Fidelma gefiel das nicht, doch Menma hatte wohl recht.
»In diesem Höhlenteil hat man anscheinend nicht nach Edelmetallen gesucht«, sagte sie und blickte sich noch einmal um.
»Durchaus möglich«, stimmte ihr Eadulf zu. »Es wurde vor allem oben in der Haupthöhle gearbeitet. Niemand scheint so wagemutig gewesen zu sein wie wir und hat sich durch den Spalt gequetscht.«
»Es ist Zeit, wieder ans Tageslicht zurückzukehren«, warnte Menma jetzt eindringlich. »Die Fackeln ...«
Ehe sie begriffen, was geschah, hatte Fidelma mehrere Schritte nach vorn getan, sich über das dunkle Wasserbecken gebeugt, war ausgeglitten und in das schwarze Naß gefallen. Ihre Fackel war sofort erloschen, nun blieb nur noch das Licht von Menmas Fackel.
»Rasch!« rief der Jäger. »Zieh sie raus. Das Wasser hier unten ist eiskalt.«
Für Eadulf wäre diese Aufforderung nicht nötig gewesen. Kaum war Fidelma ins Wasser gerutscht, stand er schon am Wasserbecken.
»Sei vorsichtig!« beschwor Menma ihn.
Eadulf mußte auf den glatten Steinen sehr aufpassen, daß er nicht auch ausrutschte. Er bemerkte, wie Fidelma vergeblich nach einem Halt suchte, und hörte, wie sie in der Eiseskälte nach Luft japste. Er kniete sich hin und streckte einen Arm aus. Das Wasser war so kalt, daß es fast gefror. Fidelmas Gesicht war totenblaß in dem düsteren Licht. Dann konnte Eadulf ihre aufgeregt suchende Hand packen und sie herausziehen. Es kam ihm wie eine Unendlichkeit vor, bis er Fidelma aus dem dunklen Wasser hatte.
»Wir dürfen keine Zeit verlieren«, rief Menma. »Rasch, wir müssen zur Haupthöhle zurück, wo mehr Licht und Wärme ist.«
Eadulf folgte dem Jäger. Fidelma mußte er tragen. Sie eilten den schmalen Gang hinauf in den hallenartigen Höhlenraum und auf den Spalt zu.
An dieser Stelle zischte Menmas Fackel und verlosch. Nun war es ringsum stockdunkel.
Eadulf mit seiner fast bewußtlosen Gefährtin blieb stehen. Er war sich nicht sicher, ob er weitergehen sollte. Da hörte er Menmas Stimme nicht weit von sich.
»Ich bin jetzt an dem Spalt. Folge meiner Stimme.«
Eadulf zögerte, doch er hatte keine andere Wahl. »Ich werde es versuchen. Sprich weiter.«
»Also hier entlang. Ich kann die Öffnung spüren, die zur Haupthöhle führt. Schaffst du es?«
Eadulf tastete sich Schritt für Schritt vor, langsam, sehr langsam ... Menma redete die ganze Zeit über, doch nach einer Weile stieß Eadulf gegen ein Hindernis. Nun kam Menmas Stimme von rechts.
»Ich glaube, du bist gegen die Wand gelaufen. Bewege dich auf mich zu.«
Kurz darauf spürte er die ausgestreckte Hand des Jägers. Er trug die nun bewußtlose Fidelma auf der Schulter und ertastete sich den Weg zum Spalt.
»Gott sei Dank!« sagte Menma. »Ich quetsche mich zuerst durch, du schiebst sie hinterher und kommst nach. Dann schleppen wir sie zum Höhleneingang.«
Das war leichter gesagt als getan. Es schien Eadulf eine Ewigkeit zu dauern, bis ein schwacher grauer Lichtschein das Dunkel ersetzte und sie auf einmal in der Haupthöhle waren. Vom fernen Eingang her fiel ein wenig Tageslicht ein. Fidelma war immer noch bewußtlos. Beide Männer trugen sie nun zwischen sich. So gelangten sie hinaus in den trüben Herbsttag.
»Sie muß sofort die nassen Kleider ablegen, und sie braucht Wärme«, meinte Menma. »Von dem kalten Höhlenwasser kann man Erfrierungen davontragen. Die Sonne war noch nicht durchgedrungen. Bringen wir sie so rasch wie möglich zu meiner Hütte.«
»Schaffen wir sie zu den Pferden«, schlug Eadulf vor. »Ich reite zusammen mit ihr, und du kannst mein Pferd nehmen.«
Sie liefen den Hügel hinab bis zur Lichtung, wo die Pferde standen. Eadulf taten inzwischen sämtliche Muskeln weh. Menma hievte Fidelma aufs Pferd, nachdem Eadulf aufgestiegen war. Dann galoppierten sie los. Luchoc bellte aufgeregt, sobald sie sich der Hütte näherten.
Als sie von den Pferden absaßen, war Fidelma immer noch nicht wieder bei Bewußtsein. Suanach empfing sie mit sorgenvoller Miene. Menma erzählte ihr knapp, was vorgefallen war. Suanach bat die beiden Männer, Fidelma in den zweiten Raum der Hütte zu tragen, der als Schlafkammer diente. Dort legten sie sie aufs Bett. Suanach schickte Eadulf und Menma aus dem Raum und zog Fidelma rasch aus. Dann hüllte sie sie in Wolldecken und rieb ihre kalten Glieder warm. Menma hatte sie beauftragt, corma, ein heißes Starkbier, zu bringen und ein heißes Bad zu richten. Endlich durfte Eadulf wieder in die Schlafkammer.
Zu seiner Erleichterung saß Fidelma inzwischen auf dem Bett, und ihre Wangen hatten wieder Farbe bekommen. Sie lächelte ein wenig reumütig.
»Es sieht aus, als verdanke ich dir und Menma mein Leben.«
Eadulf setzte sich neben sie.
»Was hat dich nur dazu getrieben, in dieses Wasserbecken hineinzugreifen?« fragte er, wobei er seine Sorge mit einem gestrengen Ton zu überspielen versuchte.
»Ich hatte nicht die Absicht, hineinzufallen«, erwiderte sie trocken. »Die Steine waren rutschig. Wie dem auch sei« - sie streckte ihre Hand vor -, »das hier habe ich dabei entdeckt. Als ich in das Becken fiel, muß ich danach gegriffen haben. Ich habe es die ganze Zeit über in der Hand gehalten.«
Eadulf nahm ihr den Gegenstand ab. »Ein Stück von einer Silberkette? Warum setzt du dafür dein Leben aufs Spiel?«
»Betrachte es genau«, forderte sie ihn auf.
Er untersuchte das schön gearbeitete Schmuckstück gründlich und zuckte mit den Schultern.
»Was soll ich da erkennen?« fragte er.
»Hast du jemals in diesem Land so einen Schmuck gesehen?« fragte Fidelma.
Eadulf verzog den Mund.
»Ich bin kein Experte, was Schmuck betrifft«, erwiderte er.
»Ich denke, ich bin auf der richtigen Fährte«, stellte Fidelma fest. »Ich muß in die Höhle zurück.«
Eadulf starrte sie an. »Ich hätte gedacht, du hast von Höhlen erst mal genug. Du bist dort beinahe zu Tode gekommen.«
»Ich lebe ja noch, also ist dein Kommentar überflüssig.«
»Nun, zumindest heute solltest du dich ein wenig ausruhen«, sagte Eadulf entschlossen. »Weißt du eigentlich, wie lange du bewußtlos warst?«
Streitsüchtig erwiderte sie: »Hier steht das Leben vieler auf dem Spiel, Eadulf. Daran muß ich dich doch nicht erinnern, oder?«
»Nein, das mußt du gewiß nicht. Du mußt mich auch nicht daran erinnern, daß dein Leben auf dem Spiel steht. Es ist meine Pflicht zu verhindern, daß du dich in Gefahr begibst.«
Eadulfs Dickköpfigkeit glich der Fidelmas, wenn er glaubte, daß er recht hatte. Sie blickte ihn einen Moment lang finster an, dann wurde ihr jedoch klar, daß es stimmte, was er sagte. In ihrem Zustand konnte sie heute unmöglich noch einmal in die Höhle zurückkehren. Trotz ihres Drangs, die Spur weiterzuverfolgen, würde sie damit warten müssen.
Es klopfte leise an die Tür. Suanach trat mit einer Schale dampfender Brühe ein.
»Du solltest ein wenig von dieser Suppe zu dir nehmen und dich dann ausruhen, Lady«, sagte sie und blickte Eadulf vorwurfsvoll an.
Eadulf stand sofort auf. »Das sehe ich auch so. Bleib hier und ruh dich aus.« Er schaute Suanach an. »Ist euch das auch recht?«
»Natürlich, die Lady muß hierbleiben, bis sie sich wieder erholt hat. Zumindest über Nacht. Sie hat Schlimmes durchgemacht.«
Eadulf lächelte zufrieden. »Ich werde zur Festung zurückreiten und Becc von deinen Absichten in Kenntnis setzen. Morgen vormittag bin ich wieder zurück.«
Fidelma sah ihn mißtrauisch an. »Eadulf . Du wirst zur Festung zurückkehren und . Nun gut, du wirst doch nicht auf eigene Faust losziehen und etwas Unvernünftiges tun? Ich glaube, wir stehen da einer bösen Macht gegenüber, die gefährlicher ist, als wir meinen. Du darfst nichts ohne mich unternehmen.«
Eadulf beruhigte sie. »Trink die Brühe und ruh dich aus. Ich werde morgen vormittag wieder hier sein.«