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»Hattest du selbst auch Zusammenstöße mit Da-can?« erkundigte sich Fidelma.

Segan schüttelte den Kopf.

»Wie ich schon sagte, ich achtete ihn. Ich ließ ihn seinen Unterricht halten, und ich denke, die meisten Schüler wußten seine Kenntnisse zu schätzen. Allerdings habe ich auch gehört, daß er zu manchen hier kein freundliches Verhältnis hatte. Abt Brocc nahm das offensichtlich ernst. Ich glaube, er hat sogar Bruder Conghus beauftragt, dafür zu sorgen, daß Dacan keine ernsten Auseinandersetzungen hervorrief. Doch um ehrlich zu sein, ich habe wenig Zeit mit ihm verbracht.«

Fidelma stand zögernd auf.

»Du hast mir sehr geholfen, Rektor«, sagte sie.

Bruder Segan lächelte breit.

»Es war leider nur wenig. Wenn du mich noch mal brauchst, kann dir jeder den Weg zu meinem Zimmer in der Schule zeigen.«

Fidelma ging zum Gästehaus zurück. Auf dem Hof stieß sie auf Cass. Er sah müde aus.

»Ich habe überall nach den beiden Jungen gefragt und gesucht, und nach Schwester Eisten auch«, erklärte er Fidelma. »Wenn sie sich nicht absichtlich vor uns verstecken, dann haben sie wohl die Abtei verlassen.«

Kapitel 9

Von Schwester Grella war Fidelma überrascht. Sie war eine attraktive Frau von Ende Dreißig. Wenn auch eher klein und zur Fülle neigend, besaß sie ein lebhaftes Temperament, gepflegtes braunes Haar und lustige dunkle Augen. Nur der schmollende, sinnliche Mund, meinte Fidelma, störte den Gesamteindruck. Auf den ersten Blick erschien sie fehl am Platz in der ernsten, düsteren Abtei, noch dazu in der Bibliothek. Doch sie leitete die Bibliothek sogar. Und obwohl sie auf den ersten Blick so sinnlich wirkte, hielt sich Schwester Grella gerade und würdevoll wie eine Königin inmitten ihres Hofstaats. Sie saß in einem prachtvoll geschnitzten Eichensessel am hinteren Ende des weiten Bibliotheksaals, der fast so groß war wie die Abteikirche und ein ähnliches Gewölbe hatte. Die Bibliothek dieser Abtei war ein eindrucksvolles Gebäude, auch im Vergleich zu den anderen großen Bibliotheken in den fünf Königreichen von Eireann, die Fidelma besucht hatte.

Die Bücher standen nicht in Regalen, sondern jedes Werk steckte in einer taig liubhair oder Buchtasche aus Leder, auf der sein Titel deutlich verzeichnet war und die an einem der vielen Holzhaken hing, die sich in Reihen an den Wänden entlangzogen. Als Fidelma die imponierende Sammlung betrachtete, fiel ihr die Geschichte vom Tod des heiligen Longargan ein, des hervorragendsten Gelehrten zur Zeit Colmcilles. In der Nacht, in der der heilige Longargan starb, sollen alle Buchtaschen in Irland von ihren Haken gefallen sein als Zeichen der Hochachtung und als Symbol für den Verlust an Gelehrsamkeit, den sein Tod für das Land bedeutete.

Die meisten der Bücher in den Buchtaschen waren Nachschlagewerke, die von Gelehrten häufig benutzt wurden. Es befanden sich auch Bücher von großem Wert darunter, die in reich verzierten Lederhüllen steckten, welche mit Emaille, Gold und Silber geprägt und sogar mit Edelsteinen verziert waren. Es hieß, daß Assicos, der Kupferschmied des heiligen Patrick, viereckige Buchhüllen aus Kupfer für die Bücher des Heiligen anfertigte. Einige Bücher wurden in speziellen Kästchen aus Holz oder Metall aufbewahrt.

In Behältnissen aus geschnitztem Holz lagen Bündel von Hasel- oder Espenstäben, in die Buchstaben des alten Ogham-Alphabets eingeritzt waren, die Stäbe der Dichter, doch was auf ihnen stand, war für immer verloren, wenn die dünnen Holzstäbe verrotteten. Oft übertrug man den Text in das neue Alphabet und auf Pergamentblätter. In der muffigen und dunklen Bibliothek hielten sich mehrere Personen auf. Obwohl ein wenig Tageslicht durch die hohen Fenster fiel, hatte man riesige Kerzen in großen schmiedeeisernen Ständern angezündet. Ihr flackerndes Licht erhellte den Raum, doch war die von ihrem Rauch geschwängerte, stickige Luft einem ernsthaften Studium kaum förderlich. Hier und da saßen Schreiber an besonderen Tischen über Pergamentblätter gebeugt, mit einer Schwanen- oder Gänsefeder in der einen Hand und einem Malerstock zur Unterstützung des Handgelenks in der anderen, und übertrugen ein altes Werk in schöner oder verzierter Schrift für die Nachwelt. Andere lasen schweigend, seufzten gelegentlich, wandten raschelnd ein Blatt um.

Fidelma durchschritt die Gänge mit den Buchtaschen und den Tischen der fleißigen Gelehrten. Niemand hob den Kopf, wenn sie vorbeikam. Sie ging bis zum Ende des Saals, wo der Holzsessel der Bibliothekarin hinter einem Tisch auf einem Podest stand, so daß sie die Tech Screptra in ihrer ganzen Länge und Breite überblicken konnte.

»Schwester Grella? Ich bin ...«, setzte Fidelma an, als sie vor der Bibliothekarin stand.

Schwester Grella hob eine kleine, wohlgeformte Hand und brachte sie damit zum Schweigen. Sie legte einen Finger an die Lippen, erhob sich und wies auf eine Seitentür.

Fidelma verstand das als Einladung, ihr zu folgen.

Hinter der Tür fand sich Fidelma in einem kleinen Raum wieder, der mit Bücherregalen angefüllt war, aber auch einen Tisch und mehrere Stühle enthielt. Auf dem Tisch lagen ein paar Blätter Pergament, ein adiricin, ein Tintenbehälter, eine Reihe von Schreibfedern und ein kleines Messer zum Spitzen der Federn. Es handelte sich offensichtlich um ein privates Arbeitszimmer.

Schwester Grella schloß die Tür hinter Fidelma und wies mit huldvoller Geste auf einen Stuhl. Als Fidelma sich setzte, ließ sich die Bibliothekarin auf einen Stuhl ihr gegenüber nieder.

»Ich weiß, wer du bist und weshalb du kommst«, sagte sie leise.

Fidelma lächelte. »Das macht meine Aufgabe wesentlich einfacher«, antwortete sie.

Die Bibliothekarin hob eine Augenbraue, sagte aber nichts.

»Bist du schon lange Bibliothekarin in Ros Ai-lithir?«

Schwester Grella hatte diese Eingangsfrage offensichtlich nicht erwartet und runzelte die Stirn.

»Ich bin hier leabhar coimedach seit acht Jahren«, antwortete sie nach kurzem Zögern.

»Und davor?« forschte Fidelma.

»Davor war ich nicht in der Abtei.«

Fidelma hatte die Fragen nur gestellt, um etwas aus dem Vorleben der Bibliothekarin zu erfahren, doch sie spürte einen leisen Ton des Mißtrauens in deren Stimme und wollte gern den Grund dafür erfahren.

»Dann mußt du mit sehr guten Empfehlungen hergekommen sein, um einen so wichtigen Posten zu besetzen, wenn du nicht in diesem Kloster ausgebildet wurdest, Schwester«, bemerkte sie.

Schwester Grella machte eine abwehrende Geste mit der linken Hand.

»Ich bin bis zum sai ausgebildet.«

Fidelma wußte, daß man sechs Jahre eine geistliche Schule besuchen und gute Kenntnis der Bibel und ein gründliches Allgemeinwissen besitzen mußte, um den Grad eines sai zu erlangen.

»Wo hast du studiert?« fragte sie aus reiner Neugierde.

Wieder zögerte Schwester Grella ein wenig. Dann sagte sie: »An der vom heiligen Colmcille gegründeten Klosterschule namens Cealla.«

Fidelma starrte sie einen Moment verblüfft an.

»Cealla in Osraige?«

»Ich kenne kein anderes«, antwortete Grella tadelnd.

»Stammst du denn aus Osraige?« Schon wieder dieses Grenzland. Unglaublich, wie viele verschiedene Verbindungen zwischen dem Königreich Osraige und Ros Ailithir anscheinend bestanden.

»Ursprünglich«, gab Schwester Grella zu. »Ich verstehe aber nicht, was das mit deiner Aufgabe zu tun hat. Abt Brocc hat mir erklärt, du seist eine dalaigh und kämst, um den Tod Dacans von Fearna zu untersuchen. Mein Geburtsort und meine Qualifikationen stehen doch wohl kaum in einem Zusammenhang damit?«

Fidelma betrachtete sie nachdenklich.

Die Bibliothekarin machte nicht gerade einen entspannten Eindruck. Ihr Mund zitterte leicht, eine Hand spielte nervös mit dem silbernen Kruzifix an ihrem Halse.