»Wenn ich dich richtig verstanden habe, wurde To-ca Nia umgebracht, weil er eine Bedrohung für Cian war, und diese Person, irrsinnig entschlossen, Cian zu schützen, sah in ihm nur die Bedrohung, die ebenso beseitigt werden mußte wie seine anderen Geliebten.«
»Die Person wollte Cian für sich allein«, bestätigte Fidelma.
»Abgesehen von Crella gab es niemand, mit der ich eine Affäre hatte«, stellte Cian fest, »außer ...« Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Fidelma mißtrauisch an, Furcht trat in seinen Blick.
Fidelma lachte spöttisch auf, als sie begriff, was in seinem Kopf vorging. Daß er sie beschuldigte, war einfach grotesk, aber es folgte aus seiner natürlichen Arroganz, daß er tatsächlich glaubte, sie hege nach all diesen Jahren noch so ein starkes Gefühl für ihn.
»Ich muß gestehen, als ich achtzehn Jahre alt war, hätte ich vielleicht auch das Opfer eines solchen Wahnsinns werden können«, gab sie vor allen zu. »Jugend verstärkt die Gefühle, und manchmal fehlt uns die Reife, sie zu beherrschen. Ja, auch in diesem Fall müssen wir die mangelnde Charakterfestigkeit der Jugend in Betracht ziehen. Aber du täuschst dich, Cian, wenn du glaubst, du hättest noch die Fähigkeit, solche Gefühle in mir zu wecken. Du erregst nicht einmal mein Mitgefühl.«
Bruder Dathal fragte wie ein eifriger Spürhund: »Aber du bist doch sicher nicht die Geliebte Cians gewesen, Schwester?«
Fidelma verzog resignierend das Gesicht.
»O ja. Vor zehn Jahren, als ich eine junge Studentin an der Hochschule des Brehons Morann in Tara war, bin auch ich dem Zauber Cians erlegen.« Sie schaute Cian nachdenklich an. »Es war eine unreife jugendliche Affäre auf beiden Seiten«, fügte sie mit einer Böswilligkeit hinzu, die sie sich selbst nicht zugetraut hätte. »Ich bin erwachsen geworden, Cian nicht.«
»Aber wie konnte diese wahnsinnige Geliebte das wissen?« fragte Bruder Dathal gespannt. »Wenn eure Affäre zehn Jahre zurückliegt, war das weit vor der Zeit, als Cian in die Abtei Bangor eintrat, und zweifellos lange bevor einer von uns ihn kannte.«
Fidelma warf ihm einen anerkennenden Blick zu.
»Du hast eine gute Frage gestellt, Bruder Dathal. Als ich an Bord kam, habt ihr alle erfahren, daß ich Cian schon kannte. Eine Person interessierte sich sehr dafür. Dieselbe Person hörte mit an, wie Cian und ich uns über unsere traurige kleine Affäre unterhielten.«
Sie wandte sich plötzlich an Cian.
»Sicherlich kannst du dir jetzt alles selbst zusammenreimen. Mir gegenüber hast du zugegeben, daß du Liebschaften mit Canair, Muirgel und Crella hattest.«
Noch bevor sie ausgeredet hatte, war Bruder Bairne von seinem Platz Cian gegenüber aufgesprungen und hatte sich über den Tisch geworfen. Er zückte ein Messer.
»Schweinehund!« schrie er, fuhr Cian an die Kehle und hob die Waffe.
Gurvan beugte sich vor, packte Bairnes Waffenhand mit eisernem Griff und bog ihm den Arm schmerzhaft nach hinten. Bruder Bairne schrie auf und ließ das Messer auf den Tisch fallen. Bruder Tola hob es geistesgegenwärtig auf und reichte es Murchad.
Bruder Bairne war kein Gegner für den stämmigen und muskulösen Bretonen. Während Cian sich aus dem Weg bog, zog Gurvan den vor Aufregung puterroten jungen Mann über den Tisch und drehte ihm den Arm auf den Rücken. Der junge Mönch erschlaffte, aller Kampfgeist schien von ihm gewichen.
Fidelma sah ihn strafend an.
»Das war ausgesprochen dumm von dir, Bruder Bairne, nicht wahr?«
»Ich hasse ihn!« jammerte der junge Mann.
»Du haßt ihn und verlangst nach ihm?« Schwester Ainder war entsetzt. »Das verstehe ich nicht!«
»Bruder Bairne, erkläre uns, warum du Cian haßt«, forderte Fidelma ihn geduldig auf.
»Ich hasse Cian, weil er mir Muirgel weggenommen hat.«
Cian lachte rauh.
»Wahnsinn! Muirgel gehörte dir nie, also konnte ich sie dir auch nicht wegnehmen, du dummer Junge!«
»Schweinehund!« rief Bairne wieder, aber Gurvan hielt ihn fest in seinem Griff.
Schwester Crella hatte wieder etwas Mut gefaßt.
»Cian sagt die Wahrheit. Muirgel wollte nichts mit Bairne zu tun haben. Sie hielt ihn für verschroben, für einen weichlichen Träumer. Und mit Cian hatte sie wirklich eine Liebschaft.«
Cian nickte bestätigend.
»Aber Muirgel und ich hatten diese Beziehung schon beendet, kurz bevor wir von Moville aufbrachen. Muirgel hatte einen anderen Liebhaber gefunden, und ich hatte Canair. So einfach war das. Muirgel erzählte mir, daß sie, so unwahrscheinlich das klingt, sich in Guss verliebt hatte.«
»Guss?« Crella starrte ihn entgeistert an. »Stimmt das? Das kann doch nicht sein.« Sie hielt sich die Wange, als sie entsetzt merkte, was ihre Leugnung der Beziehung ihrer Freundin zu dem jungen Mann bedeutete.
»Es stimmt«, erklärte ihr Fidelma. »Muirgel liebte ihn wirklich, und nur wegen deiner Abneigung gegen Guss hast du das nicht glauben wollen. Das ließ mich eine Zeitlang einen Verdacht gegen Guss hegen, und zugleich hat deine Abneigung, die ihm als Eifersucht erschien, Guss annehmen lassen, daß du die Mörderin wärst - deswegen seine große Angst vor dir, durch die er dann über Bord gefallen ist.«
Bruder Tola schüttelte verwirrt den Kopf.
»Ich verstehe immer noch nicht, weshalb Bruder Bairne Toca Nia töten sollte, wenn er, wie du sagst, Cian haßt. Mit Toca Nias Auftauchen hätten sich doch Bairnes Träume erfüllt - dadurch konnte er ihn endlich loswerden?«
Fidelma wurde ungeduldig.
»Du hast mich falsch verstanden. Bairne hat niemanden getötet. Dazu ist er überhaupt nicht in der Lage. Ihr habt doch gesehen, was für einen schwächlichen Versuch er eben gemacht hat! Ich komme auf das zurück, was ich gesagt habe, bevor er diese Torheit beging. Ich habe vorhin festgestellt, Cian könne sich jetzt alles selbst zusammenreimen. Er hat seine Liebschaften mit Canair und Muirgel zugegeben. Er hat sogar eine kurze Affäre mit Crella eingestanden. Aber es gibt noch eine Person an Bord dieses Schiffes, mit der er eine Affäre hatte, die einzige, die unsere Auseinandersetzung über unsere Jugend mitangehört hat.«
Schwester Gorman war aufgestanden, denn schon breitete sich Entsetzen auf Cians Gesicht aus, als ihm die Erinnerung voll zum Bewußtsein kam. In ihrer Miene spiegelte sich nicht Schuld, sondern Trotz, und ihre Augen glänzten eigenartig. Angriffslustig schob sie das Kinn vor. Ihr Lachen klang etwas hysterisch, es war eher ein schrilles Kichern, das einem boshaften Triumph glich. Als Fidelma sie anschaute, fand sie sich in ihrer Vermutung bestätigt, daß Gorman wahnsinnig war.
Finster blickte das Mädchen in die Runde.
»Ich habe kein Verbrechen begangen«, sagte sie verächtlich. »Heißt es nicht im ersten Buch Mose:
Fidelma verbesserte sie.
»Du zitierst aus dem Gesang von Lamech, dem Sohn von Methusael, dessen endloser Rachedurst durch Christi Wort verwandelt wurde. Weißt du, was Christus nach dem Evangelium des Matthäus zu Petrus sagte? >Da trat Petrus zu ihm und sprach: Herr, wie oft muß ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist’s genug siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: Nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal.< Laß Lamechs Schatten mit seiner Rache sterben, Gorman.«
Das Mädchen fuhr wütend auf sie los.
»Spiel hier nicht die Neunmalkluge, du babylonische Hure! Dich hätte ich auch umgebracht, aber du bist mir zweimal entgangen. Doch deine Strafe bekommst du noch. >Und ich sah ein Weib sitzen auf einem schar-lachfarbnen Tier, das war voll Namen der Lästerung und hatte sieben Häupter und zehn Hörner. Und das Weib war bekleidet mit Purpur und Scharlach und übergoldet mit Gold und edlen Steinen und Perlen und hatte einen goldenen Becher in der Hand voll Greuel und Unsauberkeit ihrer Hurerei, und an ihrer Stirn geschrieben einen Namen, ein Geheimnis: Die große Babylon, die Mutter der Hurerei und aller Greuel auf Erden. Und ich sah das Weib trunken von dem Blut der Heiligen und von dem Blut der Zeugen Jesu.<«