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Cass runzelte die Stirn und wußte nicht, was er von ihren Worten halten sollte.

»Dann ist es so, wie ich sage«, beharrte er.

»Vielleicht. Aber wir haben gehört, daß die Lampe noch brannte, als Bruder Conghus die Leiche entdeckte. Er hat sie nicht aufgefüllt. Sie brannte auch noch, als Bruder Tola kam und die Leiche untersuchte, und er schwört, daß er sie ebenfalls nicht aufgefüllt hat. Auf meine gezielte Frage erklärte er, daß er sie löschte, als er und sein Gehilfe, Bruder Martan, den toten Dacan zur Untersuchung in die Leichenkammer schafften. Wer hat sie also aufgefüllt?«

Cass dachte einen Augenblick nach.

»Dann muß sie aufgefüllt worden sein, bevor die Leiche entdeckt wurde oder nachdem sie fortgebracht worden war«, sagte er triumphierend. »Schließlich hast du selbst festgestellt, daß die Lampe nicht mehr als eine Stunde gebrannt haben kann, so viel Öl war noch drin. Also muß sie jemand aufgefüllt haben.«

Fidelma sah Cass mit plötzlicher Belustigung an.

»Weißt du, Cass, du entwickelst allmählich den Verstand eines dalaigh.«

Cass gab ihr den Blick mit einem Stirnrunzeln zurück; er wußte nicht, ob sie ihn verspottete oder nicht.

»Na dann ...«, sagte er gekränkt und wollte aufstehen.

Sie hob die Hand und winkte ihm zu bleiben.

»Ich scherze nicht, Cass. Im Ernst, du hast mich auf etwas hingewiesen, was ich übersehen hatte. Die Lampe wurde sicherlich aufgefüllt, kurz bevor Cong-hus die Leiche entdeckte.«

Cass setzte sich mit einem zufriedenen Lächeln wieder hin.

»Na also! Ich hoffe, ich habe dazu beigetragen, ein kleines Rätsel zu lösen.«

»Wieso ein kleines?« fragte Fidelma.

»Was spielt es schon für eine Rolle, ob eine Öllampe gefüllt oder leer ist?« fragte Cass. »Das Hauptproblem ist, den zu finden, der Dacan umgebracht hat.«

Fidelma schüttelte den Kopf.

»Es gibt nichts, was man als unwichtig bezeichnen kann, wenn man nach der Wahrheit sucht. Was habe ich über das Sammeln von Einzelheiten gesagt? Nimm jedes einzelne Stück, auch wenn sie nicht zusammenzupassen scheinen. Sammle sie und heb sie auf. Das gilt vor allem für die Stücke, die seltsam aussehen und unerklärlich scheinen.«

»Aber welche Bedeutung hat eine Lampe in dieser Angelegenheit?« fragte Cass.

»Das wissen wir jetzt noch nicht. Wir bekommen es nur heraus, wenn wir Fragen stellen.«

»Dein Beruf erscheint mir ziemlich kompliziert, Schwester.«

Fidelma schüttelte den Kopf.

»Er ist es eigentlich nicht. Ich glaube, dein Beruf ist eher komplizierter, was Entscheidungen angeht.«

»Mein Beruf?« Cass richtete sich auf. »Ich bin ein einfacher Krieger im Dienste meines Königs. Ich halte mich wie jeder Krieger an den Ehrenkodex. Was habe ich da für Entscheidungen zu treffen?«

»Die Entscheidung, wann du töten sollst, wann verwunden und wann nicht. Schließlich ist es deine Aufgabe zu töten, und unser Glaube verbietet uns das. Hast du diesen Zwiespalt je gelöst?«

Cass errötete vor Ärger.

»Ich bin Krieger. Ich töte nur die Bösen - die Feinde meines Volkes.«

Fidelma lächelte gepreßt.

»Das klingt, als wüßtest du, daß das immer ein und dieselben seien. Doch der Glaube sagt, du sollst nicht töten. Wenn wir töten, und sei es auch nur, um den Bösen und Schlechten Einhalt zu gebieten, macht uns dann diese Tat nicht ebenso schuldig wie die, die wir töten?«

Cass schnaubte verächtlich.

»Wäre es dir denn lieber, daß sie dich töten?« fragte er spöttisch.

»Wenn wir den Lehren unserer Religion folgen, dann müssen wir davon ausgehen, daß Christus uns ein Beispiel dafür gegeben hat. Wie Matthäus die Worte des Heilands überliefert: >Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen.<«

»Na, daran kann man doch nicht glauben«, höhnte Cass.

Fidelma war auf seine Reaktion gespannt gewesen, denn sie hatte mit einigen Lehren der christlichen Theologie lange gerungen und noch nicht den festen Grund gefunden, auf dem sie manche von ihnen vertreten konnte.

»Warum nicht?« fragte sie.

»Weil du eine dalaigh bist. Du glaubst an das Gesetz. Du versuchst, Mörder aufzuspüren und sie vor Gericht zu bringen. Du glaubst an die Bestrafung der Mörder, selbst wenn du dazu das Schwert gegen sie erheben mußt. Du siehst nicht tatenlos zu und sagst, es sei Gottes Wille. Ich habe gehört, wie ein Gottesmann die Brehons ebenfalls mit den Worten des Matthäus verdammte. >Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet<, sagte er. Ihr Anwälte des Gesetzes ignoriert Matthäus’ Worte in dieser Sache, also ignoriere ich Matthäus’ Worte gegen den Schwertberuf.«

Fidelma seufzte.

»Du hast recht. Es ist schwer, immer >die andere Wange hinzuhalten<. Wir sind eben nur Menschen.«

Irgendwie war sie nie ganz glücklich gewesen mit Lukas’ Wiedergabe von Jesus’ Worten, wenn jemand einem den Mantel stehle, dann solle man dem Dieb auch den Rock noch geben. Damit ermunterte man den Übeltäter doch zu weiterem Diebstahl und Verbrechen und machte sich ebenso schuldig. Aber laut Matthäus sagte Jesus auch: »Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater und die Tochter wider ihre Mutter und die Schwiegertochter wider die Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.« Das war verwirrend, und Fidelma hatte sich lange damit herumgeschlagen.

»Vielleicht verlangt der Glaube zuviel von uns?« unterbrach Cass ihr Nachdenken.

»Vielleicht. Doch was die Menschheit von sich verlangt, sollte immer über das Erreichbare hinausgehen, sonst gäbe es keinen Fortschritt im Leben.« Sie lächelte jungenhaft. »Du mußt entschuldigen, Cass, manchmal versuche ich nur festzustellen, wie stark im Glauben ich bin.«

»Das brauche ich nicht«, erwiderte Cass ungerührt.

»Dann ist dein Glaube fest.« Fidelma gelang es nicht, den Spott in ihrer Stimme zu verbergen.

»Warum sollte ich an dem zweifeln, was die Prälaten predigen?« fragte Cass. »Ich bin ein einfacher Mensch. Sie haben seit Jahrhunderten über diese Fragen nachgedacht, und wenn sie sagen, das ist so, dann muß es wohl so sein.«

Fidelma schüttelte traurig den Kopf. In solchen Augenblicken vermißte sie die lebhaften Diskussionen, die sie mit Bruder Eadulf von Seaxmund’s Ham geführt hatte.

»Christus ist Gottes Sohn«, sagte sie bestimmt. »Deshalb würde Er den Appell an die Vernunft billigen, denn wo es keinen Zweifel gibt, kann es auch keinen Glauben geben.«

»Du bist eine Philosophin, Fidelma von Kildare. Ich hatte nicht erwartet, daß eine Nonne ihren Glauben in Frage stellt.«

»Ich habe zu lange gelebt, um nicht skeptisch zu werden, Cass von Cashel. Man sollte skeptisch durchs Leben gehen und an allem zweifeln, besonders an sich selbst. Doch jetzt sollten wir besser schlafen. Morgen haben wir viel zu tun.«

Sie erhob sich, und Cass folgte widerwillig ihrem Beispiel.

Als er das Zimmer verlassen hatte, legte sie sich auf das Bett, und diesmal löschte sie die Lampe.

Sie versuchte sich alles ins Gedächtnis zu rufen, was sie über den Tod des Ehrwürdigen Dacan erfahren hatte. Sie merkte aber, daß sich andere Gedanken in ihren Sinn drängten. Sie betrafen Eadulf von Seax-mund’s Ham. Wenn sie an ihn dachte, fühlte sie sich immer merkwürdig einsam, verspürte sie fast so etwas wie Heimweh.

Ihr fehlten die Diskussionen mit Eadulf. Ihr fehlte die Art, wie sie ihn mit ihren verschiedenen Meinungen und Philosophien necken konnte, wie er gutmütig immer wieder darauf einging. Sie konnten sich heftig streiten, aber es gab keine Feindschaft zwischen ihnen. Beide lernten daraus, wenn sie ihre Ansichten gegenseitig prüften und ihre Ideen austauschten.