„Ich danke Ihnen vielmals für Ihr Kommen und das dankenswerte Engagement, das Sie damit für unsere gute Sache beweisen. Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass ein großer Teil des heutigen Erlöses an die Hospizstiftung des St. Bartholomew´s Krankenhauses gehen wird. Damit Sie selbst hören können, welch herausragende Arbeit dort geleistet wird, möchte ich das Wort an Dr. Percival Farnsley übergeben. Er ist nicht nur der Chefarzt unserer Klinik, sondern auch ein international renommierter Spezialist in der Krebsforschung.“
Als sie sich in den rückwärtigen Teil der Bühne zurückzog, zischte sie John zu, „Es ist wohl besser, wir streichen deine Rede. Das würde nur wieder für Unruhe sorgen und damit geriete der Zweck des heutigen Tages ganz ins Hintertreffen.“ John nickte erleichtert. In den folgenden Minuten schaffte Dr. Farnsley es, durch seine bewegende Schilderung des Schicksals zweier krebskranker Kinder die Meute zu fesseln.
„Meister aller Tränendrüsenklassen“, murmelte Mullins John zu. Als Farnsley zum Schluss kam, zog Patricia Edwina Dunders nach vorne. Nahtlos übernahm sie das Mikrofon.
„Ich bitte Sie um einen kräftigen Applaus für den unermüdlichen Motor der fleißigen Hände des Towers: Mrs. Edwina Dunders!“
Mit roten Backen erklärte diese: „Der Markt ist eröffnet. Sie wissen ja, mit jedem Kauf tun Sie Gutes für die, die unsere Hilfe am dringendsten brauchen. Also öffnen Sie Ihr Herz und Ihren Geldbeutel.“
Patricia begann zu klatschen und in den Beifall hinein begann der Chor des Towers ein mitreißendes Weihnachtslied zu singen. Die ersten Besucher begannen, zu den festlich geschmückten Buden zu strömen. John nutzte die Gelegenheit, in seine Wohnung zu verschwinden. In Zivilkleidung, hoffte er, würde er der Aufmerksamkeit der Presse besser entgehen können.
Als er sich gerade seiner Uniform entledigt hatte, läutete es. Hastig warf er sich einen Bademantel über und öffnete. Erstaunt sah er Simons Frau vor sich stehen.
„Patricia! Ich dachte, du bist auf dem Markt – “
„Kann ich einen Moment hereinkommen?“
„Äh, ja, natürlich. Setz dich doch einen Augenblick in die Küche, bis ich mir etwas übergezogen habe.“ Wenig später saßen sie sich gegenüber. Patricia hatte das Angebot einer Tasse Tee abgelehnt und John wartete gespannt darauf, dass sie zur Sache kam.
„Du hast dich ja schnell verkrümelt vorhin, John.“
„Ich dachte, wenn ich in der Uniform über unseren Weihnachtsbasar schlendere, lassen die Pressegeier mir keine ruhige Minute. Deshalb wollte ich mich schnell umziehen, bevor ich wieder hinausgehe.“
Patricia nickte ein wenig abwesend.
„Du hast die Situation vorhin gut in den Griff bekommen, mein Kompliment. Chief Mullins lag richtig mit seiner Einschätzung, dass ein Großteil der Reporter nicht wegen des Basars gekommen ist, sondern wegen unseres Mordfalles. Aber du hast sie gut eingebremst.“
Patricia zuckte graziös mit den Schultern. „Ich sehe mich als Lobbyistin der guten Sache. Im Lauf der Jahre habe ich gelernt, die Aufmerksamkeit der Medien für unsere Zwecke zu nutzen. Aber ich verstehe auch, dass das öffentliche Interesse am Tod der Studentin die Reporter dazu zwingt, impertinente Fragen zu stellen. Bedauerlicherweise stocken die Ermittlungen ja seit langem, wie du sicher weißt.“ John lächelte unverbindlich.
„Simon … steht sehr unter Druck. Du kannst dir vorstellen, dass gerade bei einem solch Aufsehen erregenden Fall eine schnelle Aufklärung oberstes Ziel ist. Mittlerweile werden immer mehr Stimmen laut, die den schleppenden Fortgang der Ermittlungen kritisieren.“ Sie seufzte, ein wenig aufgesetzt, wie John fand. Dann fasste sie unversehens nach seiner Hand.
„Oh John, ich weiß, ihr habt eure Differenzen, aber du würdest Simon doch keine wichtigen Informationen vorenthalten, nicht wahr?“
„Welche wichtigen Informationen meinst du?“
„Nun ja, Simon hat mir erzählt, dass du und der verdächtige Ravenmaster Freunde seid und du auch der Einzige bist, mit dem er spricht. Ansonsten blockiert dein Freund die Nachforschungen durch sein hartnäckiges Schweigen.“
John hob eine Augenbraue. „Cousin Simon kann sich glücklich schätzen, dass er eine so gute Zuhörerin für seine Sorgen hat.“ Patricia zog ruckartig ihre Hand weg und er konnte sehen, wie sie unter ihrem Make-up ein wenig errötete.
„Natürlich bespricht mein Mann niemals Details eines Falles, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, mit mir. Ich weiß kaum mehr, als in den Zeitungen steht. Aber ich kann doch sehen, wie sehr ihn dieser Stillstand belastet.“
So sehr, dass er nun sogar seine eigene Frau zum Spionieren zu mir schickt, dachte John sarkastisch. Laut aber sagte er, „Patricia, meine Liebe, ich kann verstehen, dass du dir als Ehefrau Sorgen um Simon machst. Ich würde auch liebend gern zur Lösung dieses Falles beitragen, das kann ich dir versichern. Wie du schon sagtest, ist George Campbell mein Freund und ich glaube an seine Unschuld. Aber dein Mann hat mir unmissverständlich klar gemacht, dass er sich jegliche Einmischung meinerseits oder meiner Beefeater-Kollegen in die Ermittlungen verbittet und daran habe ich mich gehalten, so schwer es mir fällt.“ Er setzte sein unschuldigstes Lächeln auf. Patricia warf ihm einen prüfenden Blick zu.
Dann gab sie sich geschlagen. „Wie ist es, John, begleitest du mich zu einem Rundgang über den Basar?“
„Es wäre mir ein Vergnügen.“ Galant hielt er ihr die Tür auf.
Mit Schließung der Tore traf sich ein Großteil der Tower-Gemeinschaft im Innenhof, um beim Abbau der Buden mitzuhelfen. Edwina betrat die Bühne und klatschte in die Hände.
„Meine lieben Freunde! Es freut mich, euch mitteilen zu können, dass dies der erfolgreichste Basar war, den wir je abgehalten haben. So gut wie alle unsere Waren sind ausverkauft und wenn Sid nicht schnellstens für Nachschub gesorgt hätte, wären uns schon am Nachmittag die Getränke ausgegangen.“ Applaus brandete auf.
„Natürlich müssen unsere Einnahmen erst gezählt werden, aber ich bin mir sicher, wir konnten ein Rekordergebnis erzielen.“ Wieder Beifall. „Nun möchte ich allen, die mitgeholfen haben, ganz herzlich danken. Ich denke, jedes Mitglied unserer Mannschaft hat seinen Teil zu diesem Erfolg beigetragen. Nun bauen wir schnell die Stände ab und hernach spendiere ich für alle Glühwein und Kekse.“
John nahm gerade Lichterketten ab, als Chief Mullins über den Hof auf ihn zugeeilt kam. „Es gibt Neuigkeiten. Gerade eben hat mich Lieutenant Fielder angerufen, ein alter Freund aus Air Force-Zeiten. Heute leitet er das zentrale Archiv der Streitkräfte.“
Mullins nahm John eine der Ketten ab und wickelte sie sorgsam zusammen.
„Komische Sache, kann ich Ihnen sagen. Fielder sagte, seine Leute hätten eine ganze Weile herumgesucht, aber außer einer sehr dürren Personalakte von diesem Gerry Burrows nichts finden können.“
„Wie kann das sein? Es muss doch Ermittlungsberichte aus dem Verfahren gegen ihn geben.“
Mullins nickte. „Das sollte man meinen. Fielder hat sich bedeckt gehalten, aber ich konnte heraushören, dass er stinksauer ist. Die Archivare sagen, dass durch die Fusion der Einheiten – die Seaforth Highlanders bilden mittlerweile nach einigen Zusammenschlüssen das vierte Bataillon des Königlich Schottischen Regiments – möglicherweise Datensätze verlegt worden sind. Das glaube ich aber nicht.“, sagte er skeptisch. „Mir sieht es eher danach aus, als hätte dieser Burrows damals einen Draht zu den richtigen Leuten gehabt, die dann Informationen verschwinden ließen.“
„Was wissen wir dann überhaupt über diesen Kerl?“
„Nicht viel mehr als sein Geburtsdatum – er muss jetzt siebenundvierzig Jahre alt sein – und seine damalige Heimatadresse. Bevor er zur Armee kam, lebte er bei seinen Eltern in Manchester. Wohin er nach seiner Entlassung ging, ist unbekannt.“
„Gibt es ein altes Foto, Einsatzberichte, Angaben über persönliche Verbindungen, irgendwas?“ Mullins schüttelte bedauernd den Kopf.