Eadulf lächelte und faßte sich an die Schulter. »Ich habe schon Schlimmeres überlebt. Das war nur ein Nadelstich. Viel schmerzhafter war es, als der Mann mit seinem ganzen Gewicht auf mich fiel. Das werde ich wohl noch eine Weile spüren.«
Fidelma eilte schon zu der reglosen Gestalt der Frau, die noch auf dem Pflaster des Hofes lag.
»Es ist die Wirtin!« Fidelma erkannte Cred erst jetzt. »Bei unserem Glauben!« rief sie, »sie scheint noch zu atmen.«
Sie beugte sich nieder und hob den Kopf der Frau ein wenig hoch.
Eadulf untersuchte rasch die Wunde, sah Fidelma an und schüttelte langsam den Kopf. Hier kam jede irdische Hilfe zu spät.
Cred öffnete noch einmal die Augen. Furcht war darin zu lesen.
»Still!« sagte Fidelma sanft. »Du bist unter Freunden.«
Cred stöhnte und rollte die Augen. Das Sprechen fiel ihr schwer. »Ich ... ich weiß ... mehr ...«, röchelte sie.
Eadulf drehte sich zu den wartenden Mönchen um. »Holt Wasser!« befahl er.
Sofort eilte einer von ihnen davon.
»Bleib ruhig«, sagte Fidelma zu Cred. »Wir sorgen für dich. Lieg still.«
»Feinde ...«, keuchte Cred. »Ich hörte, was der Bogenschütze sagte. Feinde . der Feind ist in Cashel. Der Fürst .«
Ihr Kopf sank zurück, doch ihre Augen blieben weit offen.
Eadulf bekreuzigte sich. Er hatte genug Tote gesehen, um zu wissen, daß das Leben der Herbergswirtin sein Ende gefunden hatte.
Fidelma verharrte einen Moment mit gerunzelter Stirn.
Der Mönch brachte Wasser herbei, und Bruder Ea-dulf erhob sich und machte sich daran, Bruder Mada-gan wiederzubeleben. Langsam kam der Verwalter der Abtei zu sich.
Eadulf wandte sich an die Gruppe junger Mönche, die wie eine Schafherde dastand und auf Befehle wartete.
»Hat Bruder Madagan einen Gehilfen?« fragte er. »Gibt es einen stellvertretenden Verwalter der Abtei?«
Gemurmel und Füßescharren war die Antwort.
»Das wäre Bruder Mochta gewesen«, erklärte schließlich einer. »Wer es jetzt ist, weiß ich nicht.«
»Na, bis wir das feststellen, übernehme ich die Leitung«, verkündete Eadulf. »Einer von euch bringt Bruder Madagan auf sein Zimmer. Er hat einen üblen Schlag auf den Kopf erhalten. Holt den Apotheker. Dann brauche ich Freiwillige, die die Leichen von Cred und Bruder Daig in die Totenkammer schaffen und das Blut hier beseitigen.«
»Das kannst du mir überlassen, Bruder Angelsachse«, antwortete einer der Mönche. »Aber was machen wir mit dem Krieger?«
Eadulf wandte sich nach dem Räuber um. Der war sicher verschnürt, aber wieder bei Bewußtsein. Er lag mit dem Rücken an die Mauer gelehnt, an den Füßen festgebunden und mit auf dem Rücken gefesselten Händen. Er probierte seine Fesseln, hörte aber damit auf, als Eadulf zu ihm trat.
»Du wirst dir noch wünschen, du hättest mich umgebracht, Bruder«, zischte er durch die zusammengebissenen Zähne.
»Du wirst dir das vielleicht auch wünschen, mein boshafter Freund«, erwiderte Eadulf grimmig. »Ich nehme an, deine mörderischen Freunde da draußen werden nicht mehr viel von dir halten, nachdem du dich von einer Frau hast entwaffnen und gefangennehmen lassen. Eine unbewaffnete Nonne hat dich bewußtlos geschlagen. Was für eine Grabschrift für einen Krieger wie dich: Aut viam inveniam aut faci-am, wie? Sieg oder Tod lautet das Motto des Kriegers. Du aber hast beides nicht errungen.«
Der Krieger verzog den Mund und versuchte Ea-dulf anzuspucken.
Mit breitem Lächeln wandte sich Eadulf an den hilfsbereiten jungen Mönch, der seine Anordnungen erwartete.
»Laß diesen tapferen Kämpfer da liegen, wo er ist, Bruder ...?«
»Bruder Tomar.«
»Also, Bruder Tomar, laß ihn liegen und mach dich erst an die anderen Aufgaben.«
Eadulf ging zurück zu Fidelma, die immer noch an Creds Leiche stand und sie nachdenklich betrachtete.
»Weißt du, ich glaube, Cred ist nicht zur Abtei gerannt, um Schutz zu suchen«, sagte sie und hob den Kopf. »Ich meine, sie wollte zu mir.« Sie seufzte und fügte hinzu: »Hat dir der Krieger etwas gesagt?«
»Nichts. Er gibt sich nicht zu erkennen.«
»Na, wir können ihn später in Ruhe verhören.«
Fidelma wandte sich dem Wachtturm zu. »Schauen wir erst einmal, was draußen vor sich geht. Wenn die Krieger die Abtei angreifen wollen, lassen sie sich aber viel Zeit damit. Das finde ich merkwürdig. Es wird schon hell.«
Sie stiegen auf den Turm und blickten über den Platz hinweg auf die Stadt. Die Gebäude brannten noch, doch die Flammen loderten nicht mehr so hell wie zuvor. Schwarze Rauchsäulen standen darüber. Fidelmas Blick blieb sogleich an dem Überrest des großen Eibenbaums hängen. Man hatte den Stamm mit den Äxten eingekerbt und den Baum dann mit Hilfe von Seilen umgebrochen. Den Stumpf hatte man angebrannt.
Betrübt schloß Fidelma die Augen.
»In den sechzehn Jahrhunderten, seit Eber Fionn die Eibe zum Symbol unseres Glücks erklärte, ist so etwas nie vorgekommen«, sagte sie leise.
Plötzlich kniff sie die Augen zusammen. Die Bewegungen in dem Ort ließen erkennen, daß die Angreifer sich in Gruppen sammelten.
Fidelma merkte, daß die Glocke der Abtei noch immer Sturm läutete. Sie hatte nie damit aufgehört. Sie hatte sich seltsamerweise so daran gewöhnt, daß es ihr zunächst gar nicht aufgefallen war.
»Laß das Läuten einstellen«, wies sie Eadulf an.
»Wenn es bis jetzt niemand gehört hat und uns zu Hilfe geeilt ist, dann kommt auch keiner mehr.«
»Wenn ich den jungen Bruder Tomar finde, kann er sich darum kümmern.«
Er wollte schon die Treppe hinabsteigen, als Fidel-ma ihn zurückhielt.
»Warte mal! Da in den Wäldern im Süden bewegt sich was. Ich glaube, die Räuber sammeln sich jetzt zum Angriff auf die Abtei!«
Eadulf trat vor und folgte ihrem Blick.
»Wir haben keine Verteidigungsmöglichkeit. Wenn sie diesen Eibenbaum in so kurzer Zeit fällen können, dann brechen ihre Axtträger die Eichentore der Abtei in Minuten auf.«
Fidelma mußte widerwillig zugeben, daß Eadulf recht hatte. »Vielleicht können wir mit ihnen verhandeln«, meinte sie ohne Überzeugung.
Eadulf schwieg und ließ den Blick über die brennende Stadt und die Überreste des großen Eibenbaums schweifen. Im grauen Licht der Morgendämmerung sah man zahlreiche Leichen herumliegen.
Bruder Tomar kam die Treppe heraufgeeilt.
»Ich habe alles getan, was du angeordnet hast, Bruder Angelsachse«, berichtete er. »Bruder Madagan ist wieder bei Bewußtsein, aber noch schwach. Abt Segdae hat sich auch erholt und versucht die Brüder zu sammeln, damit sie den Feinden mit größerer Fassung entgegentreten.« Verlegen schaute er Fidelma an. »Wir haben uns am Tor nicht gut verhalten, als der Krieger kam, Schwester. Dafür muß ich mich entschuldigen.«
Fidelma verzieh großmütig. »Ihr seid Glaubensbrüder und keine Krieger. Euch ist kein Vorwurf zu machen.«
Sie schaute immer noch besorgt nach Süden, wo sie inzwischen eine Reiterschar ausgemacht hatte.
Bruder Tomar folgte ihrem Blick.
»Sammeln sie sich zum Angriff auf die Abtei?« flüsterte er ängstlich.
»Ich fürchte, ja.«
»Dann warne ich lieber die anderen.«
Fidelma winkte ab. »Wozu? Es gibt keine Möglichkeit die Abtei zu verteidigen.«
»Aber vielleicht könnten wir wenigstens die Schwestern unseres Ordens in Sicherheit bringen. Ich habe mal gehört, daß der Abt von einem geheimen Gang gesprochen hat, der zu den nahen Bergen führt.«
»Ein Gang? Dann lauf gleich zu Abt Segdae. Wenn wir ein paar Nonnen retten können, bevor diese Barbaren einbrechen .«
Bruder Tomar war schon auf dem Wege, ehe sie noch den Satz beendet hatte. Eadulf berührte Fidelma am Arm und wies wortlos über die Brüstung. Sie sah, wie am Nordende der brennenden Stadt ein Trupp der Angreifer davonritt, in entgegengesetzter Richtung zu der herankommenden Reiterschar.