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Die Sonnenstrahlen fielen nun stärker auf den Tau, und stellenweise erhob sich ein leichter Nebel. Bald waren sie über das Feld zur Abtei zurückgekehrt. Die kleine Holztür zum Kräutergarten stand noch offen.

Fidelma blieb nachdenklich stehen und besah sich den Riegel.

»Nun, das beweist jedenfalls eines.«

Eadulf blickte sie fragend an und musterte dann Riegel und Tür. »Ist mir etwas entgangen?«

»Die Tatsache, daß der Riegel nicht vorgeschoben wurde, beweist, daß Bruder Bardan nicht auf diesem Wege zurückgekommen ist.«

»Woher weißt du das?«

»Weil Bruder Bardan durch diese Tür hinausgegangen ist und sie aufgeriegelt hat. Natürlich konnte er den Riegel nicht von außen vorschieben. Wäre er aber durch diese Tür zurückgekehrt, hätte er sie von innen verriegelt. Bruder Bardan ist noch da draußen.« Sie nickte in Richtung des Bethauses. »Doch ich verstehe nicht, wie er uns entwischt ist.«

Eadulf hatte keine Antwort darauf.

Sie gingen durch den Kräutergarten, über den Hof und in den Kreuzgang. Die Abtei erwachte zum Leben.

Mit düsterem Falkengesicht tauchte Abt Segdae vor ihnen auf.

»Ihr wart nicht beim Morgengebet«, begrüßte er sie. In seiner Stimme schwang ein leichter Tadel mit.

»Nein«, bestätigte Fidelma eilig. »Wir hatten viel zu tun. Kannst du uns sagen, wo sich Bruder Bardan aufhält? Ich wollte mit ihm sprechen, aber anscheinend ist er nicht in der Abtei.«

Abt Segdae schien nicht überrascht davon. »Er geht oft früh hinaus und sammelt Heilkräuter. Wahrscheinlich ist er deshalb schon unterwegs.«

»Dann ist es also ganz normal, daß Bruder Bardan so früh die Abtei verläßt?«

»Ja.«

»Neulich fiel mir eine kleine Kapelle auf, die ein Stück entfernt von der Abtei steht und die ich noch nie gesehen hatte«, bemerkte Fidelma, während sie neben Segdae durch den Kreuzgang ging.

Eadulf folgte ihnen widerwillig. Ihn zog es zum Speisesaal, er wollte endlich etwas essen und trinken.

»Ach, du meinst die kleine Kapelle des heiligen Ail-be?«

»Ein altes Bethaus aus Trockenmauern?«

»Das ist es. Es steht in einem Heidefeld«, bestätigte Segdae. »Das ist merkwürdig.«

»Was ist merkwürdig?« fragte Eadulf.

»Der dalaigh von den Ui Fidgente ... Wie heißt er doch gleich? Solam? Solam erkundigte sich gerade nach derselben Kapelle.«

»Solam?« fragte Fidelma aufgeregt, doch Segdae schien es nicht zu merken.

»Der Ort heißt Gort na Cille«, antwortete er.

»>Kirchenfeld< ist wohl ein passender Name«, meinte Fidelma. Sie hatte sich wieder gefangen. »Warum fragte Solam danach?«

»Das weiß ich nicht. Manche Leute glauben, man fände Heilung, wenn man sich mit dem Wasser von dort wäscht; man muß es vor Tagesanbruch holen«, erwiderte der Abt.

Eadulf stöhnte. Hätte er gewußt, daß es dort einen Bach gab, brauchte er jetzt nicht so zu leiden. Er konnte sich aber an keinen Bach erinnern.

»Von wo holen, Pater Abt?« fragte er harmlos. »Ich habe dort keinen Bach entdeckt.«

Abt Segdae schüttelte den Kopf. »Es gibt keinen Bach, nur einen Brunnen. Er heißt Tobar na Cille, der Kirchenbrunnen, weil die Kapelle darüber errichtet wurde. Der Brunnen befindet sich im Bethaus selbst.«

Fidelma blieb plötzlich stehen.

»Meinst du damit, es gibt einen Brunnen unter den Bodenplatten der Kapelle?« fragte sie langsam.

Segdae sah sie belustigt an.

»Aber ja. Eine der Platten hat ein Scharnier und läßt sich hochklappen. Sie befindet sich hinter dem Altartisch.«

Sie hatten die Tür zu seinen Zimmern erreicht. Mehrere Mönche erwarteten ihn und wollten ihn sprechen.

»Weißt du, wo sich der Anwalt von den Ui Fidgen-te jetzt aufhält?« fragte Fidelma.

»Vor einer Viertelstunde sah ich ihn vom Morgengottesdienst kommen, aber ich weiß nicht, wo er hingegangen ist.«

Fidelmas bedankte sich beim Abt und eilte mit entschlossener Miene davon. Eadulf folgte ihr.

»Hier geht es aber nicht zum Speisesaal, Fidelma«, protestierte er atemlos.

Sie brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Begreifst du denn nicht?« fragte sie.

Er schüttelte verwirrt den Kopf. »Was soll ich begreifen?«

»Das Rätsel von Bruder Bardans Verschwinden ist gelöst.«

Er überlegte einen Moment, dann wurde ihm klar, was sie meinte.

»Willst du damit sagen, daß sich Bruder Bardan vor uns in einem Brunnenschacht versteckte?«

»Vielleicht erfüllt der Brunnenschacht noch einen anderen Zweck. Wir müssen sofort hin und ihn uns genauer ansehen. Es gefällt mir nicht, daß sich auch Solam nach dem Bethaus erkundigt hat. Was weiß er darüber?«

Eadulf blieb plötzlich mit trotziger Miene stehen.

»Ich gehe nicht wieder dorthin, ohne Essen und Trinken mitzunehmen.«

Also ließ sich Fidelma zum Speisesaal mitziehen. Die langen Tische waren fast leer, denn die Gemeinschaft hatte schon gefrühstückt und ging nun ihrer täglichen Arbeit nach.

»Wir können uns etwas zu essen mitnehmen«, schlug Fidelma vor. »Wir dürfen keine Zeit verlieren. Solam hat irgendwas vor, dessen bin ich mir sicher.«

Eadulf griff sich zwei frische, noch warme Brotlaibe und ein paar Scheiben kaltes Fleisch, Käse und Obst. Er stopfte alles in einen Beutel, den er von der Wand holte. Fidelma fand ein Wassergefäß, füllte es und reichte es ihm.

»Jetzt auf nach Gort na Cille«, sagte sie, als er zu erkennen gab, daß er fertig sei.

Im Hinausgehen konnte Eadulf der Versuchung nicht widerstehen, er langte sich noch ein Stück Brot und Fleisch und steckte es in den Mund. Ach, das tat gut!

Es war schon recht warm geworden, als sie das kleine Bethaus wieder erreichten. Sie hatten die Abtei erneut durch die Tür zum Kräutergarten verlassen und waren, so schien es ihnen, von niemandem beobachtet worden. Eadulf hatte einen beträchtlichen Teil seiner Portion aus dem Beutel verzehrt. Fidelma hingegen hatte sich mit einem Schluck Wasser begnügt.

Das Bethaus lag düster und verlassen da.

Eadulf zündete eine der Kerzen auf dem Altartisch an, damit sie die Steinplatte finden konnten, die den Brunnenschacht abdeckte. Sie war leicht zu erkennen, wenn man wußte, was man suchte. An der Platte befand sich ein kleiner eiserner Ring. Eadulf beugte sich nieder und zog daran. Er fiel beinahe auf den Rücken, denn die Platte war auf Zapfen gelagert und ließ sich mit wenig Mühe anheben.

Darunter erblickten sie ein großes schwarzes Loch.

Eadulf hielt die Kerze darüber. Das half wenig, denn sie erhellte nur ein kleines Stück.

»Völlig dunkel«, murmelte er. »Da drin kann sich niemand verstecken.«

»Schau dir mal deine Kerze an«, riet ihm Fidelma.

Eadulf verstand sie nicht. »Meine Kerze ...? Was meinst du damit?«

»Deine Kerze flackert, wenn du sie über die Öffnung hältst. Was sagt dir das?«

Eadulf betrachtete still die tropfende Kerze. Dann sah er zur Tür. Jetzt begriff er, worauf sie ihn hinauswollte.

»In dem Schacht kommt Luft hoch. Das heißt, daß da unten nicht nur Wasser ist?«

Fidelma zeigte auf den Schacht. »Es kommt noch eins dazu. Siehst du dort an der Seite die Holzleiter? Warum führt eine Leiter in einen Brunnenschacht?«

Eadulf spähte zweifelnd hinunter. »Es ist dunkel dort unten. Ich steige lieber hinab und sehe nach.«

Er hielt Fidelma die Kerze hin, doch sie schüttelte den Kopf.

»Ich bin leichter als du. Wir wissen nicht, wie stabil die Leiter ist.«

Bevor er protestieren konnte, hatte sie sich über den Rand geschwungen und kletterte hinunter in das Dunkel.

»Sie scheint ziemlich stabil zu sein«, rief sie kurz danach hinauf.

Eadulf verlor sie aus den Augen.

»Du brauchst die Kerze, damit du etwas siehst«, rief er ihr nach.

Sie gab keine Antwort.