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Accobran fand als erster die Worte wieder.

»Das hast du noch nie zuvor ausgesagt, Brocc«, redete er vorwurfsvoll auf ihn ein. »Du hast nicht gesagt, daß du den Mörder wirklich gesehen hast.«

Der stämmige Mann blickte ihn herausfordernd an.

»Man hat mich vorher auch nicht danach gefragt, Tanist der Cinel na Äeda. Ich weiß, was ich weiß. Hast du gedacht, daß ich ganz ohne Grund auf die Abtei losmarschiert bin?«

»Andere sind gewiß davon ausgegangen«, erwiderte Fidelma ruhig. »Die meisten Leute glauben, daß du den Fremden gegenüber einfach nur voreingenommen bist. Das konnte man deinen Worten entnehmen. Jetzt sagst du zum erstenmal, daß du den Mörder gesehen hast.«

Broccs Schnauben reichte als Antwort darauf, was er von den anderen Leuten hielt.

»Beschreib uns also«, setzte Eadulf die Befragung fort, »beschreib uns den Mörder, und erzähl uns, warum du diesen wichtigen Beweis bisher verschwiegen hast. Du bist dem Mörder begegnet, hast deinen Bruder aber nach seiner verschwundenen Tochter suchen lassen. Man hat uns gesagt, daß Goll die Leiche fand. Das mußt du uns erklären, denn das verwirrt mich etwas.«

Fidelma blickte Eadulf anerkennend an. Die Widersprüchlichkeit zwischen Broccs Vorgehen und der Geschichte, die er ihnen auftischte, war offensichtlich.

»Ich sagte, ich sah den Mörder, nicht den Mord«, rechtfertigte er sich mit Nachdruck.

Eadulf schüttelte leicht den Kopf. »Was behauptest du da? Wie kannst du den einen ohne das andere sehen?«

»Erzähl uns deine Geschichte in allen Einzelheiten«, drängte ihn Fidelma. »Ganz einfach und verständlich. Sprich nicht in Rätseln.«

Broccs Blick verfinsterte sich. »Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Keine Wortklaubereien mehr. Entweder hast du den Mörder gesehen oder nicht. Was ist Fakt?« sagte Fidelma in strengem Ton.

»An dem Tag, als Escrach umgebracht wurde, hatte ich gerade aufwärts am Fluß Bride zu tun, nördlich von hier«, erwiderte Brocc. »Das kann mein Bruder bezeugen. Als ich zurückkehrte, war es schon Nacht. Ich kam gerade durch das Eberdickicht, und es war Vollmond.«

»Wohin wolltest du?« fragte Fidelma.

»Zu meiner Hütte, die sich am Rand der Lichtung dort befindet.«

»Wußtest du, daß Escrach ihre Tante besuchen und den gleichen Weg über den Hügel nehmen wollte?«

»Zu dem Zeitpunkt nicht«, erwiderte Brocc.

»Also bist du über den Hügel gegangen?«

»Mein Weg führte über den Sattel, von wo aus man die Abtei sieht.«

»Wie weit davon entfernt hat man Escrach gefunden?«

»Sie lag bei ein paar großen Felsblöcken, einem Steinkreis, der sich etwas höher befindet, auf der gleichen Hügelseite.«

Fidelma ermahnte ihn mit einer Geste, fortzufahren.

»Sonst gibt es kaum noch Nennenswertes. Ich kam über den Hügel und sah einen der Fremdlinge, einen von denen aus der Abtei.«

»Was hat er gemacht?« fragte Fidelma interessiert.

»Was der Fremdling tat? Nun, nichts. Er saß einfach nur beim Steinkreis der Wildschweine. Sein Gesicht war dem Mond zugewandt. Ich hätte wissen müssen, daß da etwas nicht stimmte. Als ich ihn grüßte, erwiderte er nichts darauf. Ihn umgab irgend etwas Düsteres - wie er da einfach so auf dem Hügel mitten im Mondlicht hockte, als wollte er sein Gesicht im Mondlicht baden.«

»Und was hast du dann gemacht?«

»Ich murmelte rasch ein Gebet und eilte heim zu meiner Hütte. Erst am nächsten Morgen erfuhr ich, daß man Escrachs Leiche entdeckt hatte.«

Nun herrschte Schweigen, Fidelma dachte über seine Worte nach.

»Du sagst also, daß du diesen Fremden dort sitzen sahst. Escrach hast du nicht gesehen. Am nächsten Tag fand man ihre Leiche an jenem Ort. Ist das so richtig?«

»Ja.«

Fidelma seufzte. »Das wirft viele Fragen auf. Doch es beweist keinesfalls, daß dieser Mann und Escrach aufeinandertrafen, und noch weniger, daß er sie umgebracht hat. Das Gesetz verlangt Beweise und nicht nur vage Mutmaßungen. Und diese Geschichte hast du dann deinem Bruder erzählt, oder? Am gleichen Tag hast du die Leute noch nicht dazu aufgewiegelt, die Abtei zu stürmen, nicht wahr? Warum hast du dir einen Monat Zeit gelassen, bis ein weiterer Mord geschah?«

Brocc schüttelte den Kopf wie ein großer zotteliger Hund. »Ich habe es meinem Bruder nicht gleich erzählt. Erst nach Ballgels Tod in der vergangenen Woche wurde mir der Zusammenhang bewußt. Als Es-crach in der Nacht des Dachsmondes dran glauben mußte, war mir klar, daß unter uns jemand ist, der immer bei Vollmond mordet. Da erst begriff ich, was ich damals gesehen hatte. Der Fremdling auf dem Hügel, der im Mondlicht badete.«

»Bist du zur Abtei gegangen, um den Fremden damit zu konfrontieren?« fragte Fidelma, immer noch skeptisch.

Seachlann kam seinem Bruder zu Hilfe. »Nachdem mir Brocc berichtet hatte, was ihm in jener Nacht aufgefallen war, sind wir alle losmarschiert. Die Leute wollten, daß man ihnen die Fremden auslieferte.«

»Wurde Brocc an jenem Tag vom Pfeil verwundet?«

»Ja.«

»Warum verlangtest du, daß euch alle Fremden ausgeliefert werden? Warum hast du die drei nicht holen lassen und denjenigen herausgesucht, den du in der Mordnacht gesehen hattest, und auf einer Erklärung bestanden?«

»Die sind doch alle gleich«, fuhr Seachlann wütend dazwischen. »Die sind alle genauso schuldig.«

»Das klingt nicht gerade sehr vernünftig«, meinte Fidelma.

»Du kennst sie noch nicht.«

»Dann werden wir das umgehend nachholen«, versicherte ihm Fidelma. »Doch fest steht, du warst weder Augenzeuge von Escrachs Tod noch von den anderen Morden. Als du den Fremden im Mondschein beobachtet hast, war er allein.«

»Niemand ohne böse Absichten würde nachts bei Vollmond auf dem Hügel sitzen, einfach so, und in den Mond starren«, widersprach ihr Brocc.

»Es gibt viele Gründe, aus denen man bestimmte Sachen tut, die einem Außenstehenden merkwürdig vorkommen mögen«, wies ihn Eadulf zurecht. »Wäre es nicht besser gewesen, nach Erklärungen zu suchen, anstatt jenem Mann Gewalt zu unterstellen ... Ihm und seinen Gefährten, die du gar nicht gesehen hast? Möglicherweise hatte der Mann guten Grund, sich zu dieser Zeit dort aufzuhalten.«

»Was für einen Grund?« warf Brocc aufgebracht ein.

Eadulf lächelte ein wenig. »Richtig! Niemand von uns weiß, warum er dort saß. Aber ehe wir irgendwelche Schlußfolgerungen ziehen, sollten wir der Sache genauer nachgehen. Escrachs Leiche wurde an derselben Stelle gefunden, doch wo ist der Beweis, daß Es-crach zur selben Zeit wie der Fremde auf dem Hügel war?«

Seachlann schüttelte verärgert den Kopf. »Du sprichst wie alle Mönche. Mit honigsüßer Zunge lenkst du uns von den Dingen ab, wie sie wirklich sind.«

»Vor der Wahrheit solltest du dich nicht fürchten, Seachlann«, fuhr ihn Fidelma an. »Üble Nachrede bringt die Zeit sowieso an den Tag.«

Eadulf nickte rasch. »Darf ich etwas vorschlagen? Vielleicht möchte Brocc uns zur Abtei begleiten. Es ist höchste Zeit, daß wir mit den Fremden sprechen, denen so viel Mißtrauen entgegenschlägt. Brocc kann dann im Beisein jener Leute erklären, was er sah, und derjenige, der auf dem Hügel war, kann seine Gründe dafür vorbringen, falls er welche hat. Ist das nicht besser und zivilisierter, als bewaffnet auf die Abtei loszuziehen und blutrünstig nach Rache zu schreien?«

Accobran, der lange Zeit nur zugehört hatte, stand zuversichtlich lächelnd auf. »Gut gesagt, sächsischer Bruder. Klingt alles ganz ausgezeichnet. Hast du irgendwelche Einwände, Brocc?«

Der Bruder des Müllers zögerte etwas und scharrte mit dem Fuß auf dem Boden herum.

»Nun, wenn es der Wahrheit dient«, brummte er gereizt. Fidelma wirkte erleichtert.

»Wir wollen nichts anderes als die Wahrheit herausfinden, Brocc«, sagte sie leise, aber entschlossen.

Die Abtei des heiligen Finnbarr lag im Schutze jenes Hügels, von dem bisher schon einige Male die Rede war. Dicke Holzwände oder Palisaden umgaben einige wenige Gebäude, von denen eine Holzkapelle herausragte. Das Tor war geschlossen, zwei finster dreinblickende Mönche standen auf einem Wachturm und hielten Ausschau. Erst als sie Accobran erkannten, rief einer von ihnen zum Tor hinüber, daß man öffnen solle.