Eadulf wollte etwas sagen, doch erneut hieß ihn Menma mit einer Geste, sich still zu verhalten.
Nun erschien ein großer Mann, der genau auf den Höhleneingang zusteuerte, aus dem Eadulf und Menma vor kurzem gekommen waren.
Es gab keinen Zweifel, daß es einer der Fremden aus dem Kloster war. Die hochgewachsene Gestalt, die so zielsicher und würdig daherschritt, war Bruder Dangila. Über der Schulter trug er einen Beutel mit Werkzeugen.
Ohne Zögern ging er auf den Eingang zu. Ehe er eintrat, zündete er eine Lampe an.
Als er verschwunden war, blickte Eadulf wieder zu Goll hinüber. Der regte sich nicht. Er drehte sich zu Menma um, denn er wußte nicht, was sie tun sollten. Fidelma würde unbedingt wissen wollen, was hier vor sich ging, doch weder Goll noch der Fremde würden ihm ihre Geheimnisse verraten, soviel war sicher. Also konnte er nur an Ort und Stelle ausharren.
Sie mußten nicht lange warten, bis wieder etwas Unerwartetes geschah. Es war nicht zu überhören, daß derjenige, der sich nun eilig näherte, nicht die Absicht hatte, sich zu verbergen. Selbst Eadulf vernahm, wie Lederschuhe schwer auf Felsen und Äste traten.
Und wieder zeigte sich eine vertraute Gestalt.
»Es ist Gobnuid, der Schmied aus Rath Raithlen«, flüsterte Menma, und auch Eadulf erkannte ihn sofort an seiner stämmigen Figur.
Kapitel 14
Eadulf starrte Gobnuid an, doch allmählich wunderte ihn nichts mehr. Er hätte sich nur gewünscht, Fidelma hätte ihn eingeweiht, was ihren Verdacht bezüglich der Höhle anging. Vielleicht hatte diese Sache auch nichts mit den drei Morden im Mondschein zu tun. Die breite Gestalt des Schmiedes kam nun auf den Höhleneingang zu. Er lief rasch und sicher, als sei er nicht zum erstenmal hier. Am Eingang rief er etwas und verschwand darauf in der Höhle.
Eadulf blickte zu den Felsen hinüber, wo sich Goll versteckt hielt. Etwas bewegte sich hinter den Steinen, der Holzfäller war also noch da. Wütend mit sich, seufzte Eadulf auf. Hätte er doch nur Fidelmas Worten größere Bedeutung beigemessen. Er begriff nicht, was das alles mit den Vollmondmorden zu tun hatte, außer daß man die Leichen hier in der Nähe gefunden hatte. Aber was hatte Goll damit zu schaffen? Irgendwie fühlte er sich überfordert.
Menma zupfte Eadulf am Ärmel. Bruder Dangila und Gobnuid traten gerade aus der Höhle. Gobnuid fuchtelte mit den Händen in der Luft herum, als wolle er seinem Begleiter etwas erklären. Bruder Dangila löschte seine Lampe, und beide begaben sich den Hügel hinab in Richtung des Klosters. Gobnuid sprach zwar laut, aber Eadulf konnte ihn trotzdem nicht genau verstehen. Sobald sie außer Sichtweite waren, kam Goll aus seinem Versteck hervor und schlich ihnen nach.
Als alle verschwunden waren, stand Menma auf. »Und was nun, Bruder? Gehen wir ihnen nach?«
»Nein«, antwortete Eadulf. »Ich muß das alles unverzüglich Fidelma berichten. Sie zu verfolgen würde nichts bringen. Der Fremde und Gobnuid kehren offenbar zur Abtei zurück. Goll beobachtet sie wohl nur. Die Frage ist - warum?«
»Das ist wohl wahr«, stimmte ihm Menma zu. Er sah zum Himmel hoch. »In einer Stunde ist es dunkel. Wir sollten lieber zurückreiten.«
Die Pferde warteten geduldig an der Stelle, wo sie angebunden waren. Menma ritt den gewundenen Weg durch das hügelige Waldland voran. Sie hatten die Hälfte des Weges zurückgelegt und waren an eine offene Stelle gelangt, als Menma plötzlich anhielt. Eadulf, der seinen Gedanken nachhing, ließ sein Pferd beinahe auf das seines Vordermanns auflaufen.
»Was ...«, fragte Eadulf erstaunt.
»Sieh nur!« Menma streckte die Hand aus.
Eadulf schaute in die Richtung, in die der Jäger wies. Die Dämmerung brach herein und verwehrte eine klare Sicht, doch man konnte noch deutlich eine weiße Rauchwolke aufsteigen sehen.
»Das ist bei meinem Haus!« schrie Menma plötzlich. »Mein Haus brennt!«
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stieß er die Fersen in den Bauch seines Pferdes. Es wieherte und galoppierte den Hügel hinab. Von plötzlicher Angst um Fidelma gepackt, jagte Eadulf dem Jäger hinterher.
Es schien unendlich lange zu dauern, bis sie am Fuß des Hügels angelangt waren. Mehrmals hatten sie ihr Tempo verlangsamen müssen, weil es zu steil bergab ging. Sie erreichten den Weg nach Rath Raithlen, überquerten ihn und ritten weiter in den Wald hinein. Nun sahen sie deutlich, daß die Blockhütte des Jägers in Flammen stand. Das Feuer hatte sich von Wand zu Wand ausgebreitet, und als sie davor hielten, stürzte das Dach mit heftigem Funkenschlag zusammen.
»Suanach!« schrie Menma und schaute sich verzweifelt nach seiner Frau um. »Suanach!« Er schwang sich vom Pferd, und es sah aus, als wolle er sich in die flammende Hölle stürzen.
Eadulf rannte ihm hinterher. »Da kannst du nicht rein!« Er mußte schreien, denn das alles verschlingende Feuer machte einen ohrenbetäubenden Lärm.
Menma blieb stehen und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Schauspiel.
Auch Eadulf sah mit Entsetzen auf das brennende Haus. Wenn sich Fidelma und Suanach drinnen aufgehalten hatten, dann war jede Hoffnung verloren. Er trat zurück und bemerkte unter seinem Fuß etwas Hartes, Metallenes. Er blickte nach unten und entdeckte zu seiner Überraschung einen Schild auf dem Boden. Er schaute auf und sah in die Runde.
Etwas stimmte hier nicht. Nicht weit von ihm lag ein toter Hund, aus dessen Körper ein Pfeil ragte. Es war Luchoc. Nun bemerkte Eadulf Truhen und verstreute Kleider, als hätte man sie in Eile abgeworfen. Er zog Menma am Arm und zeigte schweigend darauf.
Der Jäger war zutiefst erschüttert. Er kniete sich zu seinem Hund nieder und untersuchte den Pfeil. Danach besah er sich den Schild, den Eadulf gefunden hatte, und fluchte los.
»Was ist?« fragte Eadulf.
»Die Ui Fidgente!« entgegnete Menma schroff.
Eadulf zitterte. Er kannte das aufständische Volk im Norden von Muman sehr gut. Er hatte schon früher mit ihm zu tun gehabt und war sich der ständigen Bedrohung bewußt, die von ihm ausging. Immer wieder forderten die Ui Fidgente die Autorität von Fi-delmas Bruder in Cashel heraus und hatten mehrmals sein Gebiet überfallen.
»Willst du sagen, daß es sich hier um einen Überfall der Ui Fidgente handelt?« fragte er erschrocken.
Menma wollte das so Offensichtliche nicht bestätigen. Er suchte das Gelände ab, wobei ihm seine Kenntnisse im Fährtenlesen zustatten kamen.
»Wahrscheinlich etwa zehn Leute. Zumindest waren entsprechend viele Pferde hier.«
Eadulf sah auf eine Stelle, wo die Erde ganz aufge-wühlt war. Er konnte nur mehrere Hufabdrücke erkennen.
»Und Fidelma und deine Frau ...?« begann er.
»Ich glaube, daß man sie als Gefangene mitgenommen hat. Sieh nur, der Fußabdruck einer Frau bei den Hufen.«
»Ich verstehe nicht.«
»Hier hat man eine Frau gezwungen, auf ein Pferd zu steigen.«
»Beide Frauen? Oder nur eine?«
Menma verzog das Gesicht. »Das kann ich nicht erkennen .«
Auf einmal hörten sie lautes Pferdegetrappel. Eadulf drehte sich sofort um, und Menma holte seine Waffe.
Schon preschten ein Dutzend Reiter unter den Bäumen hervor. Sie waren bewaffnet. An ihrer Spitze ritt Accobran.
Da entdeckte er Eadulf und Menma. Im Licht das Feuers, das ein gespenstisches Flackern auf die Gesichter warf, konnte man erkennen, daß er ziemlich überrascht war.
»Von der Festung aus haben wir Rauch aufsteigen sehen, da sind wir los, um nach dem Rechten zu schauen. Wie ist das passiert? Was machst du hier, Bruder Eadulf?«
Menma trat einen Schritt vor. »Die Ui Fidgente! Sie haben meine Frau und Schwester Fidelma als Geiseln mitgenommen.«
»Was?« fragte Accobran bestürzt.
Menma berichtete rasch von dem Pfeil, dem Schild und den Hufspuren.