Einen Moment stand er unentschlossen da, dann rief er dem Hund zu: »Aus, Luchoc!«
Sofort hörte der Hund auf zu bellen.
»Gott sei mit dir, Schwester, und mit dir, Bruder«, begrüßte der Jäger die beiden. »Achtet nicht weiter auf meinen Hund. Hunde, die bellen, beißen nicht.«
Fidelma lächelte ihn an.
»Luchoc ist ein eigenartiger Name für einen Jagdhund, Jäger«, erwiderte sie.
Der junge Mann nickte. »Tja, ich nenne ihn >guter Mäusefänger<, das paßt eigentlich nicht zu einem Hund, du hast recht. Doch der arme Kerl ist wirklich zum Mäusefangen besser als zum Jagen.«
»Du scheinst heute dennoch gute Beute gemacht zu haben«, warf Eadulf ein und wies auf den Keiler auf seinen Schultern.
»Das reicht eine ganze Weile für meine Familie«, stimmte der Jäger ihm zu. »Ihr seid offenbar fremd hier«, stellte er fest.
»So ist es«, entgegnete Fidelma. »Kennst du dich in dieser Gegend, dem Eberdickicht, gut aus?«
»Ich wohne auf der anderen Seite des Hügels. Schon mein ganzes Leben lang. Doch falls ihr hier jemanden suchen solltet, so kann ich nur sagen, daß die Gegend seit vielen Jahren ziemlich verödet ist. Noch zu Zeiten meines Großvaters war sie dicht besiedelt, doch heute ist sie es nicht mehr.«
»Man hat mir erzählt, daß es hier eine alte Mine gibt«, erkundigte sie sich neugierig.
Der Jäger lachte auf. »Eine Nonne und ein Mönch sind doch nicht etwa in dieses Land gekommen, um nach Gold und Silber zu suchen, oder? Ich habe die Leute von einer dalaigh und ihrem Gefährten reden hören, die bei unserem Stammesfürsten Becc zu Gast sind. Ich schätze, das seid ihr?«
»Ich frage tatsächlich aus beruflichen Gründen.«
»Nun, verlassene Minen gibt es hier in der Gegend jede Menge, außerdem ein paar Höhlen, die recht gefährlich sind, Schwester. Da sollte man besser nicht hineingehen, wenn man sich nicht auskennt.«
»Hast du nicht gesagt, daß du ganz in der Nähe wohnst?«
Die Augen des jungen Mannes funkelten mißtrauisch. »Ja, Schwester. Und ich bin meinem Fürsten Becc gehorsam.«
»Und du heißt ...?«
»Ich bin Menma, der Jäger. Da ich mich nun vorgestellt habe, wer seid ihr und woher kommt ihr?«
»Ich bin Fidelma von Cashel, Menma. Das ist mein Gefährte, Bruder Eadulf.«
»Dann stimmt es, was man unter den Cinel na Äeda erzählt - der König von Cashel hat eine Schwester, die eine berühmte dalaigh ist.«
»So ist es«, bekräftigte Fidelma.
Der junge Mann ließ den Keiler vorsichtig zu Boden gleiten und verneigte sich voller Respekt. »Ich bitte um Entschuldigung für mein unhöfliches Benehmen.«
»Davon kann nicht die Rede sein«, versicherte ihm Fidelma. »Dein Mißtrauen uns gegenüber war berech-tigt, wenn man bedenkt, was in den letzten Monaten hier geschehen ist.«
Der Jäger nickte zustimmend. »Das Land der Cinel na Äeda ist nicht groß, hier kennt man einander. Meine Frau war mit Escrach befreundet. Das ist eine schlimme Geschichte.«
»Das kann man wohl sagen«, pflichtete Fidelma ihm bei. »Menma, noch eine Frage: Kennst du die Mine und die Höhlen in diesem Berg?«
»Ziemlich gut, Lady.«
Sie schaute zum Himmel auf. »Es ist bereits spät, bald wird es dunkel. Doch würdest du uns führen, wenn wir uns ein andermal hier ein wenig umschauen wollen?«
»Sehr gern. Aber die Minen sind schon seit langem stillgelegt.«
»Ich möchte ja mit niemandem sprechen«, erklärte Fidelma. »Ich möchte nur das Gebiet genauer unter die Lupe nehmen, die alten Minen. Gibt es auch in der Nähe des Steinkreises der Wildschweine welche?«
Zu ihrer Enttäuschung schüttelte er den Kopf. »Nein, dort nicht. Doch oberhalb davon befindet sich eine Höhle, in der man einst nach Gold suchte. Auch die ist nun verlassen und gefährlich.«
»Können wir auf dich zählen, falls wir diese Höhle morgen näher erkunden wollen? Wo finden wir dich?«
Menma deutete nach rechts. »Dort führt ein Pfad durch den Wald. Wenn ihr ihm folgt, gelangt ihr zu meiner Hütte. Falls ich unterwegs sein sollte, ist meine Frau da. Sie wird euch zeigen, wie ihr mich erreicht. Blast dreimal in das Horn, das neben dem Feuer hängt. Sobald ich das höre, komme ich. Dieses Zeichen haben meine Frau und ich für Notfälle vereinbart.«
»Du bist sehr umsichtig, Menma«, stellte Fidelma fest.
»Ich mache mir lieber umsonst Sorgen, als daß ich mich leichtsinnig verhalte. Hier gilt noch das alte Sprichwort: Man soll nie mit beiden Füßen messen, wie tief der Fluß ist.«
Der Jäger bückte sich und hob den Keiler wieder auf seine Schultern.
»Ich werde auf euer Signal warten. Guten Heimweg zur Festung.«
Er hob die Hand mit dem Bogen zum Gruß und rief dann nach seinem Hund, der rasch auf ihn zurannte. Gleich darauf war er zwischen den Bäumen verschwunden.
»Jetzt können wir nach Rath Raithlen zurückkehren«, sagte Fidelma und wendete ihr Pferd.
Eadulf tat es ihr gleich. »Ich verstehe immer noch nicht, was du in den stillgelegten Minen finden willst.«
Er hatte eine sarkastische Antwort erwartet, doch statt dessen erwiderte Fidelma: »Um die Wahrheit zu sagen, Eadulf, ich bin mir auch nicht sicher, worauf das hinausläuft. Vielleicht führt es nur in die Irre. Mir geht einfach die Idee im Kopf herum, daß es hier ein Geheimnis gibt, bei dem Gold eine Rolle spielt. Erinnere dich nur an die mutwillig beschädigte Leiter im Festungsturm. Einer von uns hätte stürzen oder gar zu Tode kommen können!«
»Und dir kam der Verdacht, daß Gobnuid dahintersteckte.«
Überrascht blickte ihn Fidelma an. Manchmal unterschätzte sie Eadulfs Wahrnehmung.
»Ja. Gobnuid hat mir auch weismachen wollen, daß der Klumpen Gold, den Sioda gefunden hatte, unecht war. Warum hat er das getan?«
Eadulf verzog das Gesicht. »Weshalb bist du dir so sicher, daß das alles mit der Ermordung der drei Mädchen zu tun hat? Hast du mal bedacht, daß du vielleicht eine falsche Fährte verfolgst?«
»Ihre Leichen hat man aber hier in der Nähe gefunden«, unterstrich Fidelma.
»Was bedeutet das schon? Es gibt eine Menge von verdächtigen Orten. Zum Beispiel die Abtei. Dann Liags Einsiedelei.«
»Und außerdem ist da noch Lesrens letztes Wort .«
»Ein Name . der einen Hinweis liefern könnte und der Liag völlig unberührt ließ, als du ihn danach gefragt hast. Ich glaube, du solltest .«
»Still!« sagte Fidelma auf einmal und führte eine Hand an die Lippen, während sie mit der anderen am Zügel zog. Ihr Pferd schnaubte.
»Was ist ...«, meinte Eadulf.
Fidelma zeigte den Hügel hinunter in das aufkommende Dunkel.
Sie waren dem Pfad bis zum Rand des Hügels gefolgt, von wo man das Tal überblicken konnte. Unter ihnen lagen zu ihrer Linken die Gebäude der Abtei des heiligen Finnbarr. Etwas weiter entfernt gab es eine Lichtung. Eadulf konnte gerade noch zwei Gestalten ausmachen, die über die Lichtung eilten. Eine davon war etwas größer und trug ein flatterndes weißes Gewand. Bald darauf hatte das Dunkel der Bäume die beiden verschluckt.
Eadulf blickte Fidelma erstaunt an.
»Was geht da vor sich?« fragte er.
»Hast du jemanden erkannt?« wollte sie wissen.
»Nein.«
»Ich aber. Einer war Gobnuid, der Schmied. Der ist ja früh von seiner Reise zurück! Und der andere, Eadulf?«
»Keine Ahnung.«
»Denk nach, Eadulf! Eine hohe Gestalt im weißen Gewand!«
Eadulf wußte, worauf sie hinauswollte. »Einer von den drei Fremden, schätze ich. Nur welcher? Sie waren zu weit weg.«
»Doch es war einer von ihnen. Was aber haben Gobnuid und einer der Aksumiter in der Dämmerung hier zu schaffen?« überlegte Fidelma laut.