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»Das hat er mir heute morgen nicht erzählt.«

Auf Bruder Tüans Gesicht zeigte sich ein breites Grinsen. »Bist du etwa überrascht? Ich könnte mir denken, daß er das auch seinem Vater und seiner Mutter nicht verraten hat. Er wird daraus gelernt haben. Gab ran traf irgendwann im Laufe des Tages bei uns ein, und am Abend des Vollmonds war er vollkommen betrunken. Als Verwalter habe ich über alles ge-nauestens Buch geführt. Du kannst also gewiß sein, daß Gabran sich in jener Mordnacht auf keinen Fall in der Nähe des Mädchens aufgehalten hat.«

»Vielen Dank für diese erschöpfende Auskunft, Bruder. Ich werde die Sache für mich behalten. Hat Bruder Solam dir gesagt, daß man die drei Fremden verdächtigt?«

Der Mönch wirkte plötzlich mürrisch. »Darüber haben uns Gerüchte erreicht«, bestätigte er.

»Man hat mir erzählt, daß die Fremden zuerst in eurem Kloster Zuflucht gesucht haben.«

»Zuflucht? Das ist nicht ganz korrekt. Ein Sklavenschiff lief vor unserer Küste auf Grund. Teile des Schiffes strandeten im seichten Marschland unterhalb des Klosters. Ein paar Fischer fanden die drei Fremden, man hatte sie an einen Balken gefesselt. Sie waren mehr tot als lebendig. Bei Ebbe holte man sie an Land und brachte sie zu uns.

Und wie das Schicksal es wollte, ist einer unserer Brüder des Griechischen mächtig. Das war die einzige Sprache, in der wir uns mit den drei Sklaven verständigen konnten. Bald fanden wir heraus, daß es sich um Christen aus einem sehr fernen Land handelte - aus Aksum.«

»Gab es noch weitere Überlebende bei dem Schiffbruch?« fragte Fidelma.

»Nur wenige. Zumeist Franken, die sofort auf einem fränkischen Handelsschiff anheuerten, das in der Bucht lag.«

»Ihr habt den Fremden Obdach gewährt?«

»Ja. Wir haben sie von den Fesseln befreit und gesund gepflegt, denn sie waren offensichtlich ziemlich schlecht behandelt worden. Sie blieben eine Weile bei uns, lernten ein wenig unsere Sprache und berichteten uns von ihrer Heimat und wie der christliche Glaube dorthin gelangt war. Unser Schreiber hat viele Dinge festgehalten, im Gegenzug stellten sie ihm Fragen über unser Land, unsere Kultur und unsere Bildung. Merkwürdigerweise besaßen wir sogar ein paar Kunstgegenstände aus ihrem Land: silberne Kreuze, die ihnen unser Abt als Andenken an ihre Rettung aus der Seenot mitgab.«

»Wie man mir sagte, sind sie sehr an dem Werk des Gelehrten Aibhistin von Inis Carthaigh interessiert.«

»Als sie erfuhren, daß sich Bruder Aibhistin mit dem Mond und seinem Einfluß auf die Gezeiten beschäftigt hat, wurden sie ganz aufgeregt. Sie vermochten sich auf nichts anderes mehr zu konzentrieren. Besonders Bruder Dangila war versessen auf Aibhistins Abhandlung über den Mond und die Sterne. Er hat einige der Schriften, die wir im Kloster aufbewahren, darunter auch Abt Sinlans Chronologie und die astronomischen Traktate von Mo Chuaroc von Loch Gar-man geradezu verschlungen.«

»Ihr habt Bruder Dangila offenbar erzählt, daß Aibhistins Schriften hier in der Abtei des heiligen Finnbarr aufbewahrt werden, nicht wahr?«

Bruder Tüan überraschte sie mit seinem Kopfschütteln. »Niemand im Kloster Molaga hat ihm das gesagt, weil es einfach niemand wußte. Wir kennen alle Aib-histins Abhandlungen, doch niemand hatte eine Ahnung, wo sie sich befanden.«

»Woher hat es Bruder Dangila dann erfahren?« wollte Fidelma wissen.

Nachdenklich rieb sich Bruder Tüan das Kinn. »Ich schätze, daß er es von Accobran weiß.«

»Vom Tanist?«

»Genau. Ich war überrascht, daß sich Accobran in diesen Dingen so gut auskennt, auch wenn er natürlich einige Zeit in Molaga studiert hat. Er ist ein kluger Mann und tapferer Krieger. Ohne Leute wie ihn hätten die Ui Fidgente vielleicht längst in Cashel die Macht an sich gerissen und die Eoghanacht wären vernichtet worden.« Auf einmal errötete Bruder Tüan. »Ich möchte nicht unhöflich gegenüber deinem Bruder sein, Schwester.«

»Es ist allgemein bekannt, daß die Ui Fidgente seit vielen Jahren die Macht über dieses Königreich anstreben. Wie oft haben sie versucht, die Nachfolger von Eoghan in Cashel durch ihre Leute zu ersetzen. Außerdem ist es nicht verwerflich, die Wahrheit zu sagen. Doch was wolltest du über Accobran erzählen?«

»Accobran war vor gut zehn Wochen im Kloster Molaga, zur Zeit des Lughnasa-Festes ... Nein, warte, ich will genauer sein, was die Daten betrifft, denn ich weiß, daß du als dalaigh äußerste Präzision verlangst. Es war der Tag nach dem Fest, als Accobran bei uns eintraf. Er hat sich ein paarmal mit den Fremden unterhalten. Bald darauf verkündeten sie, daß sie zur Abtei des heiligen Finnbarr aufbrechen wollten, um dort mit dem Studium der Astronomie fortzufahren. Kurze Zeit nachdem Accobran uns wieder verlassen hatte, machten sie sich auf den Weg. Sicher hat er Bruder Dangila auf Aibhistins Schrift hingewiesen.«

»Das war also ein paar Tage nach dem Lughnasa-Fest? Kurz darauf wurde das erste Mädchen, Beccnat, ermordet«, murmelte Fidelma nachdenklich.

»Willst du damit sagen ...?« fragte Bruder Tüan.

»Ich denke nur über das Geschehene nach, Bruder Tüan. Was hältst du von den Fremden? So ganz allgemein.«

»Was ich von ihnen halte?« Bruder Tüan zuckte mit den Schultern. »Sie sind gewiß hoch gebildet. Sie sind höflich und besonnen. Sie sind reserviert und achten auf Abstand. Ich würde nicht sagen, daß sie besonders zugänglich sind. Sicher kann man leicht Vorurteile ihnen gegenüber aufbauen.«

»Warum?«

Bruder Tüan war unsicher. »Nun, sie sind so anders als wir.« »Meinst du damit ihre dunkle Hautfarbe?«

Bruder Tüan nickte.

»Lassen wir die Hautfarbe einmal beiseite und beurteilen wir die Fremden, wie wir jeden beurteilen sollten - nämlich nach ihrem Charakter.«

»Das ist leicht gesagt. Ich wünschte, alle Menschen könnten sich von ihren Ängsten vor Dingen und Leuten frei machen, die anders sind. Ich denke, daß man so hart über die Fremden urteilt, weil man sie fürchtet.«

»Angenommen, sie wären Fremde, unterschieden sich aber in ihrem Äußeren nicht von uns. Wie würdest du sie dann einschätzen?«

»Sie sind intelligent, gebildet, aber irgendwie unnahbar. Sie sind von einer Aura umgeben, die Argwohn weckt. Nach den Morden läßt das starke Interesse der Fremden an der Sternenkunde die Leute noch mißtrauischer werden.«

Fidelma verriet ihm nicht, daß Brocc behauptete, er hätte gesehen, wie einer der Fremden in der Mordnacht den Mond betrachtete. Sie behielt auch für sich, daß die Fremden nicht preisgegeben hatten, wer es war. Das alles war an sich schon verdächtig, und es brachte sie wieder auf den Anlaß ihres Besuches in der Abtei.

»Vielen Dank, Bruder Tüan. Du hast mir sehr geholfen.«

Sie erhoben sich beide von der Bank.

»Ich stehe dir auch weiterhin gern zu Diensten.«

»Bleibst du länger hier?«

»Ein paar Tage. Ich überbringe Briefe meines Abts an Abt Brogan und werde auf die Antwortschreiben warten, ehe ich wieder zur Küste zurückkehre.«

Er verabschiedete sich und ging zum Hauptgebäude hinüber. Gerade lief Bruder Solam über den Hof. Fidelma winkte ihn zu sich.

»Ich bin nun mit Bruder Tüan fertig«, sagte sie.

»Das freut mich, Schwester. Ich muß dringend mit dir sprechen«, erwiderte er.

Fidelma war ein wenig erstaunt über seine Direktheit. »In welcher Angelegenheit?«

»Nun, es betrifft den Fall, den du untersuchst.« Er sah sich mit verschwörerischem Blick um. »Die Sache mit dem Vollmond geht mir nicht aus dem Kopf. Es wird so viel über die Fremden geredet. Man vermutet, sie würden vom nächtlichen Himmel und dem Mond angezogen .«

»Und du möchtest mir nun etwas über die Fremden anvertrauen?« Fidelma führte ihn zu der Bank unter dem Apfelbaum.