Fidelma schaute Accobran herausfordernd an und sagte zu Becc: »Dein Tanist hatte gar nicht die Absicht, den entdeckten Reichtum mit dir oder den Cinel na Äeda zu teilen. Das führt mich zu dem zweiten Vergehen, mit dem wir uns beschäftigen müssen -dem Vertrauensbruch durch deinen Tanist, den Mann, der zu deinem Nachfolger bestimmt wurde.«
Accobran hatte sein Schwert gepackt und wollte es zücken, doch da hatte Eadulf schon das Kurzschwert eines Kriegers ergriffen und drückte Accobran die Spitze gegen die Magengrube. Dabei grinste er entschuldigend.
»Aequo animo«, sagte er leise und befahl dem Ta-nist damit, Gleichmut zu bewahren und sich nicht zu rühren. »»Aequam servare mentem.«
»Diese Beleidigung kann ich nicht auf mir sitzen lassen«, brauste Accobran mürrisch auf, doch er rührte sich nicht.
Becc blickte verwirrt umher. »Bloße Beschuldigungen reichen nicht aus, Fidelma.«
»Warte ab. Ich bin mir nicht sicher, wie lange Ac-cobran, Gobnuid und Bruder Dangila schon in dem alten Stollen im Eberdickicht am Werke waren.«
Gobnuid stöhnte und verbarg seinen Kopf zwischen den Händen.
»Kannst du das beweisen?« fragte Becc.
»Ich habe für alles, was ich sage, Zeugen. Als ich selbst die Mine erkunden ging, stieß ich auf ein Stück von Bruder Dangilas Halskette, das er dort verloren hatte. Als ich ihn deswegen bei anderer Gelegenheit zur Rede stellte, erklärte er mir, er hätte die Kette im Dormitorium liegengelassen. Doch ich habe das Kettenstück in der Mine gefunden. Außerdem wird Bruder Solam bezeugen, daß er Accobran und Dangila auf einem Wagen zur Mine fahren sah. Menma und Bruder Eadulf haben Dangila vor dem Höhleneingang erspäht und auch Gobnuid. Und ich habe sie mit Eadulf zusammen ebenfalls beobachtet.«
Mit fragenden Blicken wandte Fidelma sich wieder Bruder Dangila zu. Der große Aksumiter schien auf seinem Stuhl zusammengesackt zu sein. Da meldete sich Becc erneut zu Wort.
»Beschuldigst du wirklich Accobran und diesen Fremden, der kaum unsere Sprache spricht, gemeinsame Sache gemacht zu haben? Wie sollen sie sich verständigt haben?«
»Becc, weißt du denn nicht, daß Accobran ein wenig Griechisch spricht? Er hat einige Jahre im Kloster Molaga studiert und dabei Grundkenntnisse dieser Sprache erworben. Ich habe das bereits am zweiten Tag meines Aufenthaltes hier herausgefunden, denn da zitierte dein Tanist ein paar Zeilen griechischer Poesie. So, was hat Bruder Dangila nun zu diesen Vorwürfen zu sagen?«
Der Aksumiter schaute zu ihr auf. »Während unseres Gesprächs in Molaga erfuhr Accobran von mir, daß ich früher in meiner Heimat die Arbeiten in den Goldminen beaufsichtigt hatte. Er erzählte mir, daß er in seinem Gebiet womöglich Gold entdeckt hatte, an einem Ort, an dem es vor einiger Zeit ergiebige Vorkommen gegeben hatte. Er meinte, daß er nicht in der Lage sei, zu erkennen, ob es wirklich Gold sei .«
»Das kann ich nur bestätigen«, sagte Fidelma leicht ironisch. »In Bebhails Hütte entdeckte ich einen Goldklumpen und zeigte ihn Accobran. Er schien sich immerhin so weit damit auszukennen, daß er mir versicherte, daß es sich um Katzengold handelte und nicht um Gold. Das schien ihn sehr zu erleichtern.«
»Aber er wußte nicht, wie man einer kleinen Ader folgt und das Gold aus dem Felsen herausholt«, erklärte Bruder Dangila weiter. »Er bat mich darum, festzustellen, ob die Ader mehr Gold versprach oder bald erschöpft sein würde. Dafür bot er mir ein Viertel des Gewinns an. Ich ging davon aus, daß ihm der Stollen gehört.«
Fidelma hob die Hände und versuchte so, die Menge zur Ruhe zu bringen, die nun laut durcheinanderredete.
»Gobnuid, hiergeblieben!« rief sie dem Schmied zu, der gerade aufgestanden war und auf den Ausgang zueilte. »Dir sollte sicher auch ein Viertel Gewinns gehören, nicht wahr?«
Die Wachmänner ergriffen Gobnuid und stießen ihn nach vorn vor die Richterin.
»Ich habe nichts getan«, sagte er verdrießlich.
»Ganz im Gegenteil. Ich denke, daß du sehr viel getan hast«, hielt ihm Fidelma entgegen. »Dir muß man nicht erzählen, wie reich das Land der Cinel na Äeda einst an Goldvorkommen war und daß noch vor einer Generation in den Goldminen gearbeitet wurde. Da kam ein skrupelloser junger Krieger daher - ein intelligenter Krieger, der sogar ein wenig Theologie studiert hatte. Er stieß im Eberdickicht auf eine Höhle, in der er Gold fand, und ersann einen Plan, wie er ganz allein reich und mächtig werden konnte. Mit seinem Volk wollte er die Entdeckung nicht teilen. Er fand einen Schmied, der für ihn im Stollen arbeitete und das Gold zu den Händlern am Fluß schaffte. Und zufällig begegnete er jemandem, der die Aufsicht führen konnte und ihm sagte, welche Goldader lohnend sei.«
Sie schwieg einen Moment.
»Erst vor kurzem traf ich Gobnuid dabei an, wie er angeblich eine Ladung Felle für Accobran zu den Händlern am unteren Fluß schaffte. Waren das wirklich Felle? Die Räder des Fuhrwerks gruben sich so tief in die Erde ein, daß die Ladung ein enormes Gewicht haben mußte. Bei einem dieser Transporte muß einmal ein Goldklumpen vom Wagen gefallen sein, den der kleine Sioda später in der Nähe des Steinkreises der Wildschweine fand. Ohne Arg brachte er ihn zu Gobnuid, der ihm einredete, daß es sich nur um Katzengold handelte. Doch das war gelogen, oder, Gobnuid?«
Gobnuid ließ den Kopf sinken und lief rot an, womit er ihre Worte bestätigte.
»Eines Tages wagte Accobran zuviel. Er begab sich zum Hafen, um sich dort nach einem Kapitän umzusehen, der das Gold außer Landes schaffte. Das war verhängnisvoll. Accobran beging einen Fehler, als er dem Kapitän eines Handelsschiffes etwas Rohgold für die künftigen Abnehmer mitgab. Diesen Kapitän ereilte im Land der Ui Fidgente plötzlich der Tod, aber er konnte einem Krieger namens Dea, kurz bevor er starb, noch anvertrauen, daß das Gold aus dem Land der Cinel na Äeda und dort aus dem Eberdickicht stammte. Dem Kapitän war zwar nicht bekannt, wo genau sich die Goldmine befand, aber er wußte, daß es in dem Wald einen Jäger namens Menma gab. Dea nahm also an, daß der Jäger es ihm sagen könnte. Der hatte jedoch keine Ahnung. Dieser Dea gehörte später einem Trupp Krieger unter der Führung seines Bruders Conri an, der zum Land der Corco Loigde zu den jährlichen Wettkämpfen unterwegs war.
Dea und seine Krieger überfielen ohne das Wissen und die Erlaubnis von Conri Menmas Hütte. Was dort geschah, ist euch allen bekannt. Sie nahmen Sua-nach als Geisel, weil sie Menma in eine Falle locken wollten. Sie ahnten natürlich nicht, daß die Krieger der Cinel na Äeda, die sie verfolgten, unter der Führung des Mannes standen, der genau Bescheid wußte über das Gold. Accobran vermutete, daß der Kapitän seine Entdeckung den Ui Fidgente verraten hatte. Während er ihnen auf den Fersen war, dachte er nur noch an eins. Er hatte beschlossen, daß keiner der Angreifer am Leben bleiben durfte, denn er hätte den Zweck des Überfalls verraten können. Deshalb hat er alle Ui Fidgente so erbarmungslos getötet.«
Die Menge hielt den Atem an.
»Menma und Suanach werden bezeugen, daß die Krieger der Ui Fidgente keine Möglichkeit hatten, sich zu ergeben.«
Becc lehnte sich zurück. Trauer und Zorn standen in seinem Gesicht. »Ein Tanist legt den Schwur ab, dem Wohl seines Volkes zu dienen. Mir ist mit der Zeit immer klarer geworden, wie fragwürdig sich Ac-cobran verhält, doch ich habe alles damit entschuldigt, daß er noch jung und unerfahren ist. Aber das .? Das verstößt gegen das Gesetz und die Moral. Das ist ein schwerer Vertrauensbruch gegenüber den Cinel na Äeda.«
»Das ist noch nicht alles«, erklärte Fidelma. »Ich fragte Gobnuid nach dem Goldklumpen, den Sioda gefunden hatte. Er wurde ganz aufgeregt, weil er wohl glaubte, daß ich hinter das Geheimnis der Höhle gekommen sei. Am nächsten Morgen versuchte er, einen Unfall vorzutäuschen, allerdings ohne Accobrans Einwilligung. Als Eadulf und ich auf den Wachturm an den Toren der Festung gestiegen waren, tauchte Gobnuid mit einer Botschaft von Accobran dort oben auf. Tückischerweise hatte er vorher eine Sprosse der Leiter mit einem Messer beschädigt. Beim Abstieg hatte Eadulf einfach Glück, daß er nicht zu Tode stürzte, als die Sprosse unter ihm brach.