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Die Anwesenden seufzten tief auf. »Es wäre für mich sehr schwierig zu beurteilen, inwieweit ein Mensch wie Gabran für seine Taten verantwortlich ist«, fuhr Fidelma fort. »Ist er wirklich ein dasachtach, ein Geisteskranker, der vor Gericht für seine Taten nicht zur Verantwortung gezogen werden kann? Wir sollten nicht vergessen, daß unser Recht nicht nur darum bemüht ist, die Gesellschaft vor Wahnsinnigen zu schützen, sondern umgekehrt auch die Kranken vor der Gesellschaft. Ich meine, er fing mit seinen Greueltaten als fer lethchuinn an, als eine Person, die vor unserem Gesetz nur teilweise zurechnungsfähig ist.«

»Du bist sehr schlau vorgegangen, Schwester Fidelma.« Goll brauste auf. »Die Leute scheinen deine unglaubliche Geschichte ja beinahe zu schlucken.«

»Alles, was ich vorgebracht habe, fußt auf Beweisen und Zeugenaussagen«, versicherte ihm Fidelma. »Du wolltest doch auch die Wahrheit herausfinden, nicht wahr? Du warst dir selbst nicht sicher, was deinen Sohn anging. Deshalb bist du ihm neulich heimlich gefolgt, als du Bruder Dangila und Gabran im Eberdickicht gesehen hast.«

Dieser Hieb saß. Goll setzte sich mit blassem Gesicht wieder auf seinen Platz. Da erhob sich Finmed, die sich inzwischen ein wenig beruhigt hatte. Sie sprach ganz ruhig.

»Doch trotz deiner Schlauheit hast du eines übersehen, Schwester Fidelma. Nämlich die Tatsache, durch die bewiesen wurde, daß mein Sohn nicht die Schuld an Beccnats Ermordung trägt. Demzufolge ist jede weitere Anschuldigung gegen ihn hinfällig. Es ist jener Punkt, mit dem Brehon Aolü die Unschuld meines Sohnes beweisen konnte. Er kann nicht noch einmal vor Gericht gestellt werden.«

»Ehe du weitersprichst«, erwiderte Fidelma, »muß ich dich berichtigen. Aolü hat Gabran nicht für unschuldig befunden. Er hat nur eingeschätzt, daß die Beweismittel nicht genügten, um gegen Gabran Anklage zu erheben. Dem Gesetz nach ist ihm damit noch nicht der Prozeß gemacht worden. Also haben meine Anschuldigungen vor Gericht Gültigkeit.«

»Du bist schlau, dalaigh!« rief Finmed triumphierend. »Irgendwie zu schlau. Du hast offenbar den Hauptpunkt der Beweisführung vergessen. Gabran war in jener Vollmondnacht gar nicht hier. Er befand sich im Kloster Molaga. Und Tanist Accobran hat das bezeugt, weil er auch dort war. Ich bin sicher, daß du mit Bruder Tüan gesprochen hast, dem Verwalter des Klosters, als er in unserer Abtei zu Besuch war.«

Finmed setzte sich wieder hin und blickte Fidelma siegesgewiß an. Es herrschte einen Augenblick Stille in der Halle. Dann schlug sich Accobran lachend auf die Schenkel.

»Da bist du schachmatt, dalaigh! Wahrlich überschlau! Ich kann Finmeds Worte bezeugen, auch wenn ich Gabran nicht gerade mag. Er war in der Vollmondnacht in Molaga.«

Erwartungsvolle Blicke richteten sich auf Fidelma. Aber sie wirkte nicht sonderlich berührt davon.

»So bin ich wohl wie alle anderen schuldig, einen entscheidenden Punkt übersehen zu haben«, gestand sie leise. »Es ist gut, daß es Gabrans Mutter war, die darauf zu sprechen kam.«

Accobran lachte vergnügt vor sich hin. Selbst Goll lächelte erleichtert und drehte sich zu seinem Sohn um, als wolle er ihn beglückwünschen.

»Dieser entscheidende Punkt ist, daß Beccnat gar nicht in der Vollmondnacht getötet wurde.« Fidelmas gestrenge Stimme brachte alle zum Schweigen. »So kam ich auf den Gedanken, daß Gabran nicht von Anfang an an einem Mondwahn litt. Das entwickelte sich erst mit den nächsten Morden.« Sie schaute nun Liag an. »Du hast die Leichen untersucht, Liag. Erinnerst du dich an unser erstes Gespräch, als ich dich nach dem Zeitpunkt des Todes fragte?«

Der alte Heilkundige stand auf und nickte mißtrauisch. »Ja.«

»Du hast mir gesagt, daß man Beccnats Leiche am Morgen nach der Vollmondnacht fand.«

»Das stimmt.«

»Ach so?« warf nun Accobran ein. »Das würde bedeuten, daß sie in der Nacht getötet wurde - in der Vollmondnacht.«

»Ich habe dich dann gefragt, warum du die Leute davon abgebracht hast, ein wildes Tier hätte sie gerissen«, fuhr Fidelma fort. »Was hast du mir darauf geantwortet? Erinnerst du dich noch an deine Worte?«

Liag dachte einen Moment nach. »Ich sagte dir, ich hätte bei der Untersuchung festgestellt, daß der Mör-der ein gezacktes Messer benutzt hatte. Die Wunden konnte man anfangs kaum erkennen.«

»Genau, und warum?«

»Ich erwähnte das verkrustete Blut und daß die Leiche schon leicht verwest war, daß sie also bereits zwei, drei Tage im Wald gelegen haben mußte.« Als ihm bewußt wurde, was er da gesagt hatte, weiteten sich seine Augen.

Fidelma blickte in die Halle hinein. »Zwei oder drei Tage! Das haben alle übersehen. Man fand die Leiche zwar erst am Morgen nach der Vollmondnacht, aber Beccnat war zwei oder drei Tage zuvor getötet worden.« Nun wandte sie sich an Bebhail. »Lesren hat mir gesagt, und du hast es bestätigt, daß Beccnat eines Nachts losging, um Gabran mitzuteilen, daß sie das Verlöbnis lösen wollte. Da habt ihr sie zum letztenmal gesehen. Erst drei Tage später hätte man ihre Leiche gefunden.«

»Das stimmt. Ich hatte nicht geglaubt ...«, sagte Bebhail entsetzt.

»Wo hat sie denn deiner Meinung nach all die Tage gesteckt?«

»Nach Streitereien mit ihrem Vater ist sie häufig verschwunden. Wir dachten, sie wäre bei einer Freundin. Ich weiß es nicht. Alle haben gesagt, der Mord geschah in der Vollmondnacht. Daran haben wir nicht gezweifelt. Wir haben uns auch nicht gefragt, wo sie die Tage zuvor verbracht haben mochte, schließlich war sie ja tot.«

Fidelma schaute nun wieder zu Finmed hinüber, die vollkommen fassungslos dasaß. Dann blickte sie Goll an.

»Bei unserem ersten Gespräch fragte ich Gabran in deinem Beisein, wann er Beccnat das letztemal gesehen hatte, und er gab eine ehrliche Antwort, was selten vorkommt. Er sagte, daß er sie zwei Tage vor Vollmond getroffen hätte.«

Goll stand nun mit zusammengesunkenen Schultern da, er wirkte müde und erschöpft, ihm war die Wahrheit bewußt geworden. Finmed schluchzte wieder leise.

»Bestätige mir nur noch eine Sache, die du mir erzählt hast, Goll«, sagte Fidelma freundlich. »War es deine oder Gabrans Idee, am Tag vor dem Vollmond nach dem Lughnasa-Fest zum Kloster Molaga zu fahren?«

Goll wandte ihr sein gequältes Gesicht zu. »Du kennst die Antwort genau, Schwester. Er hat vorgeschlagen, an diesem Tag den Transport zu machen.«

Fidelma blickte zu Gabran hinüber, der nach wie vor festgehalten werden mußte.

»Ein Mörder vom Vollmond beeinflußt?« sagte sie nachdenklich. »Nicht im Falle Beccnats. Dieser Mord war kaltblütig geplant. Nachdem Gabran Beccnat ermordet hatte, machte er sich nach Molaga auf den Weg, um sich ein Alibi zu verschaffen. Er setzte die Geschichte von dem mondkranken Mörder in Umlauf, denn Adag berichtete uns, daß er das dem Bre-hon gegenüber besonders betont hatte, als man ihn wegen Lesrens Schuldvorwürfen befragte. Erst später, bei dem zweiten Verbrechen, erklärte Liag allen, daß der Mord in einer Vollmondnacht stattgefunden hatte.«

Gabran betrachtete sie ohne Regung. Er lächelte sogar.

»Ich räche mich, und ich habe Macht. Wissen ist Macht, und ich habe diese Macht.« Er sprach die Worte wie ein Priester, dann begann er hysterisch zu lachen. Auf ein Zeichen von Becc wurde er abgeführt.

Epilog

Ein kleiner Schwarm Steindohlen kreiste in der Luft über den Bergspitzen mit einem aufgeregten: »Krah ... krah ... krah!« Die Meister der Lüfte flogen hoch droben, als seien sie ein Ganzes, dann schwangen sie sich hinab und tauchten bis zum Erdboden hinunter, wobei sie Bögen und Kreise zogen, von denen Fidelma und Eadulf wie verzaubert waren, als sie den Sattel des Cnoc Mhaoldhomhnigh passierten und in die Ebene hinabritten.