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»Was zum Beispiel?«

»Ich weiß nicht«, gestand Fidelma. »Irgend etwas Ungewöhnliches?«

Tola machte eine verneinende Geste.

»Da waren nur die Stichwunden, die zu seinem Tode führten, weiter nichts.«

»Aber wies denn sein Körper keine Blutergüsse auf, keine Anzeichen für einen Kampf, bevor er gefesselt wurde? Keine Anzeichen, daß er gewaltsam niedergehalten wurde, damit man ihn binden konnte? Oder daß man ihn bewußtlos schlug, um ihn fesseln zu können?«

»Du meinst, wie konnte ihn sein Feind fesseln, ohne daß er sich wehrte?«

»Genau das meine ich, Tola«, erwiderte Fidelma. »Ließ er sich von seinem Angreifer an Händen und Füßen fesseln, ohne Widerstand zu leisten?«

Zum erstenmal während ihres Gesprächs machte Tola ein ernstes Gesicht.

»Ich habe keine Blutergüsse gesehen. Mir ist nicht aufgefallen ...«

Er hielt inne.

»Was ist?« fragte Fidelma.

»Ich bin unfähig«, seufzte Tola.

»Wieso?«

»Ich hätte mir damals selbst diese Frage stellen sollen und habe es nicht getan. Ich bin aber sicher, daß sein Körper keine blauen Flecken aufwies und daß die Fesseln an den Handgelenken und den Knöcheln sehr fest waren, doch keine Flecken hinterlassen hatten.«

»Woraus bestanden die Fesseln?« fragte Fidelma zur Kontrolle dessen, was sie schon erfahren hatte.

»Aus Stoffstreifen, die man irgendwo abgerissen hatte. Ich erinnere mich, daß sie aus buntem Leinen waren.«

»Weißt du noch, welche Farben sie hatten?«

»Blau und rot, glaube ich.«

Fidelma nickte. Die Aussage deckte sich mit der von Bruder Conghus.

»Ich nehme an, sie wurden weggeworfen?« erkundigte sich Fidelma.

Zu ihrer Überraschung schüttelte Tola den Kopf.

»Nein, keineswegs. Unser Apotheker, Bruder Mar-tan, hat ein großes Interesse an Reliquien und meinte, die Fesseln Dacans könnten einst eine sehr begehrte und wertvolle Reliquie darstellen, besonders, wenn die Kirche ihn als einen Mann von großer Heiligkeit anerkennt.«

»Also dieser Bruder ...?«

»Martan«, ergänzte Tola.

»Also dieser Bruder Martan hat die Fesseln aufbewahrt?«

»Genau so ist es.«

»Na«, sagte Fidelma erleichtert und lächelte, »das ist ja wunderbar. Ich werde sie allerdings zeitweilig beschlagnahmen müssen, weil sie Beweisstücke im Rahmen meiner Untersuchung sind. Du kannst Bruder Martan sagen, daß er sie zurückerhält, sobald ich fertig bin.«

Tola nickte nachdenklich.

»Aber weshalb, glaubst du, ließ sich Dacan von seinen Feinden ohne Widerstand fesseln, Fidelma?«

»Vielleicht merkte er zu spät, daß sie seine Feinde waren. Nur noch eine Frage: Du sagtest, die Leiche war bereits erkaltet und Dacan vermutlich schon eine Weile tot. Wie lange?«

»Das ist schwer zu beurteilen. Mindestens einige Stunden. Ich weiß nicht, wann man Dacan zuletzt gesehen hat, aber er könnte etwa gegen Mitternacht umgebracht worden sein. Mit Sicherheit trat der Tod während der Nacht ein, nicht später.«

Fidelma spürte, daß die Öllampe auf dem Tisch neben dem Bett erneut ihre Aufmerksamkeit fesselte.

»Dacan wurde irgendwann gegen Mitternacht ermordet«, überlegte sie. »Doch als man ihn fand, brannte die Öllampe noch.«

Cass hatte die ganze Zeit schweigend zugehört, wie Fidelma Bruder Tola befragte, jetzt sah er sie voller Spannung an.

»Warum betonst du das, Schwester?« fragte er.

Fidelma ging zu der Lampe und hob sie noch einmal vorsichtig an, um kein Öl zu verschütten. Wortlos und ebenso vorsichtig gab sie sie Cass in die Hand. Er nahm die Lampe und sah Fidelma mit wachsender Verwirrung an.

»Ich verstehe dich nicht«, sagte er.

»Fällt dir etwas an der Lampe auf?«

Er schüttelte den Kopf.

»Sie ist noch mit Öl gefüllt. Wenn es immer noch dieselbe Lampe ist, kann sie nicht länger als eine Stunde gebrannt haben, bevor Bruder Conghus die Leiche entdeckte.«

Schwester Fidelma saß auf dem Bett in ihrem Zimmer, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und starrte nach oben in die Dunkelheit. Sie hatte beschlossen, daß sie für diesen Tag genug getan hatte. Sie hatte Bruder Tola für seine Unterstützung gedankt und ihn gebeten, sich darum zu kümmern, daß Bruder Martan ihr am nächsten Morgen die Stoffstreifen übergab, mit denen Dacan gefesselt wurde. Dann hatte sie Schwester Necht eine »gute Nachtruhe« gewünscht und ihr aufgetragen, sich am Morgen mit Bruder Rumann bei ihr zu melden.

Sie und Cass hatten sich in ihre Zimmer zurückgezogen, doch statt sofort in den Schlaf zu sinken, saß sie jetzt zurückgelehnt auf ihrem Bett und ließ verschwenderisch die Lampe brennen, während sie über das nachdachte, was sie bisher erfahren hatte.

Es war ihr nun klar, daß ihr ihr Vetter, Abt Brocc, nicht alles erzählt hatte. Warum hatte er eine Woche vor Dacans Tod Bruder Conghus befohlen, ein wachsames Auge auf ihn zu haben? Danach würde sie Brocc fragen müssen.

Es klopfte leise an der Tür ihres Zimmers.

Sie rutschte vom Bett und öffnete.

Draußen stand Cass.

»Ich sah, daß bei dir noch Licht brennt. Ich hoffe, ich störe nicht, Schwester?«

Fidelma schüttelte den Kopf, ließ ihn eintreten und bot ihm den einzigen Stuhl an, den es im Zimmer gab, während sie sich wieder auf das Bett setzte. Anstandshalber ließ sie die Tür offen. In manchen Gemeinschaften lösten neue Moralvorschriften die alten ab. Viele Kirchenführer wie Ultan von Armagh predigten gegen das Fortbestehen gemischter Gemeinschaften und vertraten sogar die unpopuläre Auffassung, die höheren Geistlichen müßten im Zölibat leben.

Sie wußte, daß eine dem heiligen Patrick zugeschriebene Enzyklika im Umlauf war, die fünfunddreißig Regeln für die Anhänger des Glaubens enthielt. Die neunte Regel schrieb vor, daß ein unverheirateter Mönch oder eine Nonne, die aus verschiedenen Orten stammten, nicht in demselben Haus oder Gästehaus wohnen, nicht in demselben Gefährt von Haus zu Haus reisen und nicht frei miteinander reden dürften. Nach der siebzehnten Regel sollte eine Frau, die Keuschheit gelobt und danach geheiratet hatte, exkommuniziert werden, wenn sie nicht ihren Ehemann verließ und Buße tat. Fidelma war empört darüber, daß dieses Dokument im Namen Patricks und seiner Mitbischöfe Auxilius und Iserninus verbreitet wurde, denn es stand im Widerspruch zu den Gesetzen der fünf Königreiche. Was sie zuerst an seiner Echtheit zweifeln ließ, war die erste Regel, wonach jedem Mitglied einer Glaubensgemeinschaft, das sich auf weltliche Gesetze berief, die Exkommunikation drohte. Schließlich hatte vor zweihundert Jahren der heilige Patrick selbst dem Ausschuß von neun Männern angehört, den der Großkönig Laoghaire eingesetzt hatte, um das Zivil- und Strafrecht der fünf Königreiche in neue Form zu fassen.

Für Fidelma war die Verbreitung dieser »Regeln des ersten Rates des heiligen Patrick«, wie sie genannt wurden, eine weitere Propagandaaktion aus dem Lager der prorömischen Fraktion, die das Glaubensleben in den fünf Königreichen Eireanns allein von Rom bestimmt sehen wollte.

Plötzlich wurde ihr bewußt, daß Cass etwas gesagt hatte.

»Tut mir leid«, entschuldigte sie sich verlegen, »ich war in Gedanken meilenweit weg. Was meintest du?«

Der junge Krieger streckte seine Beine vor dem Stuhl aus.

»Ich sagte, mir ist zu der Lampe etwas eingefallen.«

»So?«

»Es ist klar, daß sie jemand aufgefüllt hatte, als Dacans Leiche gefunden wurde.«

Fidelma schaute ihm in die arglosen Augen.

»Es ist allerdings klar, daß die Lampe nicht die ganze Nacht gebrannt haben kann, wenn Dacan gegen Mitternacht oder bald danach umgebracht wurde ... es sei denn«, sie lächelte schelmisch, »wir sind Zeugen eines Wunders geworden, des Wunders der sich selbst nachfüllenden Öllampe.«