»Dann mußt du mir unterwegs alles erzählen.«
Fidelma blickte sich um. Eadulfs Pferd war ein paar Meter weitergelaufen und nagte an einem Strauch am Wegesrand. Sie ging auf das Pferd zu, tastete im Dunkel nach den Zügeln und kam mit dem Pferd zu Eadulf zurück.
»Steig du zuerst auf, ich setze mich dann hinter dich. Bist du sicher, daß du durch den Sturz nicht verletzt bist?«
»Wie du weißt, habe ich ein dickes Fell.«
Sie stellte sich vor, daß Eadulf jetzt lächelte, und so nickte sie.
Eadulf hatte gerade seinen Bericht beendet, da kamen die Tore von Rath Raithlen in Sicht. Fidelma hatte die ganze Zeit über geschwiegen und nur ein- oder zweimal etwas nachgefragt.
Eadulf wartete einen Moment und meinte dann: »»Quid nunc?«
»Was nun, das ist eine gute Frage«, erwiderte sie nachdenklich.
Von den Toren her drangen Rufe zu ihnen, man hatte sie im Dunkeln von den Wachtürmen aus gesehen.
»Tja«, meinte Fidelma, »wir werden jetzt Becc unterrichten, was mit Menmas Haus passiert ist, und dann muß ich eine Weile nachdenken.«
Becc wartete schon mit seinem Verwalter Adag an den Festungstoren auf sie.
»Fidelma!« Er kam mit ausgestreckten Armen auf sie zu. »Ich bin so froh, dich zu sehen, meine Cousine. Als wir den Brand im Wald bemerkten, waren wir zutiefst beunruhigt. Und als mir dann Adag auch noch mitteilte, daß du seit heute vormittag nicht in der Festung gewesen bist - du und Bruder Eadulf« - rasch nickte er zu Fidelmas Gefährten hinüber -, »da haben wir uns ziemliche Sorgen gemacht.«
»Du solltest dir lieber um die Frau des Jägers Men-ma Sorgen machen«, erwiderte Fidelma und erzählte ihm rasch von dem Überfall der Ui Fidgente.
Becc war entsetzt. »So weit nach Süden wagen die sich vor? Adag«, wandte er sich an seinen Verwalter, »schick jemanden los, der die Abtei und die umliegenden Festungen warnt.«
In der Festung herrschte reges Treiben, während man den Befehl des Fürsten ausführte. Becc hatte auch angeordnet, daß das Pferd seiner Gäste versorgt werden sollte. Er führte Fidelma und Eadulf in seine Halle und rief einen Bediensteten, der Wein und Brot bringen sollte.
»Wie ernst ist die Bedrohung, die von den Ui Fidgente ausgeht, deiner Meinung nach?« wollte er von Fidelma wissen, nachdem der Wein eingeschenkt war.
»Die Ui Fidgente muß man immer für gefährlich halten, Becc«, antwortete Fidelma. »Seit ihrer Niederlage bei Cnoc Äine sinnen sie auf Rache. Trotzdem glaube ich, daß es sich hier nur um einen kleinen Trupp von Plünderern handelt, die auf etwas Bestimmtes aus sind. Ich halte sie nicht für einen Kriegstrupp. Sie suchen einfach nur nach etwas.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Sie wollen irgend etwas in Erfahrung bringen. Wenn sie in großer Zahl gekommen wären, hätte man sie bemerkt. Den Weg nach Osten konnten sie nicht nehmen, weil dort die Eoghanacht Äine aufpassen. Wären sie direkt nach Süden marschiert, so wären sie auf die Eoghanacht Glendamnac gestoßen und in Richtung Westen auf die Eoghanacht Loch Lein. Eine große Armee wäre jemandem aufgefallen, bei einem kleinen Überfalltrupp, der vorsichtig im verborgenen agiert, ist das schwieriger. Ich gehe davon aus, daß es sich hier um einen solchen Trupp handelt.«
Becc lehnte sich erleichtert zurück. »Doch auch ein kleiner Trupp bringt mich in Bedrängnis. Zur Zeit haben wir nicht genügend junge Männer, die als Krieger ausgebildet sind. Aber, was meinst du ... Hinter was sind sie her?«
Fidelma hob eine Schulter. »Das kann ich nicht beantworten.«
»Du hast gesagt, sie haben nur eine Sache im Sinn. Welche?«
»Hoffentlich holt Accobran sie ein und bringt sie als Gefangene zurück, dann können wir sie fragen und werden es bald genauer wissen.«
Becc sah sie betroffen an.
»Bis zu Accobrans Rückkehr können wir nichts unternehmen«, versicherte ihm Fidelma.
Becc seufzte resigniert.
»Ihr werdet euch zurückziehen und erfrischen wollen«, sagte er und erhob sich. »Das Abendessen wird in einer Stunde angerichtet sein.«
Fidelma und Eadulf standen mit ihm auf. Auf dem Weg zur Tür drehte sich Fidelma noch einmal um.
»Ich habe da noch eine Frage, Becc. Hast du hier in der Festung einen senchae, einen Historiker?«
»Ja, mehrere. Es hängt ganz davon ab, was du wissen willst. Es gibt einen Genealogen, den Hüter der Geschichte meines Hauses. Dann gibt es jemanden, der sich in den alten Legenden auskennt .«
»Ich interessiere mich für die Geschichte des Eberdickichts.«
»Ich fürchte, daß es da nur einen gibt, der sich damit auskennt. Man wird ihm gut zureden müssen, ehe er etwas von seinem Wissen preisgibt.«
»Der alte Liag, der Heilkundige?«
Becc sah sie überrascht an. »Woher weißt du das?«
»Das war nur geraten«, erwiderte sie leise. »In einer Stunde werden wir zum Abendessen erscheinen.«
Kapitel 15
»Können wir wirklich nichts unternehmen, bis Accobran zurück ist?« wollte Eadulf wissen, als sie in ihrem Zimmer unter sich waren. »Ich hätte gedacht, daß es für uns eine Menge zu tun gibt. Was ist zum Beispiel mit Gobnuid? Und Bruder Dangila und Goll müssen uns auch einiges erklären.«
»Du bist zu ungeduldig, Eadulf«, erwiderte Fidelma ruhig. »Ich verliere unseren Auftrag schon nicht aus den Augen. Wenn alles gutgeht, werden wir morgen mit unserer Untersuchung fortfahren. Doch nun zeig mir den Goldklumpen, den ihr gefunden habt.«
Eadulf griff in sein marsupium und holte ihn hervor. Fidelma betrachtete ihn eingehend.
»Ich würde sagen, daß Menma recht hat. Es ist echtes Gold, so wie bei Sioda. Macht dich das nicht stutzig?«
»Ich dachte, wir suchen eigentlich nach dem Mörder der drei Mädchen, oder?«
»»Scientia potestas est«, erwiderte Fidelma leise. »Wissen ist Macht. Du führst doch immer gern derartige Sprüche im Munde, Eadulf.«
»Ich begreife einfach nicht, was die Geschichte des Hügels mit dem Mord an den drei Mädchen zu tun hat. Wir wissen nur, daß ein Verrückter sie bei Vollmond tötete. Ich verstehe auch nicht, was es mit dem alten Stollen auf sich hat, außer, daß es dort immer noch Gold gibt. Und überhaupt sehe ich, was die Morde angeht, kein Licht am Horizont.«
»Dann solltest du dich an eine andere Maxime erinnern - perspicuam servare mentem. Wenn du einen klaren Kopf bewahrst und dich nicht von Nebensächlichkeiten ablenken läßt, wirst du die Wahrheit erkennen.«
Am nächsten Morgen, als es immer noch keine Nachricht von Accobran gab, nahmen Fidelma und Eadulf die Pferde und ritten zu Goll hinaus. Sobald sie auf die Lichtung vor seiner Hütte gelangten, öffnete sich die Tür und Gabran erschien. Er sah sie überrascht an und blieb mit finsterem Gesicht am Eingang stehen.
»Ich dachte, daß ich nun von jedem Verdacht befreit bin«, begrüßte er sie mürrisch.
Eadulf war erstaunt, wie unhöflich der junge Mann auftrat, nach all dem, was Fidelma für ihn getan hatte. Fidelma blickte auf Gabran hinunter.
»Wie du weißt, bist du, was Lesrens Tod betrifft, über jeden Verdacht erhaben. Doch die anderen Morde sind noch nicht aufgeklärt.«
»Auch da hat man mich von Lesrens falschen Anschuldigungen freigesprochen«, erwiderte Gabran herausfordernd.
Fidelma schwang sich vom Pferd und stellte sich vor den streitlustigen jungen Mann.
»Ich möchte mit deinem Vater reden«, sagte sie mit strenger Stimme, daß er blinzeln mußte und einen Schritt zurücktrat. »Wo ist er?«
Gabran zögerte, doch dann zeigte er auf einen der Schuppen. »Dort hinten.«
»Danke. Und wo ist deine Mutter?«
»Sie ist am Fluß Wäsche waschen. Soll ich sie rufen?«
»Nein, wir wollen Goll sprechen.« Fidelma ging zu dem Schuppen hinüber, auf den Gabran gezeigt hatte. Eadulf stieg nun auch vom Pferd und band die Tiere an einem Pfahl fest. Dann folgte er ihr. Gabran blickte ihnen mißtrauisch hinterher.