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»Nun, dann weißt du auch, daß Aoife auf alle eifersüchtig wurde, die Lir nahestanden, obgleich Lir sie liebte. Das wuchs sich zu einer solchen Besessenheit aus, daß sie völlig verbitterte und auf Böses sann und alle vernichten wollte, die Lir liebten, damit sie ihn ganz für sich allein haben könnte. Der Stachel unverständiger Eifersucht saß tief in ihrem Herzen, und sie mußte zerstören. >Eifersucht ist fest wie die Hölle<, wie Muirgel sagte.«

»Ich verstehe, wie das zu Gorman paßt, aber wie .?«

»Es fiel mir auf, wie sehr Gorman sich dafür interessierte, wie lange ich Cian kannte, schon gleich nachdem ich an Bord kam. Dann erklärte mir Crella, als ich sie am zweiten Tag der Reise befragte, daß Cian mit Gorman geschlafen habe. Ich achtete nicht weiter auf diese Dinge. Aber eine gute dalaigh muß ein hervorragendes Gedächtnis besitzen. Ich speicherte diese Tatsachen. Als ich dann ständig die Bibelzitate über Wollust und Eifersucht hörte, wurde mir allmählich klar, daß die Antwort in dieser Richtung zu finden war. Doch erst als du den Namen deiner Frau Aoife erwähntest und ich mich an die Eifersucht dieser Gestalt erinnerte, ging mir auf, wonach ich zu suchen hatte: nach unvernünftiger, rasender Eifersucht.

Cian schlief nur eine Nacht mit ihr, und in seiner Arroganz erinnerte er sich erst im letzten Moment wieder daran. Wie Aoife, die Frau Lirs, hatte Gorman den Verstand verloren. Ihr unverhohlener Haß war so offenkundig, daß ich sie zuerst als Verdächtige ausschloß.«

»Es ist schade, daß Schwester Gorman der Gerechtigkeit entging«, überlegte Murchad.

Fidelma dachte darüber nach, ehe sie antwortete.

»Ich meine, nein. Sie war geistesgestört, von einer Krankheit befallen, die einen ebenso verwirrt wie hohes Fieber. Ich glaube, ich kann verstehen, wie heftig die Eifersucht ist, die in einer Frau geweckt wird, wenn sie merkt, daß der Mann, von dem sie sich geliebt wähnt, sie betrügt.«

Fidelma errötete leicht, als sie das sagte, weil sie sich an ihre eigenen Gefühle erinnerte.

»Doch sie hat getötet. Müßte sie dafür nicht bestraft werden?«

»Ach, Bestrafung. Ich fürchte, ein neuer Moralbegriff dringt in unsere Kultur ein, Murchad. Das ist das einzige, was mir an dem neuen Glauben Sorgen bereitet. Die Bußgesetze der Kirche predigen Bestrafung statt Schadenersatz und Rehabilitierung wie unsere einheimischen Gesetze.«

»Aber das ist doch die Lehre des Glaubens.« Murchad war verwirrt. »Wie kannst du eine Glaubensschwester sein und diese Lehre nicht akzeptieren?«

»Weil es eine Lehre der Rache ist und nicht ein Gesetz der Gerechtigkeit. Unsere Gesetze verlangen Gerechtigkeit, nicht Rache. Juvenal schrieb, Rache bereite nur einem engstirnigen, kranken oder kleinlichen Geist Freude. Blut kann nicht mit Blut abgewaschen werden. Wir müssen Schadenersatz für die Opfer und Rehabilitierung der Übeltäter anstreben. Wenn wir das nicht tun, geraten wir in einen ständigen Kreislauf der Rache, und Blut wird immer wieder fließen. Diejenigen, die ihre Gesetze zum Fluch machen, werden unter diesen Gesetzen selbst leiden.«

»Hättest du es denn lieber gesehen, wenn das Mädchen entkommen wäre?«

Fidelma schüttelte den Kopf.

»Sie wäre sich selbst niemals entkommen. Ihr Geist war von diesem Wahnsinn so verstört, daß ich meine, in diesem Fall endete sie durch einen Akt der Gnade.«

Gurvan kam herbei und sah sie entschuldigend an.

»Gezeitenwechsel, Kapitän«, sagte er zu Murchad.

Murchad nickte ihm zu.

»Wir müssen in See stechen, Lady«, erklärte er respektvoll.

»Ich hoffe, eure Rückfahrt nach Ardmore wird nicht so abenteuerlich wie die Fahrt hierher.«

»Ich wäre nicht Seemann geworden, wenn ich Angst vor Stürmen und Piraten hätte«, grinste Murchad. »Mord an Bord habe ich allerdings noch nicht oft erlebt. Bleibst du lange in diesem Land, Schwester? Vielleicht machst du die Rückreise wieder auf meinem Schiff? Ich laufe diesen Hafen häufig an.«

»Das würde mich sehr freuen. Aber ich bin noch nicht sicher, was mir die Zukunft bringt. Kann schon sein, daß sich unsere Wege wieder kreuzen. Wenn nicht, möge Christus immer mit dir segeln. Und paß gut auf Wenbrit auf. Aus ihm kann noch mal ein guter Kapitän mit eigenem Schiff werden.«

Sie ging hinunter auf das Hauptdeck und verabschiedete sich von Gurvan, Wenbrit, Drogan und den anderen Besatzungsmitgliedern. Dann stieg sie auf den Kai. Murchad hob die Hand zum Gruß.

Sie sah zu, wie die Gangway auf den Kai zurückge-zogen wurde, die Taue gelöst wurden und die »Ringelgans« langsam ablegte. Sie winkte ihnen allen stürmisch zu, und dann überkam sie Heimweh, so daß sie langsam zu dem Wirtshaus zurückkehrte, in dem sie wohnte. Trotz der Traurigkeit empfand sie auch Erleichterung. Sie war im wesentlichen mit zwei Absichten auf diese Pilgerfahrt gegangen, und sie wußte, daß sie eine davon erreicht hatte. Es gab keinen Konflikt mehr zwischen ihren Rollen als Nonne und als dalaigh. Ihre Leidenschaft für das Recht ließ ihr keine Wahclass="underline" Sie würde es immer dem kontemplativen Leben vorziehen. Als sie beim Wirtshaus anlangte, war auf der »Ringelgans« schon das Segel gesetzt worden, und sie lief aus dem Hafen aus.

Fidelma setzte sich auf eine Holzbank im Schatten eines Weinstocks und schaute nachdenklich über das blaue Wasser der Bucht dem verschwindenden Schiff nach.

Der Wirt kam heraus und brachte ihr ein Glas mit einem Getränk aus frisch gepreßter Zitrone und kaltem Wasser. Schon in der kurzen Zeit ihres Hierseins hatte Fidelma gelernt, daß dies die beste Art war, den Durst zu löschen und trotz der Hitze kühl zu bleiben. Zu ihrer Überraschung reichte er ihr außerdem noch ein Stück gefaltetes Pergament. Sie verstand nicht ganz, was er sagte, doch er wies auf ein schlankes Fahrzeug, das erst vor einer Stunde eingelaufen war.

»Gratias tibi ego.« Sie dankte ihm auf Latein, der einzigen Sprache, in der sie sich etwas verständigen konnten.

Sie bezwang ihre Neugier, denn sie wollte zusehen, wie Murchads Schiff den Hafen verließ. Sie blieb noch eine Weile sitzen, nippte an ihrem Getränk und beobachtete, wie die »Ringelgans« die Meeresbucht entlangsegelte, die man hier ria nannte, bis sie hinter dem Vorgebirge verschwand. Es war angenehm, so in der Wärme der Sonne zu sitzen. Doch dann überwältigte sie wieder ein Gefühl der Verlassenheit. Sie versuchte es zu ergründen. War Verlassenheit das richtige Wort für ihre Stimmung? Es war besser, allein zu sein als in schlechter Gesellschaft - und sie trug wahrhaftig kein Verlangen danach, jemals wieder Cian gegenüberzustehen. Doch das hatte auch seine positive Seite; sie war froh, daß sie ihm noch einmal begegnet war.

All die Jahre war Cian ein Stachel in ihrem Herzen gewesen, denn sie erinnerte sich immer wieder der Ängste und der Leidenschaften ihrer Jugend. Nun war ihr ein Wiedersehen mit Cian gewährt worden, und sie hatte ihn aus dem Blickwinkel der Reife betrachtet. Sie hatte ihn studiert, und ihr war die Torheit der bittersüßen Heftigkeit ihrer jugendlichen Liebe klargeworden. Ohne jede Reue hatte sie Cian verabschiedet und sich eingestanden, daß das, was einmal war, nun vorbei war. Sie konnte es als eine Erfahrung des Erwachsenwerdens ansehen und nicht mehr als eine schwere Bürde, die sie ewig zu tragen hätte. Nein, Ci-an hatte keine Macht mehr über sie, und sie empfand das nicht als einen Verlust - eine enorme Last war ihr von den Schultern gefallen.

Irgendwie kehrten ihre Gedanken mit einer Plötzlichkeit zu Eadulf zurück, die sie für einen Moment so erschreckte, daß ihre Hand mit dem Glas zitterte.

Eadulf! Sie spürte, daß er ihr als ein verschwommener Schatten auf der ganzen Reise gefolgt war, als ein ätherischer Hauch auf ihrem Weg.

Warum kamen ihr gerade Worte von Publilius Sy-rus, ihrem Lieblingsautor von Maximen, in den Sinn?

Amare et sapere vix deo conceditur.

Selbst einem Gott ist es kaum vergönnt, gleichzeitig zu lieben und weise zu sein.