schiffes warf ihn gegen den Tisch, und er rettete sich vor dem Fall, indem er sich mit einer Hand daran festhielt.

Gurvan war aufgestanden und hinter ihn getreten, und nun legte er ihm seine gesunde Hand auf die Schulter.

Cian schüttelte sie zornig ab.

»Du gemeines Biest! Ich bin kein Mörder! Nur aus deiner miesen Eifersucht klagst du mich an. Bloß weil ich dich nicht wollte .«

»Setz dich hin und sei still, sonst lasse ich dich von Gurvan bändigen!«

Fidelmas eisiger Ton beendete seinen Ausbruch. Trotzig blieb Cian stehen, und sie mußte es wiederholen.

»Setz dich hin und schweig, habe ich gesagt! Ich bin noch nicht fertig.«

Bruder Tola schaute Fidelma mißbilligend an.

»Cum tacent clamant«, murmelte er. »Wenn du ihm nicht erlaubst zu sprechen, wird ihn doch sein Schweigen verurteilen?«

»Er kann sprechen, wenn ich fertig bin und wenn er weiß, worüber er zu reden hat«, versicherte ihm Fidelma kühl. »Es ist besser, man spricht wissend als unwissend.« Sie wandte sich wieder an alle. »Wie ich schon sagte, als ich erst einmal erkannt hatte, daß Cian der gemeinsame Faktor bei allen diesen Morden war, wurde mir der Zusammenhang zwischen ihnen klar.« Sie hob die Hand, um einen neuen Ausbruch Cians abzuwehren. »Ich habe nicht gesagt, daß Cian der Mörder ist, merkt euch das. Ich habe bisher nur gesagt, daß er den gemeinsamen Faktor bildete.«

Cian war jetzt offensichtlich ebenso ratlos wie alle anderen. Er sank auf seinen Stuhl zurück.

»Wenn du mich nicht des Mordes beschuldigst, wessen klagst du mich dann an?« murrte er.

Sie warf ihm einen finsteren Blick zu.

»Es gibt viele Dinge, die man dir anlasten kann, Ci-an, aber in diesem besonderen Fall gehört Mord nicht dazu. Ob du der Schlächter von Rath Bile bist oder nicht, das geht mich nichts mehr an. Diese Anschuldigung ist mit Toca Nia gestorben.«

Sie betrachtete ihre Zuhörer, die immer noch wie gebannt dasaßen und darauf warteten, daß sie fortfuhr. Sie schaute einem nach dem anderen ins Gesicht. Cian starrte sie trotzig an. Bruder Tola und Schwester Ainder hatten eine leicht höhnische, spöttische Miene aufgesetzt. Schwester Crella und Schwester Gorman hielten die Köpfe gesenkt. Bruder Bairne machte den Eindruck eines gehetzten Tieres, seine Augen fuhren hin und her, als suche er einen Fluchtweg. Bruder Dathal hatte sich leicht vorgebeugt und erwiderte ihren Blick fast mit Begeisterung, als warte er freudig erregt auf ihre Enthüllungen. Sein Gefährte, Bruder Adamrae, starrte auf den Tisch und trommelte lautlos mit den Fingern, als ob ihn das ganze Verfahren langweile.