Vor der Hütte stieß er auf Menma, der die Pferde abrieb.
»Wie geht es ihr?« erkundigte sich der Jäger besorgt.
»Recht gut inzwischen«, teilte ihm Eadulf mit. »Ich reite nach Rath Raithlen und sage dort Bescheid, daß Fidelma heute hier übernachtet.«
»Natürlich, Lady Fidelma wird unser Gast sein.«
Eadulf schaute zur Sonne auf, die sich jetzt zeigte. Es war kurz nach Mittag. Der ganze Nachmittag würde ungenutzt verstreichen.
»Morgen möchte sie wieder zu dem alten Stollen«, fügte er leise hinzu.
Menma wirkte erstaunt.
»Die Lady ist ziemlich hartnäckig«, erwiderte er. »Was verspricht sie sich davon?«
Eadulf gab keine Antwort, denn ihm kam da ein Gedanke. »Bis zum Einbruch der Dunkelheit sind es noch ein paar Stunden. Ich frage mich .«
Menma sah ihn erwartungsvoll an und erriet sein Vorhaben. »Du willst doch nicht allein zur Höhle, Bruder Eadulf?«
»Wenn wir nur richtige Lampen hätten .«
»Die habe ich. Wann willst du los?«
»Man soll nichts auf morgen verschieben«, entgeg-nete Eadulf in Hochstimmung.
»Dann sattle die Pferde. Wir können bis zu der Stelle reiten, wo ihr sie angebunden habt. Das spart Zeit. Ich werde die Lampen holen und starke Seile, falls du tiefer hinab in die Höhle willst.«
Kurze Zeit später näherten sie sich dem vertrauten Felseingang der Derc Crosda. Menma hatte Öllampen und zwei lange, feste Stricke mitgebracht. Seinen kleinen Hund hatte er zu Hause gelassen, denn er würde bei der bevorstehenden Höhlenerkundung nur hinderlich sein.
»Was versprichst du dir davon, Bruder Eadulf?« fragte Menma erneut, als sie den dunklen Eingang erreichten. Eadulf mußte gestehen, daß er es nicht wußte und eigentlich nur Fidelma zuvorkommen wollte.
Menma zündete die Lampen an, und sie begaben sich in die Haupthöhle. Diesmal liefen Eadulf und sein Gefährte zügig zu dem Spalt, der in den nächsten Raum führte, und weiter den schmalen Gang entlang zur zweiten Höhle mit dem Wasserbecken. Eadulf trat an dessen Rand und starrte auf die Stelle, an der Fidelma hineingeglitten war. Wie oft hatte er sich schon gewünscht, Fidelma möge ihn bei ihren Nachforschungen mehr beteiligen. Welches Geheimnis umgab wohl diese Silberkette?
Menma stand schweigend hinter ihm und wartete geduldig.
Während Eadulf um das dunkle Becken lief, entdeckte er, daß mehrere Gänge von diesem Raum ab führten. Er hob die Lampe hoch, um besser sehen zu können. Auch die schienen wieder von Menschenhand gemacht.
»Wann wurden diese Stollen angelegt, Menma?« fragte er.
»Ungefähr zu meines Großvaters Zeiten. Es muß eine recht ertragreiche Mine gewesen sein, doch irgendwann waren die Vorkommen erschöpft.«
Eadulf versuchte sich daran zu erinnern, was ihm Fidelma über den Bergbau in dieser Gegend erzählt hatte. Er betrachtete die Gänge genauer.
»Ich würde meinen, dieser Stollen hier wurde erst vor kurzem herausgeschlagen«, sagte er und zeigte auf die Spuren an den Wänden.
Menma trat näher.
»Der sieht wirklich neu aus«, gab er zu. »Auch wenn ich mir vorstellen kann, daß hier unten alles besser erhalten ist als über der Erde.«
»Mag sein«, erwiderte Eadulf, wenig überzeugt. Er beugte sich vor und hielt seine Lampe dicht an die Wand. »Diesen Gang sollten wir uns vornehmen«, schlug er vor und lief voran, ohne auf Menmas Zustimmung zu warten.
Der Stollen wirkte ungewöhnlich trocken. Er führte leicht nach oben, wurde immer schmaler und niedriger, so daß sie schließlich auf allen vieren kriechen mußten.
»Wir werden sicher zu einer Stelle gelangen, wo Erz abgebaut wurde«, sagte Menma. »Der Stollen wird sich einfach als Sackgasse erweisen.«
Eadulf war entschlossen, bis ans Ende vorzudringen, auch wenn Menma überzeugt war, daß es nur Zeitverschwendung war.
Sie gelangten in eine niedrige Ausbuchtung von etwa ein Meter achtzig Breite und zweieinhalb Meter Länge. Dort lagen Werkzeuge und Lampen herum. Selbst Menma mußte sich bei diesem Anblick die Augen reiben.
»Hier muß erst vor kurzem jemand gewesen sein«, erklärte Eadulf unnötigerweise. »Da hat gerade noch jemand gearbeitet.«
Etwas im Gestein glitzerte. Er ging darauf zu und hielt die Lampe hoch. Dann nahm er sein Messer vom Gürtel und kratzte daran.
»Eisenkies?« fragte er.
Menma, dicht neben ihm, schüttelte den Kopf.
»Ich schwöre, daß es sich um echtes Gold handelt«, sagte er. »Hier hat mein Großvater vermutlich seinerzeit geschürft, ehe der Stollen stillgelegt wurde. Ich kenne mich damit aus.«
Er streckte eine Hand aus, um das Metall zu berühren. Zu Eadulfs Überraschung rieb er mit dem Finger auf der glänzenden Oberfläche herum und leckte daran. Schließlich nickte er.
»Das ist ein Geschmack, den du nicht so leicht vergißt, Bruder Eadulf«, seufzte der Jäger. »Es ist echt. Du hast recht. Es sieht aus, als ob hier jemand kürzlich zugange gewesen ist.«
Eadulf grübelte.
Hatte der Junge, wie war noch sein Name - Sioda? -, hatte der Junge das Gold hier gefunden? Aber Gob-nuid hatte Fidelma erklärt, daß es nicht echt war, was sie allerdings bezweifelte. Und was hatte das mit den drei toten Mädchen zu tun? Das ging über seinen Horizont. Er sah da keinen Zusammenhang.
»Hat Lady Fidelma das gesucht?« fragte Menma.
»Ich glaube schon«, erwiderte Eadulf. Doch warum, dachte er bei sich. Welche Verbindung bestand zwischen dem Goldabbau und den drei Morden?
»Bist du dir ganz sicher, daß das Gold echt ist?« fragte er Menma noch einmal.
Nun griff der Jäger nach einem Werkzeug, das an der Seite stand.
»Das kann ich dir ganz leicht zeigen«, sagte er. »Wir werden etwas davon mitnehmen und es einem Schmied vorlegen. Ich bin mir sicher, daß es echt ist.«
Er machte sich daran, an der glitzernden Schicht herumzuklopfen, und hatte schnell einen kleinen runden Klumpen abgeschlagen. Er reichte ihn Eadulf. Dieser beäugte das Stück prüfend und steckte es in sein marsupium.
Bald darauf erblickten sie wieder das herbstlich trübe Sonnenlicht.
Sie liefen gerade den Hang hinab, als Menma plötzlich stehenblieb und Eadulf am Arm zog. Dann legte er einen Finger an die Lippen.
»Was ist los?« flüsterte Eadulf.
»Ein Geräusch, da fällt ein Stein ...«, flüsterte Menma zurück. Er drehte sich um, als hielte er Ausschau, und zeigte auf eine Baum- und Sträuchergrup-pe. Er eilte dorthin, Eadulf stürzte ihm hinterher. Im sicheren Unterholz ließen sich beide auf den Boden fallen.
Menma neigte den Kopf zur Seite und lauschte. »Da kommt jemand auf der anderen Seite den Hügel hinauf, von der Abtei her. Ich dachte, dir wäre es recht, wenn wir erst einmal schauen, wer das ist.«
Eadulf wollte gerade etwas antworten, als am Felsvorsprung eine Gestalt in ihr Blickfeld geriet. Sie bewegte sich rasch vorwärts und spähte dabei ständig nach hinten, als würde man sie verfolgen. Bei dem offenen Gelände vor der Höhle zögerte die Gestalt und wandte sich um. Es handelte sich um einen Mann. Erschrocken dachte Eadulf, daß er genau auf das Unterholz zulief, in dem sie sich versteckt hielten. Doch dann schien er es sich anders zu überlegen, denn er eilte auf eine Felsgruppe seitlich des Höhleneingangs zu, um sich dort zu verbergen. Nun erkannte Eadulf den Mann.
Es war Goll, der Holzfäller, Gabrans Vater.
Eadulf blickte Menma fragend an, doch der Jäger legte wieder einen Finger an die Lippen. Er lag immer noch flach am Boden und blickte konzentriert in die Richtung, aus der Goll gekommen war.
Plötzlich hörte Eadulf neue Geräusche.
Ein junger Mann tauchte auf. Es handelte sich um Gabran. Der Vater beobachtete also seinen eigenen Sohn aus einem Versteck. Eadulf sah wieder zu Men-ma und zuckte mit der Schulter. Gabran schien die Höhle überhaupt nicht zu beachten. Geschwind ging er weiter und verschwand in dem dichten Wald aus Eichen und Erlen. Sie sahen, wie Goll sich aus seinem Versteck erhob und gleich darauf wieder hinter den Steinen abtauchte.