Die Tür zum Schuppen war offen. Drinnen stand Goll über eine Werkbank gebeugt; er war gerade damit beschäftigt, ein großes Stück Holz zu polieren. Sogar Eadulf bemerkte, daß es sich um ein Stück roter Eibe handelte, in das gewundene Muster geschnitzt waren.
»Gott sei mit dir, Goll«, sagte Fidelma, während sie die Tür weiter aufstieß und eintrat. Goll schaute verblüfft auf.
»Was wollt ihr hier?« fragte er mißgelaunt.
»Ich könnte schwören, Goll, du und dein Sohn, ihr freut euch nicht gerade darüber, die dalaigh zu sehen, die eine gerichtliche Fehlentscheidung von eurer Familie abgewendet hat«, sagte Fidelma erheitert.
Goll rang sich ein Lächeln ab. Er legte den Polierlappen beiseite und griff nach einem anderen für seine Hände.
»Verzeiht. Ich bin gerade sehr beschäftig.« Er bemerkte Eadulfs Blick auf die Schnitzerei. »Das ist ein Türsturz. Er ist für die Kapellentür der Abtei. Der Abt hat ihn schon vor einer Weile in Auftrag gegeben. Entschuldigt meine mangelnde Höflichkeit. Tut mir leid. Ich bin sehr dankbar für das, was ihr für meinen Sohn getan habt.«
Er schaute von Eadulf zu Fidelma. »Was gibt es?«
»Da draußen steht eine Bank«, sagte Fidelma. »Setzen wir uns dort einen Moment.«
Goll nickte und folgte ihnen vor die Tür.
»Was weißt du vom Eberdickicht, Goll?« wollte Fidelma zunächst von ihm wissen.
»Dem alten Hügel da? Gutes Holz wächst dort, Eichen und Erlen.«
Fidelma lächelte. »So spricht ein Holzfäller. Sonst weißt du nichts?«
Goll zuckte mit der Schulter. »Früher, in alten Zeiten, so erzählt man, lebte eine Herde von Wildschweinen, angeführt von einem großen Eber, auf dem Hügel. Sie gehörten alle unserer irischen Göttin Brigid. Falls jemand eines der Tiere fing, tötete und aß, so erschien es trotzdem am nächsten Tag gesund und lebendig wieder dort. Daher rührt der Name des Hügels.«
»Das wissen wir schon«, murmelte Eadulf.
»Gehst du oft dorthin?« fragte Fidelma plötzlich.
Es war nicht zu übersehen, daß Goll nun errötete.
»Was meinst du damit?« entgegnete er.
»Ich dachte, du hättest mich verstanden.«
»Höchst selten.«
»Dann wollen wir mal genauer werden, Goll. Also war dein gestriger Ausflug auf den Hügel ungewöhnlich für dich. Stimmt das?«
Goll schwieg eine Weile. »Das war er wirklich.«
»Was hattest du dort zu tun?«
Als Goll immer noch zögerte, sagte Eadulf: »Es hat keinen Sinn, etwas zu verheimlichen. Ich habe dich dort gesehen, wie du jemanden beobachtet hast.«
»Hast du gesehen, wem ich gefolgt bin?«
»Ja.«
»Dann solltest du auch wissen, warum ich ihnen gefolgt bin.«
»Die Geschichte will ich aus deinem Munde hören, Goll«, sagte Fidelma kurz angebunden. »Ich will keine Zeit damit verschwenden, Namen zu erraten.«
»Aus welchem Grund sollte ich es getan haben, wenn nicht aus dem gleichen wie du, Schwester. Ich weiß, Lesrens Vorwürfe treffen auf meinen Sohn nicht zu. Doch Beccnat, Escrach und auch Ballgel sind tot. Da fiel mein Verdacht auf die Fremden, insbesondere auf deren Anführer. Ich weiß nicht, wie er heißt. Aber ich sah ihn nicht das erstemal über den Hügel schleichen. Je länger ich Broccs Erklärungen überdenke, desto sinnvoller erscheinen sie mir.«
»Willst du damit sagen, du machst die Fremden für die Morde an den drei Mädchen verantwortlich und bist gestern ihrem Anführer gefolgt, um Beweise dafür zu finden?«
»So ist es. Ich wußte, daß du diesen Gedanken verworfen hattest ...«
»Da wußtest du mehr als ich«, entgegnete ihm Fidelma schnippisch. »Doch ich gehe nicht ohne Beweise vor. Brocc würde einen Menschen auch ohne Indizien vor Gericht stellen und verurteilen. Das entspricht aber nicht der Vorgehensweise eines Brehon.«
Goll beugte sich vor. »Richtig. Ich war auf Beweissuche.«
»Und hast du welche gefunden?«
Goll schüttelte zögernd den Kopf.
»Wie ich die Sache einschätze, bist du wohl eher deinem Sohn hinterhergeschlichen«, warf Eadulf ein.
»Gabran war auch auf dem Hügel, das stimmt. Ich dachte, daß ihm der große Fremde folgte, doch der verschwand dann schnurstracks in einer Höhle.«
»Du bist also einfach dem Fremden hinterhergeschlichen in der Hoffnung, daß sich dir dadurch etwas offenbaren würde? Und was hast du herausgefunden?«
»Nur daß er mit Gobnuid etwas zu schaffen hat und sie beide an der alten Höhle interessiert sind, dem Zugang zu einer alten Bergmine, die schon vor langem stillgelegt wurde.«
Auf einmal stand Fidelma auf. »Vielen Dank, Goll. Doch in Zukunft überlaß die Spurensuche lieber uns.«
Fidelma beschloß, sofort zur Festung zurückzukehren, um zu erfahren, ob sich Accobran schon gemeldet hatte.
Tatsächlich gab es Neuigkeiten. Als sie in den Hof einritten, rief ihnen einer der Krieger am Tor zu, daß Accobran und seine Männer wieder da seien. Fidelma und Eadulf gingen sofort in die Halle des Fürsten.
Dort thronte Becc lächelnd auf seinem Amtssessel, während Accobran ihm zur Seite saß und erzählte. Adag und ein paar andere Mitglieder des fürstlichen Gefolges waren auch anwesend. Als Fidelma und Eadulf eintraten, schauten alle auf. Accobran strahlte sie an.
»Wie schön, dich gesund und munter zu sehen, Fidelma von Cashel. Wir hörten, daß du dich während des Überfalls in Suanachs Keller verborgen hast. Auf dem Rückweg haben wir dort nachgeschaut und dich nicht gefunden. Wir haben dann vermutet, daß du den Flammen entkommen bist. Gerade hat uns Becc von deiner Flucht berichtet.«
»Und Suanach? Ist sie in Sicherheit?« fragte Fidelma.
»Ja, sie ist mit Menma im forus tuaithe, wo man sich um sie kümmert.« Das forus tuaithe oder »Haus des Gebietes« war eine Einrichtung, in der man Alte, Kranke und Verletzte aufnahm und sie medizinisch betreute.
»Mach dir keine Sorgen, Cousine«, sagte Becc rasch, als er ihr Gesicht sah. »Sie ist nur ein wenig erschöpft, und der Schreck steckt ihr noch in den Gliedern. Sie war sehr um dich besorgt.«
»Ohne sie wäre ich verloren gewesen«, gestand Fidelma. »Die Ui Fidgente hätten niemanden aus meiner Familie gut behandelt. Doch offenbar habe ich Accobran unterbrochen. Wie ist es euch bei der Verfolgungsjagd ergangen, und wen habt ihr gefangengenommen?«
Accobran rückte sich zurecht und lächelte leicht. »Ich sagte gerade, daß es gut war, Menma als Fährtenleser dabei zu haben. Die Ui Fidgente haben Haken geschlagen wie die Hasen. Wir hätten sie mehrere Male beinahe verloren, doch Menma hat uns immer wieder auf ihre Spur gebracht.«
Fidelma setzte sich, und der Tanist machte eine Pause. Erst als auch Eadulf sich niedergelassen hatte, fuhr er fort.
»Als du dich zu Becc auf den Weg gemacht hast, haben wir die Verfolgung aufgenommen«, begann er und schaute dabei Eadulf an. »Inzwischen war es schon dunkel, und wir mußten bald anhalten, weil man kaum noch die Hand vor Augen sehen konnte. Wir warteten auf das erste Tageslicht und setzten uns wieder in Bewegung. Der erste Abschnitt der Strecke war einfach, da er durch schlammige Wälder führte und die Hufabdrücke der Pferde deutlich zu sehen waren. Der Anführer des Trupps war allerdings geschickt, denn bald verlor sich die Spur in Flüssen und steinigem Gelände. Zumindest hatte die Nacht auch die Ui Fidgente zu einem Halt gezwungen. Wie ich schon sagte, nur Menma war in der Lage, ihre Spur immer wieder aufzunehmen.«
»Hattet ihr den Eindruck, daß sie zu einem größeren Trupp gehörten?« warf nun Eadulf ein. »Haben sie versucht, zu anderen Kriegern aufzuschließen?«
Accobran verneinte. »Es waren nur zehn Männer. Gegen Mittag hatten wir sie eingeholt. Sie glaubten, sie hätten uns abgeschüttelt, und machten gerade Rast. Ihr Anführer war sich offenbar sicher, daß wir weit hinter ihm waren, daher verhielt er sich nicht gerade schlau. Ich habe mit meinen Männern einen Hinterhalt aufgebaut und gewartet.«