»Wenn wir nicht beweisen können, wer für den Attentatsversuch verantwortlich war, dann kann die Gegenseite doch auch nichts beweisen«, meinte Eadulf.
»So läuft es aber nicht«, erklärte ihm Fidelma. »Fürst Donennach stand als Gast unter dem Schutz meines Bruders, als die Attentäter angriffen. Mein Bruder war für die Sicherheit seiner Gäste verantwortlich. Er muß jetzt den Beweis erbringen, daß er mit dem Attentat nichts zu tun hatte. Fürst Donennach muß nicht beweisen, daß mein Bruder Schuld trägt.«
»Das verstehe ich nicht ganz.«
»Nur wenn mein Bruder nachweisen kann, daß es sich um ein Komplott der Ui Fidgente oder einer anderen Gruppe gehandelt hat, ist er von der Verantwortung entbunden.«
»Das ist kompliziert«, bemerkte Eadulf.
»Dennoch ist das der Dreh- und Angelpunkt des Gesetzes.«
»Was hoffen wir jetzt in Bruder Mochtas Zelle noch zu finden? Wir haben sie doch schon einmal durchsucht.«
Sie standen nun vor ihrer Tür.
»Ich weiß auch nicht, was ich zu finden hoffe«, ge-stand Fidelma. »Irgend etwas, was uns aus diesem Sumpf herausführt.«
Sie hörten etwas fallen und sahen sich verblüfft an. Das Geräusch kam aus Bruder Mochtas Zelle.
Fidelma legte den Finger auf den Mund und packte mit der anderen Hand fest den Riegel der Tür. Dann riß sie die Tür auf. Wie sie vermutet hatte, war sie nicht verschlossen.
Finguine, der Fürst von Cnoc Äine, kniete am Boden und schaute verdutzt zu ihnen auf.
Er schwieg einen Moment, dann erhob er sich und wischte sich den Staub von den Knien.
»Du hast mich erschreckt, Fidelma«, beschwerte er sich.
»Du uns nicht weniger«, erwiderte Eadulf.
»Was machst du hier, Vetter?« fragte Fidelma und sah sich rasch im Raum um.
Finguine schaute verlegen drein. »Ich hörte vom Verwalter der Abtei ...«
»Bruder Madagan?« warf Eadulf ein.
»Genau. Er erzählte mir von dem Verschwinden des Mönchs, und ich bat ihn, mir seine Zelle ansehen zu dürfen. Es hat den Anschein, als habe hier ein Kampf stattgefunden und der arme Bruder sei gewaltsam fortgeschafft worden. Vielleicht hat man ihn gezwungen, die Reliquien aus der Kapelle zu holen, und ihn dann in die Berge entführt. Wahrscheinlich hat man ihn dort umgebracht.«
Fidelma sah ihren Vetter durchdringend an. »Ist das deine Erklärung des Geschehens, Finguine?«
»Ich glaube, man braucht nicht viel Phantasie, um sich das hier zu erklären«, meinte Finguine und wies mit der Hand in den Raum.
»Aber ...«, setzte Eadulf an, doch bemerkte er plötzlich ein böses Funkeln in Fidelmas Augen. Also schwieg er lieber.
»Was wolltest du sagen?« fragte Finguine.
Eadulf lächelte verlegen. »Ich meinte nur, daß der Anschein täuschen kann. Ich . na ja . deine Erklärung klingt logisch.«
»Da hörst du’s«, sagte Finguine zu Fidelma. »Ich fürchte, wir müssen eher nach einer Leiche suchen als nach dem lebenden Bruder Mochta. Als die Diebe die heiligen Reliquien in den Händen hatten, wozu brauchten sie da noch Bruder Mochta?«
»Warum nahmen sie ihn dann überhaupt mit?« Die Frage konnte sich Fidelma nicht verkneifen.
»Vielleicht, damit er nicht Alarm schlug?«
»Dann hätten sie ihn auch gefesselt in seiner Zelle lassen können«, wandte Eadulf ein.
»Stimmt. Aber dann wäre er vielleicht früher gefunden worden, als ihnen recht war, deshalb nahmen sie ihn lieber mit. So verloren die Mönche Zeit mit der Suche, und die Diebe hatten Gelegenheit, wegzureiten.«
»Ich glaube, mein Vetter, der Fürst von Cnoc Äine, entwickelt da eine gute Theorie, Eadulf.«
Eadulf starrte Fidelma verwundert an. In ihrem Tonfall spürte er deutlich die Warnung, Finguine nicht zu heftig zu widersprechen.
»Allerdings, Vetter«, fuhr sie fort, »läßt sich deine These nur beweisen oder widerlegen, wenn wir Bruder Mochtas Überreste in den Bergen finden.«
Finguine reckte sich und lächelte schmerzlich.
»Ich fürchte, da kann ich euch helfen.«
»Heißt das, die Überreste Bruder Mochtas wurden gefunden?« fragte Eadulf erstaunt.
»Ja.«
»Und wo hat man sie gefunden?« erkundigte sich Fidelma.
»Kommt, ich zeige sie euch«, antwortete Finguine rasch. »Einer meiner Männer machte den grauenvollen Fund auf einem Feld gar nicht weit von hier. Es war das Werk von Wölfen. Er brachte die Reste in einem Sack hier her, damit man feststellen kann, wer der Tote ist. Sie liegen beim Apotheker.«
»Bei Bruder Bardan?«
»Wenn das der Apotheker ist, ja.«
»Weiß man schon, um wen es sich handelt?«
»Noch nicht. Während Bardan damit beschäftigt war, das herauszufinden, sah ich mir Mochtas Zelle an, um zu prüfen, ob ihr Zustand zu meiner Theorie paßt.«
Sie folgten dem Fürsten von Cnoc Äine zum Bestattungsraum. Einer von Finguines Männern hockte niedergeschlagen auf einer Tischkante. Bruder Bardan beugte sich über etwas, das ausgewickelt auf dem Tisch lag.
Mit düsterer Miene sah er auf, als sie eintraten.
»Ich fürchte, da gibt es keinen Zweifel«, sagte er wie zur Antwort auf ihre stumme Frage.
»Ist das der verschwundene Mönch?« Finguine wollte es genau wissen.
Bruder Bardan nickte mürrisch. »Das hier ist ein Unterarm Bruder Mochtas. Er wurde von einem Wolf abgerissen. Man sieht noch die Spuren seines Gebisses.«
Fidelma nahm all ihren Mut zusammen und stellte sich neben ihn. Sie schaute hinunter. Es war ein zerfetzter, blutiger Unterarm, am Ellbogen abgerissen. Die Hand war noch dran. Es war ein linker Unterarm.
»Also, das löst das Rätsel, was aus dem armen Bruder geworden ist«, erklärte Finguine. »Ich denke, es bestätigt auch meine Theorie des Diebstahls.«
Fidelma schwieg. Sie starrte immer noch auf den Unterarm, dann wandte sie sich erschaudernd ab.
»Bist du sicher, daß dieser Unterarm von Bruder Mochta stammt?« fragte sie.
»Wie ich schon sagte, gibt es da keinen Zweifel«, bestätigte der Apotheker.
»Vielen Dank, Bruder.«
»Ich schicke ein paar Mann hinaus, die an der Stelle, wo das gefunden wurde, nachsuchen«, versicherte Finguine dem Apotheker. »Vielleicht finden sie die Spur der Diebe, aber das halte ich für unwahrscheinlich.«
»Laß es mich wissen, wenn noch etwas auftaucht«, bat Fidelma ihren Vetter und winkte Eadulf, ihr zu folgen.
»Nun«, sagte Eadulf langsam, als sie allein waren, »das wäre also das. Jetzt wissen wir, was mit Bruder Mochta passiert ist.«
»Eben nicht«, erwiderte Fidelma gereizt. »Wir wissen jetzt nur mit Bestimmtheit, daß Bruder Bardan uns belügt.«
Kapitel 16
»Bruder Bardan belügt uns?« Eadulf zog überrascht die Brauen hoch. »Woraus schließt du das?«
»Bruder Bardan hat entschieden und ohne jeden Zweifel behauptet, daß der Unterarm von Bruder Mochta stammt.«
»Ja. Meinst du, daß er lügt? Daß es nicht Mochtas Arm ist und der Apotheker das weiß?«
»Das hast du doch wohl gemerkt«, sagte Fidelma ungeduldig.
Eadulf schüttelte ratlos den Kopf. »Woher wissen wir, daß es nicht Bruder Mochtas Arm ist?«
»Welcher Arm ist es?«
»Der linke. Der linke Unterarm ... ach so!«
Jetzt hatte Eadulf begriffen. Nach der Beschreibung Abt Segdaes hatte Mochta auf dem linken Unterarm einen Vogel eintätowiert, genau wie die Leiche in Cashel. Bruder Bardan mußte wissen, daß auf diesem Unterarm die Tätowierung fehlte.
»Also hat er bewußt gelogen«, erklärte Fidelma.
»Aber warum? Und wessen Arm ist es?« fragte Ea-dulf.