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Bruder Midach sah nicht so aus, wie man sich einen Arzt vorstellt. Offenbar besaß er Humor, denn sein rundes Gesicht war von unzähligen Lachfalten durchzogen. Das Haar ging ihm aus, und es war schwer zu entscheiden, wie weit die Tonsur reichte und was natürliche Kahlheit war. Seine Lippen waren dünn, seine braunen Augen blickten warm und freundlich, und auf seinen Wangen standen Bartstoppeln.

Fidelma hatte sein Zimmer, ohne anzuklopfen, betreten. Der Arzt war allein und anscheinend dabei, eine Kräutermixtur herzustellen. Er blickte stirnrunzelnd auf.

»Ich bin Fidelma von Kildare«, begann sie.

Bruder Midach musterte sie eingehend, bevor er antwortete, unterbrach aber seine Tätigkeit nicht.

»Mein Kollege, Bruder Tola, hat von dir gesprochen. Suchst du ihn?«

»Nein. Ich habe gehört, du hast heute nachmittag die Kinder aus Rae na Scrine untersucht. Stimmt das?«

»Das stimmt«, antwortete Bruder Midach. »Der Abt hielt es für das beste, sie direkt zu Bruder Molua weiterzuschicken, der an der Küste ein Haus für Waisenkinder hat. Schwester Aibnat hatte den Auftrag, sie dort hinzubringen. Ich sollte sie untersuchen, um festzustellen, ob sie gesund sind.«

Fidelma war die Enttäuschung anzusehen.

»Also sind sie alle fort?«

Midach nickte zerstreut und zerstieß weiter Blätter in seinem Mörser.

»Wir haben hier keine Einrichtungen für Kinder«, erklärte er. »Die beiden kleinen Mädchen waren gesund. Und je eher Tressach, der Junge, mit anderen Jungen zusammenkommt, desto glücklicher wird er sein. Ja, im Hause Moluas wird es ihnen besser gehen.«

»Du sagst gar nichts von den beiden Brüdern, Cetach und Cosrach?«

Midach hob den Blick vom Mörser.

»Welche beiden Brüder?« fragte er. »Da waren zwei Schwestern ...«

»Die schwarzhaarigen Jungen«, unterbrach Fidelma ihn ungeduldig.

»Ich weiß nichts von schwarzhaarigen Jungen. Ich habe zwei Mädchen untersucht und einen achtjährigen Jungen«, stellte Midach fest.

»Keinen vierzehnjährigen und keinen ungefähr zehnjährigen Jungen?«

Midach schüttelte verblüfft den Kopf.

»Nun sag mir bloß nicht, daß Bruder Rumann etwas verwechselt hat und zwei andere Kinder zu Mo-lua geschickt werden sollten? Ich habe sie bestimmt nicht gesehen .«

Aber Fidelma war schon hinaus und auf dem Wege zum Gästehaus.

Bruder Rumann fuhr überrascht auf, als sie erneut bei ihm hereinplatzte.

»Die beiden schwarzhaarigen Jungen«, fragte sie. »Cetach und Cosrach. Wo sind sie?«

Bruder Rumann sah sie gekränkt an und blickte auf sein brandubh-Brett. Die Figuren waren durcheinandergefallen, wahrscheinlich durch seine erschrockene Bewegung, als Fidelma zur Tür hereinstürmte.

»Also wirklich, Schwester. Ein wenig Geduld bitte. Ich hatte beinahe eine neue Kombination fertig. Eine wundervolle Taktik .«

Er hielt inne, als er merkte, wie aufgeregt sie war.

»Ist etwas geschehen?«

»Ich frage dich, wo die beiden schwarzhaarigen Jungen sind, Cetach und Cosrach.«

Bruder Rumann ordnete langsam die Figuren auf dem brandubh-Brett.

»Schwester Aibnat sollte sämtliche Kinder zu Bruder Midach bringen, und wenn er der Meinung wäre, sie seien gesund genug, dann sollte sie mit ihnen zu Molua aufbrechen.«

»Bruder Midach sagt, daß ihm nur die beiden kleinen Mädchen, Ciar und Cera, vorgestellt wurden und ein etwa achtjähriger Junge, nämlich Tressach. Was ist aus den anderen beiden Jungen geworden?«

Bruder Rumann erhob sich.

»Bist du sicher, daß sie nicht mit Schwester Aibnat fort sind?« fragte er ungläubig.

»Bruder Midach weiß nichts von ihnen«, erwiderte Fidelma.

»Wo können sie sich dann versteckt haben? Dumme, eigensinnige Kinder. Sie hätten mit Schwester Aibnat mitgehen sollen. Jetzt müssen wir noch jemanden zu Moluas Waisenhaus schicken.«

»Wann hast du sie zuletzt gesehen?«

»Daran kann ich mich nicht erinnern. Vielleicht, als Salbach hier ankam. Mir fällt ein, daß Schwester Necht mit ihnen in ihrem Zimmer sprach. Kurz darauf kam die Anordnung von Brocc, daß die Kinder in das Waisenhaus geschickt werden sollten.«

»Hast du eine Ahnung, wo sie sich versteckt halten könnten?« fragte Fidelma. Sie erinnerte sich, wie sehr Cetach sich vor Salbach fürchtete. Hatten er und sein Bruder sich irgendwo versteckt und warteten darauf, daß Salbach die Abtei verließ? Saßen sie vielleicht immer noch dort, weil sie nicht wußten, daß er schon fort war?

»Es gibt viele Möglichkeiten«, versicherte ihr Ru-mann. »Aber mach dir keine Sorgen, Schwester. Bald läutet die Vesperglocke, und dann wird der Hunger sie aus ihrem Versteck treiben.«

Fidelma war nicht davon überzeugt.

»Wir hatten schon angenommen, die Mittagsglocke würde sie zum Essen locken. Wenn du Schwester Eisten siehst, sag ihr, daß ich sie sprechen möchte.«

Bruder Rumann nickte zerstreut und wandte sich wieder seinem brandubh-Spiel zu.

In ihrem Zimmer streckte sich Fidelma erschöpft auf dem Bett aus. Sie wünschte, sie hätte Brocc gesagt, die Kinder aus Rae na Scrine sollten in der Abtei bleiben, bis sie den Fall gelöst hatte. Sie hatte nicht gedacht, daß er sie so schnell fortschicken würde. Für jedes Geheimnis, das sie aufdeckte, kamen neue auf.

Warum hatte Cetach sie gebeten, ihn und seinen Bruder Cosrach nicht vor Salbach zu erwähnen? Warum waren die Jungen dann verschwunden? Warum war Salbach so wenig bereit, ihrer Anklage gegen Intat zu glauben? Und hatten alle diese Dinge etwas mit dem Tode Dacans zu tun, dessen Ermordung aufzuklären ihre Hauptaufgabe war?

Bisher ergab das, was sie herausgefunden hatte, wenig Sinn. Sie hatte zwar einige Theorien, die sie weiterentwickeln konnte, doch der alte Brehon Morann hatte sie davor gewarnt, Theorien aufzustellen, bevor sie über das ganze Beweismaterial verfügte. Wie lautete doch sein Lieblingsspruch? »Mach keinen Käse, bevor du nicht die Kühe gemolken hast.« Doch sie war sich bewußt, wie schnell ihr größter Feind enteilte -die Zeit.

Sie fragte sich, wie sich ihr Bruder Colgü wohl als König von Muman fühlte. Sie machte sich Sorgen um ihn.

Ihm war sicher wenig Zeit geblieben, den toten König Cathal mac Cathail, ihren Vetter, zu betrauern. Doch die Hauptsache war, daß ein Krieg verhindert werden mußte. Und die Verantwortung dafür lastete ausschließlich auf ihr.

Wieder wünschte sie sich, Eadulf von Seaxmund’s Ham wäre hier bei ihr und sie könnte ihre Vermutungen und Verdachtsmomente mit ihm besprechen. Doch dann fühlte sie sich irgendwie schuldig wegen dieses Wunsches und begriff nicht, warum.

Das Zuschlagen einer Tür ließ sie sich rasch aufrichten. Sie hörte schwere, eilige Schritte auf dem Gang unten und dann auf der Treppe zum Obergeschoß des Gästehauses. Solche Schritte verhießen nichts Gutes. Als die Schritte ihre Tür erreichten, hatte sie sich schon vom Bett erhoben und stand der Tür gegenüber.

Es war Cass, der nach flüchtigem Anklopfen ins Zimmer stürzte. Er war völlig außer Atem.

»Schwester Fidelma!« keuchte er. »Schwester Eisten. Man hat sie gefunden.«

Sie starrte ihn an, las das Weitere in seinen Augen.

»Hat man sie tot gefunden?« fragte sie leise.

»Ja!« bestätigte Cass.

Kapitel 10

Die Leiche lag am Sandstrand unterhalb der Mauern der Abtei. Es dunkelte schon, doch eine Gruppe von Fischern und ein paar Mönche und Nonnen hatten sich aus Neugier darum versammelt. Mehrere von ihnen hielten Fackeln in den Händen, die den Schauplatz beleuchteten. Fidelma folgte Cass zu der Gruppe. Sie sah, daß Bruder Midach bereits dort war und die Leiche untersuchte. Ein Mönch mittleren Alters stand hustend neben ihm und hielt ihm eine Laterne. Wahrscheinlich Bruder Martan, der Apotheker. Der Arzt war offensichtlich von den Leuten gerufen worden, die Eisten gefunden hatten. Fidelma meinte in dem flackernden Licht zu erkennen, daß er sichtlich erschüttert aussah.