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»Das ist sicher nicht recht, Schwester«, murmelte Cass. »Wir sollten dieses Zimmer nicht ohne Erlaubnis betreten.«

Fidelma entzündete die Kerze, trat einen Schritt zurück und sah Cass spöttisch an.

»Als dalaigh am Gericht kann ich das Recht in Anspruch nehmen, eine Person oder einen Raum zu durchsuchen, wenn ein begründeter Verdacht auf ein Vergehen vorliegt.«

»Dann glaubst du also, daß Schwester Grella ihren früheren Ehemann und Schwester Eisten umgebracht hat?«

Fidelma winkte ihm zu schweigen und begann das Zimmer zu durchsuchen. Für jemanden, der acht Jahre in der Abtei verbracht hatte, wies Schwester Grellas Zimmer äußerst wenige persönliche Gegenstände auf. Ein Gebetbuch lag neben dem Bett und dazu ein paar Toilettenartikel, Kämme und dergleichen. Fidelma fand einen großen Krug mit einer Flüssigkeit, roch mißtrauisch daran und verzog die Lippen zu einem Lächeln. Es war cuirm, ein starker Met, der durch Gärung gemalzter Gerste gewonnen wurde. Anscheinend trank Schwester Grella gern in der Einsamkeit ihres Zimmers.

Sie wandte sich den wenigen Kleidern zu, die an Haken an der Wand hingen, doch ohne rechtes Interesse. Sie gaben nichts her. Halbherzig durchwühlte sie einen Beutel, der zwischen den Kleidern hing, nur um nichts zu übersehen. Zuerst glaubte sie, er enthielte nur ein paar Stücke Unterzeug. Sie holte sie hervor und besah sie sich beim Schein der Kerze. Dann fiel ihr plötzlich ein Leinenrock auf.

»Cass, schau dir das mal an«, flüsterte sie.

Der Krieger beugte sich vor.

»Ein gestreifter Leinenrock, na und ... Was ...?«

Er hielt inne und begriff plötzlich, was er vor sich hatte.

»Blau und rot. Wie die Streifen, mit denen Dacan gefesselt wurde.«

Fidelma prüfte den Saum des Rocks. Hier war tatsächlich ein langer Streifen abgerissen worden. Sie stieß einen leisen Pfiff aus.

»Dann ist Grella die Mörderin!« verkündete Cass aufgeregt. »Hier ist der Beweis.«

Fidelma war ebenso aufgeregt, aber ihr juristischer Verstand mahnte sie zur Vorsicht.

»Es ist nur der Beweis, woher der Stoff stammte, mit dem Dacan gefesselt wurde. Doch diese Kleider sehen nicht so aus, als würden sie von der Bibliothekarin einer Abtei getragen. Allerdings scheint Schwester Grella auch keine typische Bibliothekarin zu sein. Für alle Fälle kannst du bezeugen, Cass, wo ich den Rock gefunden habe.«

»Gern«, stimmte der Krieger zu. »Ich sehe keinen Grund zum Zweifeln. Grella hat dich über ihr Verhältnis zu Dacan belogen, und jetzt finden wir das hier! Ist da noch ein weiterer Beweis nötig?«

Fidelma antwortete nicht, sie steckte die anderen Stücke wieder in den Beutel, verstaute den Rock aber in ihrem marsupium. Dann ging sie zum Bett, um auch noch einen Blick darauf zu werfen. Ihr Fuß stieß gegen eine Erhebung im Boden, die nicht nachgab, und ein heftiger Schmerz zuckte durch ihren Fuß.

Sie beugte sich sofort nieder und untersuchte die Stelle. Es war ein loser Ziegelstein im Boden, an dem sie sich gestoßen hatte. Er ragte etwas über die anderen Steine hinaus und bewegte sich leicht, als sie ihn berührte.

»Hilf mir mal, Cass«, wies sie ihn an.

Der Krieger nahm sein langes Messer, schob es unter den Stein und hob ihn an. Darunter war ein Hohlraum. Fidelma leuchtete mit ihrer Kerze hinein und holte ein Bündel Pergamentblätter hervor. Sie rollte sie auf und studierte die sorgfältige Schönschrift.

»Dacans Aufzeichnungen«, flüsterte sie. »Grella hielt sie die ganze Zeit versteckt.«

»Dann brauchen wir weiter keinen Beweis. Sie muß Dacan umgebracht haben!« stellte Cass befriedigt fest.

Fidelma war zu sehr mit der Prüfung des Inhalts beschäftigt, um darauf zu antworten.

»Es ist ein Brief an seinen Bruder, Abt Noe.« Dann verbesserte sie sich. »Nein, nur der Entwurf dazu. Er redet davon, daß er nach den Erben der ursprünglichen Könige von Osraige sucht. Aber er hat Tinte darüber vergossen und deshalb das Blatt verworfen. Hör dir das an, Cass: >Der Sohn von Illan muß nach den Aufzeichnungen gerade das Alter der Wahl erreicht haben. Er ist alt genug, um als König in Frage zu kommen. Ich habe festgestellt, daß sich der Gesuchte im Kloster von Finan in Sceilig Mhichil unter dem Schutz seines Vetters verbirgt. Morgen werde ich von hier aufbrechen und dorthin reisen.< Sieh mal das Datum!« Sie hielt Cass das Blatt hin und deutete darauf. »Dies muß er wenige Stunden vor seinem Tode geschrieben haben.«

»Wen hat Dacan denn gesucht?« fragte Cass. »Das hört sich eigenartig an.«

»Kennst du das Kloster in Sceilig Mhichil?«

»Ich war noch nie dort, aber ich weiß, daß es sich auf einer Felseninsel im Meer weit im Westen befindet und ziemlich klein ist.«

»Dacan ist nie nach Sceilig Mhichil aufgebrochen«, murmelte sie. »Ein paar Stunden später, nachdem er dies geschrieben hatte, war er tot.«

Fidelma legte das Pergament nicht in das Versteck zurück, sondern tat es zu dem Rock in ihr marsupium. Dann beugte sie sich nieder, rückte den Ziegelstein wieder zurecht und stand auf.

»Schwester Grella wird uns allerhand erklären müssen«, meinte sie.

Sie blickte sich noch einen Moment im Zimmer um, dann blies sie die Kerze aus und öffnete vorsichtig die Tür. Draußen war niemand, also trat sie rasch hinaus und winkte Cass, ihr zu folgen. Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, eilte sie den Gang entlang.

»Wohin jetzt?« fragte Cass ein wenig gekränkt, weil er schon wieder danach fragen mußte.

»Schwester Grella suchen«, antwortete sie kurz.

»Wo fangen wir an?«

Sie begannen damit, den Verwalter, Bruder Ru-mann, nach ihr zu fragen, doch als sie nach einer ganzen Stunde noch keine Spur von ihr entdeckt hatten, meinte Cass: »Vielleicht hat sie die Abtei verlassen?«

»Gibt es denn keinen aistreoir in dieser Abtei?« fauchte Fidelma.

»Torhüter ist Bruder Conghus«, antwortete Cass automatisch, bevor er merkte, daß ihre Frage rein rhetorisch war.

»Das ist mir bekannt«, erwiderte sie knapp. »Anscheinend können aber Leute aus dieser Abtei hinaus gelangen und verschwinden, wie sie wollen. Erst ist Eisten verschwunden, dann die beiden Jungen aus Rae na Scrine, und jetzt ist auch die Bibliothekarin nirgends aufzufinden.«

Bruder Conghus wenigstens war nicht verschwunden. Er saß in seinem kleinen Dienstzimmer neben dem Tor der Abtei und schrieb Notizen auf Wachstäfelchen. Er blickte überrascht auf, als Fidelma ohne jede Förmlichkeit eintrat.

»Schwester? Womit kann ich dir dienen?« fragte er und stand langsam auf.

»Ich suche Schwester Grella«, antwortete Fidelma.

Der Torhüter zog eine Schulter hoch und ließ sie hilflos fallen.

»Also in der Bibliothek ...?« begann er, doch Fidelma schnitt ihm das Wort ab.

»Wenn sie dort wäre, wären wir nicht hier. In ihrem Zimmer ist sie auch nicht. Hat sie die Abtei verlassen?«

Bruder Conghus schüttelte sofort den Kopf.

»Es ist meine Aufgabe, das Kommen und Gehen der Leute in die Abtei hinein und aus ihr heraus festzuhalten«, sagte er. »Nach meinen Aufzeichnungen hat Schwester Grella sie nicht verlassen.«

»Führst du eine Liste für jeden Tag?«

»Natürlich.«

»Aber dies ist nicht der einzige Eingang zur Abtei«, bemerkte Fidelma.

»Es ist der Haupteingang«, erwiderte Conghus. »Die Regel lautet, daß jeder, der die Abtei verläßt oder sie betritt, das melden muß, damit wir wissen, wer sich innerhalb der Mauern der Abtei aufhält.«

»Doch wenn sie durch einen Seiteneingang hinausgegangen ist ...?«

»Dann hätte sie es mir mitgeteilt. So lautet die Regel«, wiederholte Conghus.

»Heute abend habe ich die Abtei durch eine Hintertür verlassen, von der ein Weg zum Strand führt. Dann kam ich zurück und brachte den Kapitän des Kriegsschiffs von Laigin mit. Er blieb eine Weile in der Abtei, bevor er auf sein Schiff zurückkehrte. Steht das auch in deinen Aufzeichnungen?«