Sein Schild hing noch an seinem Pferd, das ein Stück weiter auf dem Hof zum Stehen gekommen war und nach dem anstrengenden Galopp schnaufte und schnaubte.
Der Krieger stand vorgebeugt da, hatte das Schwert nun mit beiden Händen gefaßt und schwang es herum zur Abwehr drohender Gefahren. Beruhigt stellte er fest, daß nur ein halbes Dutzend sichtlich verängstigter Mönche hinter dem Tor kauerte und eine einzige Nonne ihm gegenüberstand.
Er richtete sich auf und brüllte vor Lachen, bevor er drohend mit dem Schwert fuchtelte. Das Zurückprallen der Mönche steigerte seine Heiterkeit noch. Dann merkte er, daß die Nonne ungerührt dastand und ihn ansah, die Hände züchtig vor sich gefaltet. Ihre hohe, wohlgeformte Gestalt und ihr hübsches Gesicht gefielen ihm.
»Wer bist du, Krieger?« fragte ihn Fidelma.
Die ruhige Autorität ihrer Stimme beeindruckte ihn. Dann grinste er.
»Ich bin ein Mann, keiner von den Eunuchen, mit denen du dich umgeben hast, Frau. Komm mit, und ich zeige dir, was ein Mann alles kann.«
Fidelmas Blick glitt besorgt zu Eadulf, der immer noch dalag und nach Atem rang. Vor dem Tor lag Bruder Madagan, wahrscheinlich tot. Auch die Frau regte sich nicht mehr. Mit offener Verachtung sah sie den Krieger an.
»Du hast schon bewiesen, was du kannst«, erwiderte sie ruhig, ohne die geringste Furcht zu zeigen. »Du hast den Mord an einem Glaubensbruder und einer wehrlosen Frau auf dem Gewissen. Demnach bist du überhaupt kein Mann, sondern etwas, was ich mir mit einem Stock vom Hacken kratze, wenn ich durch Morast gegangen bin.«
Ihr Ton war so gelassen, daß der Krieger noch einen Moment weiter grinste, nachdem sie gesprochen hatte. Erst dann begriff er, was sie gesagt hatte.
Sein schmaler Mund verzog sich vor Wut.
»Du kommst jetzt mit oder du stirbst!«
Er drohte ihr mit dem Schwert.
Einer der Brüder, es war der junge Daig, trat mit schamrotem Gesicht wegen seiner anfänglichen Feigheit vor, als wolle er sie beschützen. Er kam nicht einmal dazu, etwas zu sagen, denn der Krieger wandte sich sofort um und stieß ihm die Schwertspitze in die Brust. Daig stöhnte auf und brach in die Knie, das Blut strömte über seine Kutte. Er starrte auf seine Wunde, als traute er seinen Augen nicht.
»Du bist tapfer, wenn du waffenlose Knaben und Frauen vor dir hast«, schrie ihn Fidelma an und machte einen Schritt nach vorn, hielt aber inne, als er die Schwertspitze auf sie richtete. »Hast du einen Namen? Oder schämst du dich seiner?«
Der Krieger schluckte bei soviel Kühnheit.
»Meine Name geht dich nichts an, Metze. Denk nicht, weil du eine Frau bist, kannst du mich ungestraft beleidigen!«
Fidelma blickte auf den jungen Daig, der mit der Hand das Blut aus seiner Wunde zu stillen versuchte.
»Du hast schon gezeigt, wie deine Tapferkeit aussieht. Da ich auch waffenlos bin, hast du sicher Mut genug, mir zu beweisen, was für ein jämmerlicher Kerl du wirklich bist.«
Bruder Daig schaute mühsam auf. Tränen standen ihm in den Augen. Er blickte zu der Gruppe seiner verängstigten Brüder hinüber und setzte mehrmals an, ehe er sprechen konnte. »Das Tor, Brüder ... das Tor muß zu, ehe noch mehr von der Sorte hereinkommen.«
Das hatte Fidelma auch gerade erkannt. Je länger das Tor offenstand, desto eher würden es weitere Angreifer bemerken und in die Abtei eindringen. Dann könnte sie nichts mehr daran hindern, ein Blutbad unter den Mitgliedern der Gemeinschaft anzurichten.
»Laß das ja sein, Metze«, knurrte der Krieger, als er ihren besorgten Blick auf das Tor bemerkte. »Du bist tot, ehe du hinkommst. In wenigen Augenblicken sind meine Kameraden hier.«
Bruder Daig stöhnte vor Schmerzen, als er zu gehen versuchte. »Er ist nur einer allein, Brüder. Er kann nicht euch alle umbringen. Schließt das Tor und entwaffnet ihn!«
Der Krieger zischte wütend, und seine Schwertklinge traf den jungen Bruder voll am Hals.
Bruder Daig fiel hintenüber. Man brauchte nicht nachzusehen, ob er tot war, das war nur zu deutlich.
Endlich kam Eadulf wieder zu Atem. Er holte ein paarmal tief Luft und rappelte sich hoch, doch die Schwertspitze des Räubers zwang ihn sofort wieder zu Boden.
»Das Tor!« rief Fidelma den eingeschüchterten Mönchen zu. »Der letzte Befehl eures toten Bruders muß ausgeführt werden!«
»Keine Bewegung, oder der hier stirbt«, fauchte der Krieger und ritzte Eadulfs Schulter mit dem Schwert.
»Macht es!« rief Eadulf laut, dessen Zorn seine eigene Furcht überwand.
Einen Moment wurde der Blick des Kriegers abgelenkt, weil er zu den Mönchen hinüberschaute, ob sie Eadulf gehorchten. Darauf hatte Eadulf nur gewartet. Er rollte sich blitzschnell aus dem Bereich der Klinge und stürzte auf das Tor zu.
Das Schwert erhoben, wandte sich der Krieger zu ihm um, aber es war zu spät. Mit einem Wutschrei stürmte er los, während Eadulf schon das Tor zuschob. Plötzlich kam ihm Fidelma in den Weg. Er wollte sie mit dem Schwert treffen, doch plötzlich flog er durch die Luft und wußte nicht, wie.
Nur Eadulf hatte aus dem Augenwinkel gesehen, wie Fidelma lossprang. Sein Herz klopfte vor Schreck, doch irgendwie erinnerte er sich dunkel an die Körperhaltung, die sie einnahm. Er hatte schon mehrmals erlebt, wie sie das machte, das erstemal in Rom. Sie stand da, als wolle sie den Schwerthieb mit bloßem Kopf abfangen. Dann schien sie einfach zuzufassen, packte den Arm des Mannes und schleuderte ihn über ihre Hüfte mit dem Kopf gegen die Steinmauer der Abtei. Es klatschte dumpf, und der Krieger schlug ohne einen Laut auf dem Boden auf und blieb besinnungslos liegen.
Fidelma hatte Eadulf einmal erzählt, daß es im alten Irland eine Gruppe von Gelehrten gab, die Unterricht in den ehrwürdigen Lebensauffassungen ihres Volkes erteilten. Sie reisten weit umher und trugen keine Waffen zu ihrer Verteidigung, weil ihr Glaube das Töten von Menschen untersagte. Doch sie mußten sich vor Räubern und Banditen auf den Landstraßen schützen.
So waren sie gezwungen, eine troid-sciathaigid genannte Technik zu entwickeln, eine Kunst der waffenlosen Verteidigung. Viele Missionare erlernten diese Methode, bevor sie Irland verließen und in fremden Ländern den neuen Glauben predigten.
»Los, kommt! Helft Bruder Eadulf!« rief Fidelma. »Macht das Tor zu.«
Sie eilte selbst zu ihm, lief jedoch plötzlich zum Tor hinaus. Bruder Madagan lag nur wenige Schritte entfernt da draußen.
»Schnell, hilf mir, Eadulf!« rief sie ihm zu.
Er begriff sofort, was sie vorhatte, und folgte ihr. Sie packten Bruder Madagan an den Ärmeln seiner Kutte und schleiften ihn hastig hinein, kurz bevor die Brüder sich endlich ermannten und die Torflügel zuschoben. Kaum waren sie drinnen, wurden die Balken vorgelegt.
Fidelma wurde gleich wieder tätig.
»Bindet den Krieger!« rief sie den Brüdern zu, die jetzt beschämt und verlegen herumstanden, weil sie vorher nicht reagiert hatten. »Entwaffnet und fesselt ihn, damit er keinen weiteren Schaden anrichten kann.«
Sie blickte hinunter auf Bruder Madagan. Eadulf untersuchte ihn gerade.
»Er lebt noch«, stellte er befriedigt fest. »Die Wunde ist nicht so schlimm. Er ist wohl nur mit der flachen Klinge am Kopf getroffen worden. Das Blut auf der Stirn stammt von einem kleinem Schnitt. Er wird bald zu sich kommen.«
Fidelma schaute Eadulf besorgt an, denn er hatte Blut auf seiner Kutte von dem Schwertstich des Kriegers. »Und du selbst?« fragte sie schnell.