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Er bestätigte es mit einer Geste.

Eadulf konnte den Blick nicht von dem Mann wenden, dessen Züge nicht im geringsten von denen des toten Attentäters abwichen, ausgenommen ... Eadulf konnte es nicht ergründen. Dann war da noch etwas. Dieser hier trug die irische Tonsur des heiligen Johannes, die Stirn geschoren bis zu einer Linie von Ohr zu Ohr. Doch gab es noch einen anderen Unterschied.

»Ich nehme an, Bruder Bardan hat deine Wunden behandelt, seit du dich hier versteckt hältst? Du hast niemandem getraut?«

»Es ist schwer, jemandem zu vertrauen, besonders wenn du von einem betrogen worden bist, den du dein ganzes Leben lang gekannt hast, von deinem eigenen Fleisch und Blut, mit dem du aufgewachsen bist. Wenn dich deine Verwandten betrügen, wem kannst du dann noch trauen?«

Fidelma winkte Eadulf, er möge sich setzen. Er tat es widerwillig, ohne die Augen von dem fülligen Mönch zu lassen.

»Du sprichst von deinem Zwillingsbruder, nicht wahr?« fragte Fidelma.

»Natürlich.«

»Zwillingsbruder?« wiederholte Eadulf begriffsstutzig.

Bruder Mochta nickte traurig. »Mein Zwillingsbruder! Du brauchst nicht drum herumzureden, Schwester. Bruder Bardan hat mir berichtet, wie er in Cashel getötet wurde. Ja, es war mein Zwillingsbruder Ba-oill.«

»Der Verdacht war mir schon vor einer Weile gekommen«, sagte Fidelma. »Ein Mensch kann nicht an zwei Orten zugleich sein oder zwei verschiedene Tonsuren tragen. Die Lösung des Rätsels konnte nur darin bestehen, daß es sich um zwei Personen handelt. Wie können sie dann so gleich aussehen? Nur wenn sie eng verwandt sind, Geschwister oder gar Zwillinge.«

Bruder Mochta nickte traurig. »Ja, wir sahen uns täuschend ähnlich«, bestätigte er. »Wie habt ihr mich hier gefunden? Hat euch Bardan gesagt, wo ich bin? Wir sprachen gestern darüber, nach dem Überfall. Er begann zu glauben, daß wir euch trauen könnten. Doch dann sah er dich im Gespräch mit Solam, dem Anwalt von den Ui Fidgente. Auch Solam möchte gern wissen, wo ich mich aufhalte.«

»Hat Bardan deshalb die Überreste einer unbekannten Leiche als von dir stammend identifiziert?« fragte Fidelma.

»Ich fand den Einfall nicht gut, aber Bardan meinte, es wäre das einzige Mittel, Solam davon abzubringen, weiter nach mir zu suchen. Er wollte Zeit gewinnen, damit wir uns absprechen könnten, was zu tun sei.«

»Du erzählst uns wohl am besten, wie du in diese Lage geraten bist«, forderte ihn Fidelma auf.

Bruder Mochta sah sie nachdenklich an. »Kann ich dir vertrauen?«

»Die Frage kann ich dir nicht beantworten«, erwiderte Fidelma. »Ich kann dir nur sagen, daß ich Colgüs Schwester bin und meine Treue Muman gehört. Ich bin dalaigh und habe geschworen, das Recht zu wahren und über alles andere zu stellen. Wenn das nicht ausreicht, mir zu vertrauen, kann ich nichts weiter hinzufügen.«

Bruder Mochta schwieg und schien mit einer Entscheidung zu ringen.

»Wieviel weißt du von der Geschichte?« fragte er schließlich.

Fidelma zuckte die Achseln. »Sehr wenig. Ich weiß, daß du dein Verschwinden vorgetäuscht und die meisten der heiligen Reliquien mitgenommen hast. Ich nehme an, dein Bruder hat eine davon stehlen können, nämlich Ailbes Kruzifix, und bei dem Kampf wurdest du verletzt. Du trautest niemandem und verstecktest dich hier, und Bruder Bardan versorgte dich mit Nahrung und Heilmitteln. Wo ist er jetzt eigentlich?«

Bruder Mochta war ratlos.

»Bruder Bardan? Ich habe ihn seit gestern abend nicht gesehen. Hat er euch denn nicht hergeschickt?«

Fidelma beugte sich vor. Ihre Stimme gewann an Schärfe.

»Heißt das, er ist den ganzen Vormittag nicht hier gewesen?«

Der Mönch schüttelte verwundert den Kopf. »Ich warte auf ihn, denn gestern abend haben wir besprochen, daß wir Schutz suchen sollten, besonders nach dem Überfall.«

»Schutz bei wem?«

»Bardan wollte zum Fürsten von Cnoc Äine gehen und ihm die Geschichte erzählen. Wir wußten, daß Finguine der Abtei freundlich gesonnen und ein treu ergebener Vetter des Königs ist. Wir wollten ihm die Sache vorstellen, und Finguine sollte dann entscheiden, ob wir dich in Kenntnis setzen. Als ihr jetzt kamt, dachte ich, Finguine oder Bardan hätten euch geschickt ...« Beunruhigt brach er ab. »Wie habt ihr mich denn gefunden?« forschte er.

»Mit Glück«, brummte Eadulf, noch immer verwirrt von der ganzen Angelegenheit.

»Warum habt ihr mir nicht vertraut und mir nicht gesagt, daß du in Sicherheit bist, sobald ich in die Ab-tei kam?« grollte Fidelma. Sie ärgerte sich über den Zeitverlust durch diese Geheimniskrämerei.

Bruder Mochta lächelte dünn und schmerzlich. Er verlagerte das linke Bein, um die Wunde zu schonen.

»Wir wußten nicht, ob wir dir trauen konnten, Schwester. Wir wußten nicht, wer unsere Freunde und wer unsere Feinde sind.«

»Ich bin die Schwester des Königs von Cashel«, wiederholte Fidelma.

»Aber eine Schwester, die lange außer Landes war und ...« Bruder Mochta blickte auf Eadulf. »Du kamst in Begleitung eines Mönchs der römischen Kirche.«

Eadulf errötete vor Zorn. »Macht einen das verdächtig in diesem Land?«

»Es ist eine Tatsache, daß die Befürworter der römischen Ordnung denen, die wie wir den Regeln unserer Väter folgen, nicht immer wohlgesonnen sind.«

»Habt ihr, du oder Bardan, wirklich geglaubt, ich könnte meinen Bruder und dieses Land verraten?« unterbrach Fidelma.

»Blut verbindet nicht zu gemeinsamen Zielen«, erwiderte Mochta ruhig. »Das habe ich zu meinem Schaden erfahren.«

»Vielleicht hast du recht. Aber warum habt ihr euch nicht Abt Segdae anvertraut, der doch euer natürlicher Beistand in einer Notlage gewesen wäre.«

»Der Pater Abt ist ein ehrenhafter Mann. Er hätte meinen Plan, die heiligen Reliquien zu verbergen, nicht gutgeheißen. Er hätte sie in der Kapelle behalten im Glauben, dort wären sie sicher. Aber was dann? Das hätte geradezu zu einem Angriff auf die Abtei eingeladen. Was meint ihr, warum die Räuber nicht die Abtei selbst überfallen haben? Weil sie wußten, daß die heiligen Reliquien nicht mehr da waren.«

»Du weißt, wer die Angreifer waren?« forschte Fi-delma.

»Ich habe eine starke Vermutung.«

»Na gut. Erzähl uns deine Geschichte von Anfang an«, forderte ihn Fidelma auf. »Dein Bruder Baoill war beteiligt an einer Verschwörung, das Königshaus von Cashel zu stürzen. Wie kam es dazu?«

Bruder Mochta legte sich zurück und sammelte seine Gedanken.

»Am besten fange ich ganz von vorn an. Ich wurde im Gebiet des Clans Brasil geboren .«

»Das wissen wir bereits«, unterbrach ihn Eadulf. Fidelmas Blick hieß ihn schweigen.

»Sprich weiter, Mochta«, sagte sie.

»Ich stamme also aus dem Norden. Mein Bruder und ich waren Zwillinge, wie ihr wißt. Wir waren uns so ähnlich, daß uns niemand auseinanderhalten konnte, zuweilen nicht mal unsere Mutter. Wir wuchsen wild und ungezügelt auf. Als wir uns dem Alter der Wahl näherten, bezahlte unser Vater einen wandernden Tätowierer dafür, daß er uns ungleiche Male auf die Unterarme zeichnete, damit wir zu unterscheiden seien. Wir bestachen den Tätowierer, und er brachte bei jedem von uns genau denselben Raubvogel auf dem Unterarm an .«

»Einen Bussard«, lächelte Fidelma. »Wie kamt ihr gerade auf diesen Vogel?«

»Er lebt nur an unserer wilden Nordostküste, und dem Tätowierer, der auch von dort stammte, war er wohlvertraut. Einen anderen Grund gab es nicht.«

»Ich verstehe. Sprich weiter.«

»Unser Vater war wütend auf uns, als er den Streich entdeckte. Unser jugendlicher Übermut und unsere Aufsässigkeit störten ihn schon seit einiger Zeit. Als wir das Alter der Wahl erreichten, sagte er uns, daß wir mit unserem Leben anfangen könnten, was wir wollten, vorausgesetzt, wir gingen beide aus dem Hause fort und fielen ihm nicht mehr zur Last.«

»Also gingt ihr ins Kloster«, ergänzte Eadulf, als der Mönch nachdenklich schwieg. »Ein merkwürdiges Leben für so mutwillige junge Männer. Gab es keine Berufe, für die ihr besser geeignet wart?«