Zu seiner Beruhigung muß Accobran ihm wohl gesagt haben, daß wir viel zu sehr mit dem Mord an den drei Mädchen beschäftigt seien, um uns um die Goldmine zu kümmern. Die eingekerbte Leitersprosse war ein törichter Fehler, denn nun hatte mich Gob-nuid auf die Idee gebracht, eine Verbindung zwischen den Vorfällen zu suchen.«
Der Tanist stand schweigend da. Eadulfs Schwertspitze hielt ihn immer noch in Schach. Fidelma hatte einen Krieger herbeigewunken, der Gobnuid bewachte.
»Cousin Becc, dein Tanist hat dich schmählich betrogen und das Amt, das er bekleidet hat, entwürdigt. Habsucht! Wenn alle Sünden alt sein werden, wird die Habsucht immer noch jung sein. Sie ist das älteste und stärkste Motiv für Verbrechen.«
»Müssen wir nun auch davon ausgehen, daß Accobran und seine Kumpane für die Ermordung der drei Mädchen verantwortlich sind?« fragte Becc. »Hatten sie sein Geheimnis entdeckt, und mußten sie sterben, damit sie für immer schwiegen?«
Fidelma verneinte. »In diesem Fall hatte Lesren mit seinen Anschuldigungen recht.«
Da sprang Gabran von seinem Platz auf und wollte sich durch die Menge zur Tür durchkämpfen. Zwei Männer hielten ihn schließlich fest. Finmed, Gabrans Mutter, weinte verzweifelt.
»Wie ist das möglich?« sagte Becc fassungslos. »Er ist doch von meinem Brehon Aolü freigesprochen worden, und auch du ...«
»Wir haben uns alle geirrt, was Gabran betrifft«, erwiderte Fidelma.
Finmed schluchzte leise. Goll war wutentbrannt aufgestanden und eilte nach vorn.
»Du bist im Unrecht, Schwester Fidelma. Du bist im Unrecht. Wir erheben Einspruch gegen diesen Vorwurf ... Du ...«
»Wenn du dich beruhigen würdest, Goll, dann könnte ich das erläutern.«
Ihre Stimme klang fest und fordernd. Sobald das Gemurmel in der Menge abebbte, sagte Fidelma: »Gabran und Beccnat wollten heiraten. Das ist wahr. Es stimmt aber auch, daß es sich Beccnat anders überlegt hatte, so wie Lesren es uns mitteilte.« Fidelma sah nun Lesrens Witwe Bebhail an, die mit gesenktem Kopf neben Tomma saß. »Da Lesren dich nicht mehr bedrohen kann, wirst du uns vielleicht die Wahrheit erzählen.«
Langsam hob Bebhail den Kopf. »Du weißt ja inzwischen, wie Lesren war und warum er nicht wollte, daß sich unsere Tochter mit Gabran verband. Das ist alles wahr.« Sie machte eine Pause und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Es stimmt auch, daß Ga-bran um die Hand unserer Tochter anhielt und beide tatsächlich heiraten wollten. Sie haben sich regelmäßig getroffen. Sie waren auch bei Liag, wohl eher, um sich zu sehen, als daß sie sich ernsthaft für Sternenkunde interessiert hätten.«
Liag prustete verächtlich, doch Bebhail redete unbeirrt weiter.
»Lesren hat die Wahrheit gesagt, Beccnat hatte sich von Gabran abgewendet ...«
»Alles Lüge!« schrie Gabran und versuchte die beiden Männer, die ihn festhielten, abzuschütteln. »Becc, du hast darüber bereits dein Urteil gesprochen und die Anschuldigungen gegen mich abgewiesen. Das sind alles Lügen.«
»Beccnat wollte ihn verlassen«, sagte Bebhail unerschütterlich.
»Welchen Grund gab es für diesen Entschluß?« fragte Fidelma.
»Sie hatte erfahren, daß Gabran sich insgeheim mit Escrach traf. Und der hatte er anvertraut, daß er Beccnat nur deshalb nachstellte, weil er sich an deren Vater Lesren für das rächen wollte, was dieser seiner Mutter Finmed einmal angetan hatte.«
»Von wem hat Beccnat das erfahren?«
»Von Escrach selbst, die darüber ganz entsetzt war. Und als Freundin wollte sie Beccnat warnen. Doch auch Escrach war in Gabran verliebt und scheute sich deshalb, ihn öffentlich bloßzustellen oder ihn zu ver-lassen. Sie wollte einfach nur Beccnat vor ihm warnen. Beccnat trennte sich also von Gabran und fand dann Trost bei dem Tanist.«
Nun richteten sich alle Augen wieder auf Accobran.
»Ein Zeuge hat uns bereits berichtet, daß sich Accobran und Beccnat trafen und sie sich wie Liebende verhielten. Gabran selbst verhehlte seinen Haß auf den Tanist nicht, er verdächtigte ihn, eine Affäre mit Beccnat zu haben.«
Goll blickte sie gequält an. »Aber das bedeutet doch nicht, daß mein Sohn das Mädchen umgebracht hat. Brehon Aolü hat bestätigt, daß er es gar nicht getan haben konnte.«
»Dazu komme ich noch, Goll. Also«, sagte sie und richtete ihre Worte wieder an die in der Halle Versammelten, die ganz gebannt ihren Ausführungen folgten, »da haben wir das erste Motiv. Die schrecklichen Auseinandersetzungen zwischen Lesren und Finmed, aus denen auch der Haß von Finmeds Sohn auf Lesren und sein Wunsch nach Rache erwuchsen. Wenn er sich nicht direkt an Lesren rächen konnte, so doch an seiner Tochter Beccnat. Dort liegt die Ursache für alles, was dann geschah.«
Fidelmas Augen suchten in den Reihen der Zuhörer nach dem Gerbergehilfen. »Creoda, tritt bitte vor.«
Zögernd erhob sich der junge Mann.
»Du hast auch an dem Unterricht bei Liag teilgenommen.«
»Wie ich dir schon gesagt habe«, erwiderte Creoda nervös.
»Dann möchte ich noch einmal von dir hören, wer die anderen waren.«
»Beccnat und Gabran, Escrach und Ballgel und manchmal auch Accobran.«
»Und fand dieser Unterricht meist nachts statt?«
»Natürlich. Wie sollte man sonst die Sterne betrachten können?«
»Gut. Dann erinnere dich an die Vollmondnacht vor zwei Monaten.«
»Du meinst, als man Beccnats Leiche entdeckte?«
»Richtig. Wart ihr in jener Nacht bei Liag?«
»Ja.«
»Und wer war dabei?«
»Nur Escrach, Ballgel und ich.«
»Gab es danach noch weitere nächtliche Treffen bei Liag?«
»Wenige.«
»Und entspricht es den Tatsachen, daß in diesen Unterrichtsstunden nach Beccnats Tod Escrach und Gabran ziemlich vertraut miteinander umgingen und sich damit auch Bebhails Aussage bestätigt?«
Creoda bejahte das, und Fidelma sprach weiter: »Ich denke, wir können davon ausgehen, daß Escrach und Gabran eng befreundet waren. Bis Gabran herausfand, daß er - wie er es nannte - von Escrach an Beccnat verraten worden war. Ob er eine Weile gebraucht hat, das festzustellen, oder ob Beccnat es ihm einfach gesagt hat, ehe sie starb, wird er uns erklären müssen. Ich glaube, er wählte bewußt die nächste Vollmondnacht aus, um Escrach am Steinkreis zu tref-fen, ganz in der Nähe der Stelle, wo er Beccnat ermordet hatte. Und dort metzelte er sie genauso grausam nieder.«
Fidelma blickte in das wütende bleiche Gesicht Ga-brans, dessen haßerfüllte Augen sie zu durchbohren schienen.
»Gabran trug seinen Haß schon eine Weile mit sich herum, und ich glaube, zu jener Zeit überwältigte ihn der Haß derart, daß er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Liags Geschichten über die Macht des Mondes und die Macht des Wissens beherrschten ihn vollkommen. Sein Verstand war durch den Mord an Beccnat getrübt, und er wartete nun auf den nächsten Vollmond, um seinen zweiten Mord zu begehen.«
»Und der dritte Mord?« fragte Becc, den die Enthüllungen ziemlich aus der Fassung gebracht hatten. »Was geschah mit Ballgel? Du willst doch nicht etwa sagen, daß er auch mit Ballgel eine Affäre hatte?«
»Auf keinen Fall!« rief jetzt Sirin, der Koch. »Das hätte ich gewußt.«
»Der Tod der armen Ballgel. Auch für diesen Mord in der nächsten Vollmondnacht hatte er ein Motiv. Ballgel war die Dritte im Bunde, die Liag besuchte. Vielleicht hat Gabran vermutet, Escrach habe nicht nur Beccnat alles erzählt, sondern auch Ballgel. Creo-da hat uns gesagt, daß die Mädchen miteinander durch dick und dünn gingen und sich alle Geheimnisse anvertrauten. Gabran mußte also sichergehen, daß nichts davon nach außen drang. Darum beschloß er, auch sie umzubringen.«