John verstaute das Fleisch im Kühlschrank, wusch sich die Hände und ging zurück in seine Wohnung. Es gab nur eine Person, die ihnen jetzt weiterhelfen konnte.
Kapitel 13
„John, weißt du, was du da von mir verlangst? Es verletzt alle Prinzipien, Informationen aus einer laufenden Ermittlung – noch dazu einer, die nicht in mein Ressort fällt – unautorisiert nach außen zu geben. Abgesehen davon kann es mich meine gesamte Karriere kosten, wenn das aufkommt.“
John tat es beinahe körperlich weh, seine Schwester in eine so folgenschwere Zwickmühle gebracht zu haben. Schon als Kind war Maggie ein sehr geradliniger Mensch gewesen, klug, fleißig und pflichtbewusst. Gleichzeitig hatte sie sich immer schon leidenschaftlich für Schwächere eingesetzt. Folgerichtig war sie in jedem Jahr ihrer Schulzeit zur Vertrauensschülerin gewählt worden.
„Ich weiß, Maggie. Ich würde dich auch nicht darum bitten, wenn die Lage nicht so verzweifelt wäre.“ In der Leitung herrschte Stille. Schließlich hatte seine Schwester eine Entscheidung gefällt.
„Verdammt. Ich werde sehen, was ich tun kann.“ Sie schnitt Johns Dankesworte ab und fuhr fort. „Aber du wirst keiner Menschenseele verraten, woher du diese Informationen hast, versprich es mir. Niemandem!“
John versprach es.
„Komm heute zum Abendessen. Alan ist gestern nach Brüssel geflogen, aber die Kinder freuen sich sicher, dich endlich einmal wiederzusehen. Dann können wir uns in Ruhe unterhalten.“
Als John auflegte, war ihm ein wenig leichter zumute.
Gleich darauf rief Bonnie an. „Dieser Richard!“, schimpfte sie erbost. „Gerade kam ein Anruf von ihm. Nachdem ich ihm mitgeteilt hatte, seine Mutter hätte eine ruhige Nacht gehabt und wirkte nun wieder etwas gefasster, sagte er nur, ich solle sie schön grüßen und er würde dann morgen vorbeischauen. Heute hätte er eine Reihe wichtiger Termine. Was sagen Sie dazu? Ich weiß gar nicht, warum Marcia ihn so vergöttert. Seine Masche als liebender Sohn zieht er wohl nur für die Öffentlichkeit durch, aber in Wirklichkeit ist er ein egoistischer, kalter Fisch.“ Sie redete sich immer mehr in Rage, bis sich ihr Ton mit einem Mal schlagartig änderte. „Marcia, wieso sind Sie aufgestanden? Ich bringe Ihnen sofort Ihren Tee, legen Sie sich nur wieder hin. Ich habe gerade John Mackenzie erklärt, wie schön es doch ist, dass Richard sich trotz seiner immens wichtigen Termine morgen die Zeit nimmt, um seine Mutter zu besuchen.“, flötete sie. Dann leiser, „Ich versuche, Sie zu erreichen, sobald er da ist. Wiedersehen, John.“
Mit dem Gefühl, auf der Stelle zu treten, legte er frustriert auf. Vor dem Gespräch mit Maggie heute Abend würde er offensichtlich nichts Neues herausfinden. Ein Blick in den Kalender zeigte ihm, dass Weihnachten mit Riesenschritten näher rückte. Er beschloss, den heutigen Tag für seine Einkäufe zu nutzen, nachdem Doc Hunter seinen Verband gewechselt hatte und er mit Mullins gesprochen hatte.
Während der Arzt sehr zufrieden war – „Die Wunde hat sich nicht entzündet. Wenn Sie´s noch ein, zwei Tage ruhiger angehen lassen, sind Sie so gut wie neu.“ – fand John Chief Mullins am Rande eines Tobsuchtsanfalls vor.
Bonnies Schreibtisch war mit ungeöffneter Post übersät. Mit dem Brieföffner traktierte Mullins gerade einen dicken Umschlag.
„Wie soll ich den ganzen Betrieb hier am Laufen halten, wenn ich Stunden und Tage damit vergeude, mich sinnlos mit diesen hirnlosen Vollidioten von der Polizei herumzustreiten und dann auch noch den Job meiner Sekretärin übernehmen muss. Wo ist die verdammte Schere?“ Er hielt inne, als sein Blick auf Johns frisch verbundene Hand fiel. „Was haben Sie denn angestellt?“
„Kleiner Fütterungsunfall, nichts Ernstes. Ab morgen bin ich wieder im Dienst.“
„Hm.“ Mullins warf den Briefumschlag hin und lehnte sich an Bonnies Schreibtisch.
„Es ist zum Kotzen, Mackenzie. Gestern habe ich mit den Männern über den Fußballabend letzte Woche gesprochen. Die meisten konnten mir genau sagen, welche Spielzüge jedem einzelnen Tor vorausgegangen waren und wer wen wie gefoult hatte, aber ansonsten hat keiner etwas mitbekommen. Logischerweise kann sich keiner erinnern, wer wann den Raum verlassen hat.“ Er seufzte. „Haben Sie schon mit Richard gesprochen?“
„Nein, Sir, er hat Bonnie gesagt, er würde doch erst morgen wieder herkommen.“ Zu gerne hätte er Mullins von seinem Gespräch mit Maggie erzählt, aber sein Versprechen verpflichtete ihn zum Stillschweigen. Missmutig griff Mullins erneut nach dem Brieföffner.
„Dann stecken wir fest. Es fällt mir schwer, das zu akzeptieren. Ich kann meine Verpflichtungen als Kommandant dieser Einheit auch nicht länger ruhen lassen, um jemandem beizustehen, der jede Hilfe ablehnt.“ Er seufzte. „Und ich brauche auch Bonnie schnellstmöglich wieder hier, sonst drehe ich noch durch. Von mir aus engagieren wir eine Krankenschwester für Marcia, falls das nötig ist. Und nun lassen Sie mich allein, damit ich anfangen kann, dieses Chaos in den Griff zu bekommen.“ John zog sich eilig zurück.
Eine Stunde später tauchte er in die vorweihnachtliche Glitzerwelt der Konsumtempel von Knightsbridge ein. Bewaffnet mit einer langen Einkaufsliste ließ er sich von der Menge dick vermummter Menschen ins Kaufhaus Harrods hineinschieben.
Wie immer überkamen ihn in der prunkvollen Lebensmittelabteilung zwischen den vielen Theken mit Spezialitäten aus aller Welt Kindheitserinnerungen. Eine Tasse heiße Schokolade und eine Süßigkeit in diesen Räumen, die sich seither kaum verändert hatten, war für die drei Mackenzie-Geschwister oft der krönende Abschluss eines samstäglichen Stadtbummels der gesamten Familie gewesen.
Nun stand er staunend vor einer endlos langen Anrichte mit handgemachten Pralinen. Ingwerstäbchen, Himbeer-Champagner-Trüffel, Mokkapralinen, Kompositionen aus Marzipan und Nougat und auch in seinen Augen ungewöhnlichen Zutaten wie Rosmarin, Chili und Calvados.
Spontan erstand er für Maggie eine kleine Auswahl aus liebevoll verpackten Nuss-Schokoladen-Kreationen. Als er erheblich später zur Kasse ging, quoll sein Einkaufskorb schier über: Darjeeling- und Earl Grey-Tees für seine Mutter, mit der er die Leidenschaft für das britische Nationalgetränk teilte, dazu schottisches Shortbread, das Lieblingsgebäck seines Vaters, und dessen bevorzugte Marke bitterer Orangenmarmelade. Sein Bruder David würde sich über die biologisch angebauten Kaffeesorten aus Costa Rica, Panama und Brasilien freuen, Maggies Ehemann Alan über eine Flasche Ardbeg-Whisky.
Er deponierte alles in einem Schließfach des Kaufhauses und wanderte weiter in die Spielzeugabteilung. Wenig später gesellten sich zu den Leckereien in seinem Depot ein großes Plüschpferd, mehrere Puzzles und zwei Modellautos.
Auf dem Weg in die Sportabteilung passierte er einen Sonderstand mit herrlich weichen Kaschmirschals, denen er nicht widerstehen konnte. Er hatte bereits für seine Auswahl bezahlt, als ihm ein leuchtend roter Schal ins Auge sprang. Der würde Bonnie sicher gut stehen. Kurz entschlossen packte er erneut sein Portemonnaie aus.
Danach steuerte er einen gut sortierten Buchladen an. Aus seinem Plan, mit dem Bildband über die Dinosaurierausgrabungen das Geschäft prompt wieder zu verlassen, wurde nichts. Bücher waren eine seiner Leidenschaften. Er genoss es, in die Welten, die sich zwischen ihren Seiten auftaten einzutauchen.