Выбрать главу

„Gestern Abend konnte ich kurz mit ihm reden. Ich bin überzeugt davon, dass er Julia Feldmann nicht umgebracht hat, auch wenn wir es noch nicht beweisen können. Er war es, der mich zu dir schickte. Ich sollte dir ausrichten, er würde an dich denken und du solltest dir keine Sorgen machen.“

Einen kurzen Moment lang dachten alle drei daran, was geschehen wäre, hätte John in dieser Nacht nicht vor Marcias Tür gestanden.

Dann ergriff Marcia bewegt die Hände der beiden Männer. „Ihr seid so gute Freunde für uns. Wie konnte ich nur an George zweifeln, während ihr an ihn geglaubt habt?“ Plötzlich stockte sie. „Aber was ist dann mit den Fingerabdrücken? Mir wurde gesagt, die Polizei hätte Georges Abdrücke auf dem Rucksack des Mädchens gefunden. Darum dachte ich, es müsste George gewesen sein, der …“

„Der Fingerabdruck beweist lediglich, dass er den Rucksack in der Hand gehabt haben muss, aber nicht, dass er ein Mörder ist. Könnte er sonst irgendwie in Kontakt mit dem Mädchen gestanden haben oder ihr irgendwo begegnet sein?“ Marcia sah sie ratlos an.

„Ich habe keine Ahnung. Ich bin sicher, dass er sie nie erwähnt hat.“

Mullins tätschelte ihre Hand und stand auf. „Es wird sich schon alles aufklären. Wichtig ist erstmal, dass du wieder auf die Beine kommst. Also ruh dich schön aus.“ Sie schickten sich an, zu gehen. Marcia aber umklammerte Johns Hand. „Mein Sohn – er hat doch nichts damit zu tun?“

„Nigel Owen sagte mir, er wäre in der fraglichen Zeit mit Richard zusammen in der Bar gewesen, um Telefonate zu führen. Mach dir keine Gedanken um ihn.“, beruhigte John sie und löste sich behutsam aus ihrem Griff.

In der Tür drehte Mullins sich noch einmal um. „Ach, da fällt mir etwas ein, Marcia: Deinen Abschiedsbrief hat außer John und mir niemand gesehen. Wir werden ihn vernichten. Wir wollen die Polizei doch nicht durch ein falsches Geständnis verwirren, nicht wahr?“

Er zwinkerte ihr zu und sie verabschiedeten sich. Trotz der Verbände um ihre Handgelenke, der zahlreichen Schläuche und Monitore, an die sie angeschlossen war, wirkte Georges Frau so gelöst, als sei eine tonnenschwere Last von ihr genommen worden.

Draußen wurde John wieder von heftigem Niesen überfallen. „Ich brauche jetzt dringend etwas Warmes, bevor wir zurückfahren. Gehen wir in die Cafeteria.“

Angesichts eines Gebräus, das wie Spülwasser aussah und als Earl Grey verkauft wurde, entschied John sich für eine Tasse Kaffee. Sie setzten sich.

„Kein Wunder, dass die hier kaum Gäste haben. Die Stühle sind noch unbequemer als die von Scotland Yard und was sie einem da für zwei Pfund als Kaffee verkaufen…“ Mullins schüttelte sich. Dann sah er John anerkennend an.

„Sie lagen richtig mit Ihrer Vermutung Marcia betreffend. Aber was jetzt? Wenn Richard auch nichts mit der Sache zu tun hat, dann stehen wir wieder am Anfang.“

John schüttelte den Kopf. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir Owens Aussage, dass er pausenlos mit Richard zusammen war, für bare Münze nehmen können. Er scheint ja wie besessen davon zu sein, Richard zum Wahlerfolg zu verhelfen. Daher frage ich mich, ob er nicht auch bedenkenlos für ihn lügen würde.“ Mullins nickte nachdenklich.

„Außerdem, Chief, überlegen Sie: Wenn keiner der Campbells eine Verbindung zu Julia Feldmann hatte: Warum hätte George dann die Notwendigkeit gesehen, sie durch sein Schweigen schützen zu wollen? Ich denke, es gibt da doch irgendeinen Berührungspunkt, von dem wir nichts wissen. Aber George kennt ihn.“

Kapitel 15

Angespannt betrat John das mittlerweile vertraute Gebäude von Scotland Yard. Er hoffte inständig, durch sein Gespräch mit George einige Antworten finden zu können. Er meldete sich beim Empfang an. Nachdem er einige Minuten gewartet hatte, sah er sich jedoch der Person gegenüber, der er am allerwenigsten begegnen mochte: Simon Whittington. Sein Cousin schritt durch die Eingangshalle auf ihn zu und musterte ihn mit ausdruckslosem Gesicht. „John. Wir müssen uns unterhalten.“ John fluchte lautlos und folgte dem Superintendenten in dessen Büro.

Unaufgefordert ließ er sich in einem der Besuchersessel nieder und setzte ein unschuldiges Lächeln auf.

„Wie geht es mit dem Fall voran, Simon? Der Presse lässt sich ja leider kaum etwas darüber entnehmen.“ Whittington knipste ebenfalls ein Lächeln an und ließ seine makellosen Zahnreihen blitzen. „Ich freue mich über dein Interesse. Du bist sicher gekommen, um mir zu berichten, was dir George Campbell bei eurer nächtlichen Unterredung gestern erzählt hat.“

John zeigte wieder einmal seine verbundene Hand, die kaum noch schmerzte.

„Wie du weißt, ist George der Ravenmaster des Towers. Seit er verhaftet wurde, habe ich seine Pflichten übernommen. Allerdings habe ich noch zu wenig Erfahrung, wie man sieht. Stell dir vor, was passiert ist: Ich kam zu spät zur Abendfütterung und – “

„Ich hatte dich gefragt, über was du und Campbell gesprochen habt.“, unterbrach Whittington ihn zähneknirschend.

„Das versuche ich dir ja gerade zu erklären. Nachdem mich einer der Raben angegriffen hatte – allerdings war ich selbst daran schuld – brauchte ich dringend einige Tipps von George. Immerhin stehen die Raben sozusagen in königlichen Diensten und haben das Anrecht auf die beste Pflege – “

„Du willst doch nicht behaupten, ihr habt euch nur über diese Viecher unterhalten? Nach den Aufzeichnungen der Wache hat Campbell während eures Gesprächs einen sehr betroffenen Eindruck gemacht und sogar geweint. Wie willst du mir das bei so einem läppischen Thema plausibel machen?“ John legte einen tief erschütterten Ausdruck auf sein Gesicht. „Läppisches Thema? Die Raben sind Georges Lebensinhalt, und das seit über zwanzig Jahren. Natürlich war er bestürzt, als er von Brans Verhalten gehört hat. Bran ist sozusagen der Rudelführer der Tiere – “ John konnte sehen, wie eine Ader an der Stirn seines Cousins anschwoll und er musste sich ein Grinsen verbeißen.

Abrupt stand sein Cousin auf und baute sich vor John auf. „Was kannst du mir über den Suizidversuch von Marcia Campbell sagen?“

„Ich weiß nur, dass wir sie gerade noch rechtzeitig gerettet haben. Doc Hunter hat uns heute Morgen aus dem Krankenhaus angerufen, dass sie zwar noch nicht über den Berg ist, aber immerhin lebt. Deswegen bin ich hier, schließlich muss George davon erfahren.“

„Warum hat sie das getan?“

John zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Das wirst du sie selbst fragen müssen, sobald man wieder mit ihr sprechen kann. Aber welche Frau würde es nicht schwernehmen, wenn ihr geliebter Gatte unter Mordverdacht verhaftet wird?“

„Wie kam es, dass ausgerechnet du und dieser Mullins sie so schnell gefunden habt?“

„Als die Krankenschwester Alarm gegeben hat, dass Marcia verschwunden war, haben wir Suchmannschaften gebildet. Chief Mullins und ich haben in der Water Lane nachgesehen und sie dort entdeckt.“ Verwundert registrierte John, wie leicht ihm die Lügen über die Lippen gingen. Er bemerkte, dass er begann, dieses kleine Schauspiel richtiggehend zu genießen. „Kann ich noch irgendetwas für dich tun oder kann ich jetzt zu George?“, fragte er freundlich.

Nun war es an Whittington, überlegen zu lächeln. „Nein, tut mir leid.“

„Wie bitte? Wieso nicht?“, begehrte John auf. Der Superintendent ging wieder um den Schreibtisch herum, ließ sich in seinen Sessel fallen und streckte lässig die Beine von sich.

„Tja, lieber Cousin, ich hatte dich ja gewarnt: Auf Einmischung in meine Ermittlungen reagiere ich allergisch. Also untersage ich dir ab sofort den Kontakt zu unserem Verdächtigen.“

„Dazu hast du nicht das Recht!“ Whittington griff nach dem mit seinen Initialen verzierten Zigarrenetui und nahm eine der dicken Rollen heraus. Genüsslich hielt er sich eine Cohiba unter die Nase. „Ich verstehe deine Enttäuschung. Tatsächlich kann ich in Fällen, wo eine Verdunklungsgefahr besteht, beim leitenden Staatsanwalt ein Kontaktverbot beantragen. Ausgenommen davon bleibt selbstverständlich der Anwalt des Verdächtigen. Wir sind schließlich ein Rechtsstaat.“