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Bald gelangten sie auf eine Lichtung, auf der ein junger Mann von einem frisch gefällten Baum die Äste abhackte. Als er die Ankömmlinge sah, hielte er inne und richtete sich auf. Er war wohl keine Zwanzig, ein gutaussehender, braungebrannter junger Mann mit blondem Haar und blauen Augen, dem die Unschuld der Kindheit noch anhaftete. Er erkannte Accobran, und sein Blick wurde für einen Moment finster.

»Ich habe den Warnruf abgegeben«, sagte der junge Holzfäller.

Fidelma ließ ihr Pferd vor ihm halten und lächelte in sein streitlustiges Gesicht.

»Das hast du getan«, erwiderte sie munter.

Der junge Mann trat von einem Fuß auf den anderen, die Axt hielt er in der Hand. Mißtrauisch blickte er Fidelma und Eadulf an.

»Keine Sorge, Gabran«, sagte Accobran und brachte sein Pferd neben Fidelma zum Stehen. »Wir sind nicht hier, um dir irgendwelche Vorhaltungen zu machen.«

Gabran schaute voller Abneigung zum Tanist auf.

»Was willst du dann, Accobran?« fragte er in eisigem Ton. Das Verhältnis zwischen den beiden jungen Männern war offenbar nicht gerade freundschaftlich. »Und du mußt die Schwester des Königs sein - jene dalaigh, von der die Leute reden«, sagte Gabran plötzlich zu Fidelma.

»Wer redet von der dalaigh, Gabran«, fragte der Tanist gereizt. »Was noch wichtiger ist, was redet man über sie? Es ist nicht höflich, über die Schwester des Königs zu tratschen.«

Gabran richtete seine Antwort an Fidelma, nicht an Accobran. »Das Übliche eben.« Er war offenbar ganz ohne Falsch, was sein Verhalten gegenüber höhergestellten Personen betraf. »Letzte Nacht hörten wir in Condas Gaststube, daß die dalaigh eingetroffen ist.«

»Condas Schenke liegt an der kleinen Furt auf der anderen Seite jenes Hügels dort«, erklärte der Tanist verärgert und zeigte in die entsprechende Richtung. »Wir nennen ihn den Krähenhügel.«

»Es ist doch ganz normal, daß die Leute über so etwas reden.« Fidelma lächelte. »Ich wäre eher erstaunt, wenn mein Eintreffen nicht Anlaß zu Gerede wäre. Also«, sie blickte auf den jungen Holzfäller hinunter, »ich brauche dann wohl nicht zu erklären, warum ich dich und deine Eltern sprechen will.«

»Warum du mich sehen willst, ist mir klar. Zweifellos beschuldigt Lesren mich immer noch«, erwiderte Gabran. »Doch warum mußt du meine Eltern belästigen? Die haben schon genug unter seiner üblen Nachrede gelitten.«

»Ich möchte einfach nur ein paar Dinge klären, das ist alles. Ist eure Hütte in der Nähe?«

»Ja. Der Weg dort führt hinauf zu einem aufrecht stehenden Stein und weiter über den Hügel. Dann sieht man sie bald.«

»Reiten wir also los«, schlug Accobran vor. »Steig hinter mir aufs Pferd, Gabran, das erspart dir den Fußmarsch.«

Er streckte einen Arm aus, doch der junge Holzfäller schüttelte den Kopf.

»Ich muß noch mein Werkzeug einsammeln. Es ist kostbarer als mein Leben und darf nicht im Wald liegenbleiben. Mein Vater würde mir das Fell über die Ohren ziehen!«

»Dann warten wir eben, bis du fertig bist«, verkündete Fidelma. »Dein Vater hat recht. Werkzeug ist wertvoll. Manchmal ist es kostbarer als Gold. Nicht wahr, Accobran?«

Der Tanist stieß einen verächtlichen Laut aus. »Ich weiß nicht, was dein Werkzeug wert ist. Mein Werkzeug ist das hier!« Und er schlug mit der Hand auf den Griff seines Schwertes. »Das ist ganz gewiß sehr kostbar.«

Gabran packte rasch seine Geräte in einen Lederbeutel, den er sich über die Schulter warf. Dann kehrte er zögernd zu den Pferden zurück.

»Hinter Eadulf ist mehr Platz«, meinte Fidelma diplomatisch. »Er führt keine Kriegerausrüstung mit sich.«

Der Holzfäller packte Eadulfs Hand und schwang sich rasch hinter ihm hoch. Accobran ritt voran. Bei dem aufrecht stehenden Stein machte der Weg eine kleine Biegung nach rechts und wurde ein wenig steiler.

Bald erreichten sie eine größere Blockhütte - das Heim des Holzfällers Goll. Auf der Lichtung sah man Bretterstapel und eine Miete aus frisch gehackten Holzscheiten. Daran war leicht zu erkennen, welcher Tätigkeit die Bewohner dort nachgingen.

An der Tür tauchte eine Frau auf, die jemandem im Innern etwas zurief. Daraufhin erschien ein Mann, der Gabran sehr ähnlich sah. Gabran glitt von Eadulfs Pferd hinunter und ging schnell auf die beiden zu.

Fidelma und Accobran saßen ebenfalls ab. Eadulf tat es ihnen gleich, nahm die Zügel der drei Pferde und band sie an einem Pfosten fest, der wohl zu dem Zweck in die Erde gerammt worden war. Dann folgte er seinen beiden Gefährten zur Hütte. Gabran hatte seinen Eltern bereits erklärt, wer sie da besuchte.

»Sei willkommen, Lady. Ich bin Goll, der Holzfäller. Das ist meine Frau Finmed. Wir haben gehört, daß du auf Bitten unseres Stammesfürsten Becc hier bist. Und wir kennen auch den Grund dafür. Allerdings dachte ich, daß Lesrens ungeheuerliche Behauptungen längst widerlegt sind und man nun die Fremden in der Abtei verdächtigt.«

»Lesren beschuldigt Gabran nach wir vor des Mordes«, erwiderte Fidelma ruhig. »Es ist meine Pflicht, mir alle Anschuldigungen anzuhören und sie zu beurteilen, ebenso alle Fakten, die dafür oder dagegen sprechen.«

»Aber Brehon Aolü hat gesagt ...«

Finmed blickte warnend ihren Mann an.

»So tritt mit deinen Begleitern in unsere Hütte und trink mit uns einen Becher Met, Lady. Auf der Schwelle läßt es sich nicht gut reden.«

Fidelma sah sie erfreut an. Finmed hatte ein angenehmes Gesicht. Sie war immer noch hübsch, und in ihren ebenmäßigen Zügen spiegelten sich Freundlichkeit und Sanftheit.

»Das ist sehr nett von dir, Finmed. Danke für deine Gastfreundschaft.«

Golls Frau führte sie ins Innere der Hütte und ließ sie vor einem warmen Feuer Platz nehmen, während sie süßen Honigwein holte.

»Kommen wir zur Sache, Lady«, sagte sie, nachdem alle einen Schluck getrunken hatten. »Sicher weißt du schon, daß unsere und die Familie von Lesren miteinander zerstritten sind. Von dem, was zwischen uns vorgefallen ist, ehe Aolü sein Urteil sprach, wirst du auch gehört haben.«

»Ja, die Geschichte kenne ich. Deshalb muß ich mit euch allen sprechen«, entgegnete Fidelma. »Was ist der Grund für diese Feindschaft?«

»Das ist ganz einfach«, sagte Goll barsch und versuchte zu verbergen, daß ihn der bloße Gedanke daran aufregte. »Das reicht weit in die Zeit zurück, als Lesren noch mit Finmed verheiratet war. Er hat sie brutal geschlagen. Daraufhin hat sie sich von ihm scheiden lassen.«

Finmed blickte Fidelma an und nickte: »Das stimmt. Er war fast immer betrunken und schlug mich. Da habe ich ihn verlassen.«

»Ich habe gehört, daß du eine Entschädigung be-kommen und die Ehe mit der coibche beendet hast?« sagte Fidelma.

»So ist es.«

»Meine Frau hatte auch Anspruch auf den tinol, doch den tinchor wollte sie nicht«, betonte Goll.

Der tinol war eine Art Hochzeitsgeschenk, das die Braut von ihren Freunden erhielt. Zwei Drittel davon bekam die Braut, ein Drittel ihr Vater. War die Braut bei einer Scheidung im Unrecht, so konnte der Gatte Anspruch auf den Anteil der Braut erheben. Bei dem tinchor handelte es sich um Haushaltsgüter, die man als gemeinschaftlichen Besitz betrachtete. Da Finmed all diese Begünstigungen zugesprochen wurden, war klar, daß für das Scheitern der Ehe - zumindest dem Gesetz nach - Lesren verantwortlich war.

»Ihr meint also, Lesren hegt seit dieser Zeit Groll gegen euch?« fragte Fidelma.

»Ja.«

»Wie habt ihr es aufgenommen, als euer Sohn euch mitteilte, daß er in Lesrens Tochter verliebt ist?«

Goll und Finmed sahen sich einen Moment beschämt an, dann antwortete Finmed. »Es wäre unklug zu behaupten«, meinte sie und wählte sorgfältig ihre Worte, »wir hätten die Verbindung gutgeheißen, zumindest anfangs. Wir lehnten sie schon aus Prinzip ab. Dann lernten wir das Mädchen kennen. Beccnat schien die üblen Launen und Wutausbrüche ihres Vaters nicht geerbt zu haben. Wir mochten sie und hätten sie unter anderen Umständen sehr gern in unserem Haus willkommen geheißen. Am Ende gaben wir nach und überließen Gabran die Entscheidung.«