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»Sprecht ihr alle die Sprache meines Volkes?« fragte sie.

Der Gesichtsausdruck des Mannes veränderte sich nicht. »Ich habe nur wenig von eurer Sprache gelernt. Meine Kenntnisse sind begrenzt. Meine Gefährten beherrschen sie gar nicht.«

»Welche Sprache sprecht ihr?«

»Unsere Sprache heißt Ge’ez und ist die Sprache des Königreiches Aksum.«

Das verkündete er mit einem gewissen Stolz. Fidelma mußte sich eingestehen, daß sie noch nie von jener Sprache und jenem Land gehört hatte. Der Fremde bemerkte ihre Verwirrung und sagte, ohne eine Miene zu verziehen: »Ich beherrsche zwar die Sprache deines Volkes nur begrenzt, aber wir alle können Griechisch und ein wenig Latein wie auch mehrere Sprachen unserer Nachbarländer.«

Fidelma war erleichtert. Griechisch war ursprünglich die Sprache der Weiterverbreitung des christlichen Glaubens, die Sprache der Bibel. Sie hatte mehrere Jahre lang Griechisch gelernt und las gern die antiken Philosophen im Original. Sie wußte, daß Eadulf diese Sprache auch beherrschte, und blickte nun fragend den Abt an.

»Spricht etwas dagegen, die Unterhaltung auf griechisch fortzuführen, damit wir mit der Befragung rasch vorankommen?«

Der Abt rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Meine Griechischkenntnisse beschränken sich auf die Heilige Schrift und werden kaum ausreichen, solch einem Gespräch zu folgen. Trotzdem bin ich einverstanden, die Unterhaltung so fortzusetzen, wie du es wünschst, Fidelma von Cashel.«

Fidelma lehnte sich zurück und blickte kurz zu Eadulf hinüber, um zu sehen, ob er etwas dagegen hatte.

»Das ist gut«, sagte sie nun auf griechisch. »So wollen wir uns richtig vorstellen.«

Der Sprecher der drei Fremden neigte den Kopf. »Ich bin Bruder Dangila, und meine Begleiter sind Bruder Nakfa zu meiner Linken und Bruder Gambela zu meiner Rechten.«

»Und ihr stammt alle aus dem Königreich Aksum?«

»Ja.«

»Wo liegt dieses Königreich?«

»Hinter Ägypten, zwischen dem Roten Meer und dem Fluß Atbara. Hast du noch nicht von der großen Hafenstadt Adulis mit ihren Kirchen und Palästen gehört? Aus Adulis wird die Welt mit Gold, Smaragden, Obsidian, Elfenbein und Gewürzen versorgt.«

Langsam schüttelte Fidelma den Kopf. »Die Gebiete hinter Ägypten sind mir unbekannt. Von Aksum habe ich noch nie zuvor gehört. Gibt es in deinem Land Christen?«

Zum erstenmal blickten die drei schönen Gesichter vor ihr freundlich, ja, die Männer lächelten beinahe.

»Wisse, Fidelma von Cashel, vor gut vierhundert Jahren christianisierte unser König Esana unser Land Aksum. Frumentius von Syrien lehrte Esana den Glauben und brachte uns das Licht, denn wir sind die wahren Nachfahren der Hebräer, und David war unser König. Bei uns befindet sich die Bundeslade, in der der Dekalog aufbewahrt wird.«

Fidelma mußte sich schon sehr bemühen, nicht vor Staunen die Fassung zu verlieren. Dort bewahrte man also so etwas Bedeutendes wie die Zehn Gebote auf, die Moses von Gott auf dem Berg Sinai empfing.

»Dein Königreich erweckt meine Neugier, und bei anderer Gelegenheit würde ich gern mehr darüber erfahren. Doch heute bin ich in Ausübung meines Amtes hier«, sagte sie bedauernd.

Bruder Dangila senkte den Kopf. »Wenn ich richtig verstanden habe, bist du Richterin und gleichzeitig die Schwester des Königs dieses Landes, nicht wahr?«

»So ist es. Werden die Gesetze dieses Königreiches verletzt, untersuche ich das und spüre den Schuldigen auf.«

»Wir verstehen.«

»Wie ihr wohl erfahren habt, wurden in der Nähe der Abtei drei junge Frauen grausam getötet.«

»Wir hörten davon«, erwiderte Bruder Dangila. »Draußen meinen die Leute, wir seien die Ursache dieser unglücklichen Vorfälle. Wir können von Glück sagen, daß Abt Brogan uns innerhalb dieses Klosters Schutz bietet.«

»Warum glauben eurer Meinung nach die Leute hier, daß ihr für die Morde verantwortlich seid?«

Zum erstenmal lächelte Bruder Dangila sie richtig an. »Denk an unser Aussehen, Fidelma von Cashel. Darin liegt die Ursache.«

»Das mußt du mir erklären.«

»Ich hätte gedacht, das erübrigt sich. Sind wir nicht äußerlich grundverschieden von deinem Volk?«

»Nun, das kann ich nicht abstreiten. Aber warum sollte euch das verdächtig machen?«

»Komm, laß die Diplomatie. Selbst Hunde bellen Leute an, die ihnen fremd sind.«

»Also du sagst, daß man euch beschuldigt, weil ihr ganz offensichtlich Fremde seid?«

Bruder Dangila streckte einen Arm vor, zog den Ärmel seines Gewandes hoch und zeigte seine nackte Haut.

»Streck deinen Arm aus, Fidelma von Cashel, und halte ihn daneben.«

Sie folgte der Aufforderung und streifte ebenfalls den Ärmel hoch.

Das Schwarz und das Weiß ihrer Haut lagen nun dicht an dicht.

»Genügt das nicht? Aus Unwissenheit entstehen leicht Vorurteile, Vorurteile wecken Furcht, und Furcht nährt Haß.«

Fidelma nahm ihren Arm zurück.

»Ja, so ist der Mensch leider«, pflichtete sie ihm bei. »Dennoch zwingt mich das Gesetz, die drei Mordfälle genauestens zu untersuchen, bis ich Beweise habe, die über Schuld oder Nicht-Schuld entscheiden. Mein Volk hat ein altes Sprichwort - die Lüge vergeht, doch die Wahrheit besteht.«

Bruder Dangila nahm wieder Platz. »Dann stell uns deine Fragen.«

»Fangen wir mit der Tatzeit an. Das Mädchen Ballgel wurde während des letzten Vollmondes ermordet. Wo waren deine Begleiter und du in jener Nacht?«

»Hier im Kloster«, erfolgte rasch die Antwort.

Bruder Dangila blickte zu seinen Gefährten und sah dann wieder Fidelma in der gewohnten unergründlichen Weise an.

»Wir waren im Schlafraum für Gäste. Wir hatten uns nach dem Angelusgebet gegen Mitternacht zurückgezogen. Und bis zum nächsten Angelusläuten am Morgen haben wir uns nicht fortgerührt«, sagte er.

»Das stimmt nicht ganz.«

Zum erstenmal meldete sich Bruder Gambela zu Wort. Er hatte eine weiche, fast weibliche Stimme. Bruder Dangila schien leicht verärgert.

»Wieso stimmt das nicht ganz?« wollte Fidelma wissen. »Erklär das doch bitte, Bruder Gambela.«

»Ich konnte nicht gleich einschlafen, kann aber demzufolge bezeugen, daß meine beiden Gefährten sofort zur Ruhe kamen. Mein Mund fühlte sich trok-ken an, also ging ich in die Küche mir Wasser holen.«

»Wie spät war es da etwa? Hat dich jemand gesehen?«

»Das weiß ich nicht. Es war vielleicht eine knappe halbe Stunde nach Mitternacht. Aber ja, mich hat jemand gesehen!«

»Wer?«

»Ich.« Abt Brogan hatte das eingeworfen. »Irgend-wann nach Mitternacht kehrte ich von dem Fest bei Becc zurück. Ich glaube, ich habe die Burg des Fürsten kurz nach Mitternacht verlassen und bestimmt nicht mehr als eine halbe bis eine dreiviertel Stunde für den Rückweg gebraucht. Als ich eintrat, sah ich Bruder Gambela aus Richtung der Küche kommen. Wir sagten uns gute Nacht.«

»Im vorletzten Monat wurde das Mädchen Escrach zur Zeit des Vollmondes ermordet. Wo wart ihr da alle?«

»In jener Nacht waren wir ebenfalls alle hier«, erwiderte Bruder Dangila.

Fidelma schwieg einen Moment. Ihr Blick wanderte von einem ausdruckslosen Gesicht zum nächsten.

»Stimmt das wirklich?« erkundigte sie sich leise.

»Bezweifelst du es?« fragte Bruder Gambela zurück.

»Wie wäre eure Antwort, wenn ich euch sagte, daß jemand in der Mordnacht einen von euch auf dem Hügel hinter dem Kloster gesehen hat? Er saß da und starrte zum Vollmond hoch.«

Die Gesichter der drei blieben ohne jede Regung. Einen Moment lang meinte Fidelma, sie würde keine Antwort erhalten. Doch dann sagte Bruder Dangila leise: »Wer ist derjenige, der so etwas behauptet, und wen von uns will er gesehen haben? Selbst wenn dem so wäre, seit wann ist das Sitzen auf einem Hügel und die Betrachtung des Laufs der Gestirne ein Verbrechen? Sagt derjenige auch, daß er das ermordete Mädchen zusammen mit dem, der auf dem Hügel saß, gesehen hat?«