Eadulf unterdrückte einen Seufzer. Er hatte bereits oft miterlebt, wie Fidelma schon viele schwierige Fälle löste, doch noch nie hatte sie versucht, zuversichtlich zu wirken, wenn sie eigentlich beunruhigt war. Wieder kam es ihm so vor, als sei aus der einst so selbstsicheren, siegesgewissen dalaigh, in die er sich verliebt hatte, ein anderer Mensch geworden. Seit Alchüs Geburt hatte sie sich verändert, das war nicht zu leugnen.
Er hatte des öfteren gehört, daß Frauen nach der Geburt eines Kindes anders wurden: Sie unterlagen Stimmungsschwankungen und wurden Opfer von Verzweiflungsattacken. Die Gelehrten von Tuam Bre-cain, der medizinischen Hochschule, die er einst besucht hatte, meinten, daß dies zu den rätselhaften Dingen zählte, die eine Geburt bei Frauen auslösen konnte.
Die Ärzte gingen davon aus, daß dies die Folgen des großen Blutverlusts waren. Das Herz bildete ihrer Ansicht nach die Kraftquelle für das Gehirn, und es kontrollierte auch den Blutfluß. Bei Blutmangel wurde das Gehirn unterversorgt, was zu Ängsten und Depressionen führte. Daher waren die Frauen niedergeschlagen, erschöpft und ruhelos und fühlten sich von den Anforderungen des Alltags überfordert.
Dagegen war ein Kraut gewachsen. Wie hieß es doch gleich? Aber es würde sicher schwierig sein, Fidelma davon zu überzeugen, es einzunehmen. Als ihm auf einmal der Name des Mittels einfiel, hellte sich seine Miene auf.
Im selben Moment trat Accobran mit Goll und dessen verweinter Frau ein. Eadulf murmelte Fidelma rasch eine Entschuldigung zu, ging zur Tür und nahm Accobran beim Arm.
»Tanist, ich muß wissen, ob es in der Festung einen Färber gibt.«
»Ein dathatoir?« fragte Accobran leise.
»Ja«, entgegnete Eadulf. »Es gibt doch hier sicher eine dathatoirecht, eine Werkstatt, wo Stoffe gefärbt werden?«
»Nun, wenn du die Schmiede auf der Ostseite der Festung findest, so stößt du gleich daneben auf Moch-tas Werkstatt. Er färbt nicht nur die Kleider des Fürsten, sondern ...«
Eadulf hörte ihm nicht weiter zu, sondern eilte los. Accobran schüttelte den Kopf, während er dem Angelsachsen hinterherschaute. Dann ging er zu Fidelma, die gerade Goll und Finmed begrüßte. Der Holzfäller schien recht aufgebracht zu sein.
»Ich bin gekommen, dalaigh, um dir zu sagen, daß mein Sohn unschuldig ist«, fing er streitlustig an. »Außerdem möchte ich erklären, daß ich ein troscud abhalten werde, bis mein Sohn mit unbeschadetem Ansehen wieder frei ist.«
Fidelma bemühte sich, das Lächeln zu unterdrük-ken, das sich ungewollt um ihren Mund legte. Sie zog die Augenbrauen hoch und versuchte sich zu konzentrieren. Sie wirkte äußerst resolut.
Nun trat Finmed mit flehender Gebärde vor. »Mein Mann ist zu allem entschlossen, Lady. Ich habe mit ihm geredet. Doch wir wissen beide, daß Gabran unschuldig ist. In einem Moment der Schwäche hat er versucht, davonzulaufen, aus Angst, weil .«
Goll schnaubte höhnisch. »Worte werden ihm nicht die Freiheit wiedergeben. Ich bin darauf eingestellt .«
»Ohne Essen und Trinken auszukommen, bis man ihn freiläßt«, vollendete Fidelma den Satz. Erst im vorigen Jahr war sie bei der Lösung eines Falles einem Fürsten begegnet, der einem Volk mit einem troscud drohte, das die Bedeutung und den tiefen Sinn dieser Maßnahme nicht kannte. Golls Ankündigung gefiel ihr gar nicht.
»Hör zu, Goll. Hör mir gut zu, Holzfäller. Ein troscud ist das letzte Mittel, auf das man zurückgreifen sollte. Der langsame Hungertod stellte eine Waffe dar, mit der man nicht drohen sollte. Meinst du denn, es wäre moralisch gerechtfertigt, deinen Sohn auf diese Weise freizukaufen, falls er schuldig ist? Die Folgen davon hättest du dann auf dich zu nehmen.«
Goll schob ungestüm das Kinn vor. »Ich weiß, daß mein Sohn unschuldig ist, mich kann niemand von meinem Vorhaben abbringen.«
Traurig schüttelte Fidelma den Kopf. »Finmed, also wende ich mich an dich. Du bist viel vernünftiger als dein Mann und dein Sohn. Nimm deinen Mann und nimm deinen Sohn, und dann kehrt zusammen heim. Deine beiden Männer haben hitziges Blut, Fin-med.«
Finmed und Goll starrten sie an, als hätten sie ihre Worte nicht verstanden.
»Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?« fragte Fidelma. »Nehmt Gabran und geht nach Hause. Ihm wird kein Verbrechen vorgeworfen - er hat nur den Fehler gemacht, nicht an das letzte Wort der Gerechtigkeit zu glauben.«
Sie drehte sich um und verließ die Halle, erst danach begriffen Goll und Finmed, was sie gesagt hatte.
Kapitel 13
Nicht nur Accobrans Beschreibung führte Eadulf zu Mochtas Werkstatt, auch der stechendes Geruch, den die Farbstoffe verbreiteten, wies ihm den Weg.
Wie war nur die irische Bezeichnung für die Pflanze, die er suchte? Er meinte, daß sie brachlais oder so ähnlich heißen mußte. Im Angelsächsischen nannte man sie einfach Kraut - und die Christen kannten sie als Johanniskraut, nach Johannes dem Täufer, weil sie im Juni blühte, in dem die Geburt des Apostels gefeiert wurde. Diese Pflanze konnte - den alten Heilkundigen von Tuam Brecain nach - solche Zustände lindern, in denen sich Fidelma jetzt vermutlich befand. Sie wurde allerdings nur in den Sommermonaten gesammelt, sonst hätte er sie selbst in der üppigen Pflanzenwelt der Gegend suchen können. Er wußte aber, daß man in den restlichen Monaten des Jahres außer im Laden des Apothekers noch woanders Johanniskraut fand. Man benutzte es nämlich auch zum Färben.
Mochta, der Färbermeister, begrüßte ihn freundlich.
»Willkommen, sächsischer Bruder. Ich weiß, wer du bist und was dich in diese Gegend geführt hat. Ich habe dich und die Schwester des Königs neulich gesehen. Was willst du von mir?«
Eadulf erklärte ihm sein Anliegen.
»Johanniskraut?« Mochta überlegte. »Das verwende ich schon. Natürlich verwende ich es. Aus den Blüten gewinne ich Purpur, aus dem grünen Kraut Gelb. Eine sehr nützliche Pflanze für einen dathatoir. Wozu brauchst du sie?«
»Gib dich damit zufrieden, daß ich Verwendung dafür habe, mein Freund. Wenn du mir ein paar Stengel davon verkaufst, was müßte ich dafür bezahlen?«
Mochta rieb sich das Kinn.
»Wofür könntest du wohl Johanniskraut verwenden?« fragte er wieder. »Du willst doch am Ende keine Farbstoffe damit herstellen?«
Eadulf lachte. »Nein, ganz bestimmt nicht, Färbermeister. Über das Färben hinaus sind Pflanzen auch sonst sehr nützlich.«
»Ah, ich verstehe. Dann bist du so eine Art Heilkundiger, nicht wahr?«
»Ich habe Medizin studiert, aber ich bin eher ein Botaniker, als daß ich mich mit besonderen medizinischen Fähigkeiten brüsten könnte.«
Mochta strich sich mit dem Zeigefinger über die Nase, während er nachdachte. »Ich kann dir für einen screpall ein Bund Johanniskraut verkaufen, aber nicht mehr.«
»Ein Bund genügt mir schon«, erklärte Eadulf.
Am Abend war das Angelusläuten gerade verklungen, als sich die Leute in Beccs Halle versammelten. Eadulf setzte sich unauffällig auf einen der hinteren Plätze. Die meisten, die gekommen waren, hatte er am Vormittag auf Lesrens Beerdigung gesehen. Auch einige Brüder aus der Abtei waren erschienen.
Bebhail und Tomma hatte man genau gegenüber dem Amtssessel des Fürsten in die erste Reihe gesetzt. Unmittelbar hinter ihnen hatten Bebhails Verwandte Platz genommen, um ihr Beistand zu leisten. Zu beiden Seiten des Amtssessels standen weitere Stühle.