»Ihr könnt uns sicher viel von dem Überfall auf die Abtei erzählen«, fuhr Donndubhain aufgeregt fort. »Als wir davon erfuhren, hatte ich zu tun, deinen Bruder davon abzuhalten, mit seiner Wache nach Im-leach zu reiten. Aber das ...« - er sah sich verschwörerisch um - »hätte Cashel ohne Schutz gelassen, und es war ja auch mit Gionga und seinem Trupp Ui Fidgen-te zu rechnen.«
Fidelma wies Capa an, ihre Pferde in den Stall führen und versorgen zu lassen. Dann fragte sie ihren Vetter: »Hat sich hier sonst etwas getan, was ich wissen sollte?«
Donndubhain schüttelte den Kopf. »Wir haben gehofft, du bringst Neuigkeiten mit, die die rätselhaften Ereignisse erklären helfen.«
Fidelma lächelte schwach. »Solche Dinge sind niemals einfach«, erklärte sie müde.
»Dein Bruder, der König, möchte dich gleich sprechen«, fuhr ihr Vetter fort. »Macht es dir etwas aus? Oder möchtest du dich erst von der Reise erholen?«
»Als erstes spreche ich mit Colgü.«
»Es ist nicht erforderlich, daß Bruder Eadulf dich begleitet«, sagte Donndubhain und eilte ihnen voran.
»Ich sehe dich später«, sagte Fidelma mit einem entschuldigenden Lächeln zu ihrem Gefährten.
Colgü erwartete Fidelma in seinen Privatgemächern. Bruder und Schwester begrüßten sich herzlich, und Fidelma erkundigte sich sofort nach Colgüs Wunde.
»Dank unserem angelsächsischen Freund verheilt sie gut. Siehst du?« Er hob den Arm über den Kopf und bewegte ihn frei. »Sie ist noch etwas hinderlich, aber nicht entzündet, und bald wird alles wieder in Ordnung sein, wie er es versprochen hat.« Dann fragte er: »Hast du Bruder Eadulf nicht mitgebracht?«
Fidelma sah Donndubhain an, der an der Tür stand.
»Ich dachte, du wolltest mich allein sprechen?«
Colgü schaute einen Moment verblüfft drein.
»Ach ja. Schon gut, Donndubhain. Wir kommen gleich zu dir.« Nachdem Donndubhain gegangen war, deutete Colgü auf einen Stuhl. »Der Tanist ist zum fanatischen Anhänger der Verschwörungstheorie geworden, wenn’s nach ihm geht, lauern überall Feinde. Ich hoffe, Eadulf ist nun nicht beleidigt. Ich vertraue ihm voll und ganz.«
Fidelma setzte sich lächelnd. »Ich bin sicher, daß er dich nicht enttäuscht.«
»Was hast du in Imleach in Erfahrung bringen können? Wir haben von dem Überfall gehört. Unser Vetter Finguine, der Fürst von Cnoc Äine, kam heute vormittag hier an. Er berichtete uns die Einzelheiten.«
»Das hat man mir schon gesagt«, antwortete Fidel-ma. »Dem ist anscheinend wenig hinzuzufügen. Abt Segdae und die Zeugen aus Imleach werden in den nächsten Tagen hier eintreffen.«
»Zeugen?« fragte Colgü hoffnungsvoll.
»Ich glaube, daß die Ereignisse in Imleach - das Verschwinden der heiligen Reliquien und der Angriff auf die Stadt - alle mit dem Mordanschlag in Verbindung stehen. Wie geht es übrigens dem Fürsten der Ui Fidgente? Ich habe mich noch gar nicht nach seiner Wunde erkundigt.«
»Er hinkt noch leicht«, erwiderte Colgü spöttisch. »Seine Wunde hat sich gebessert, aber seine Laune hat sich verschlechtert. Sonst ist er bei bester Gesundheit und behauptet nach wie vor, es gebe eine Verschwörung gegen uns. Sein Leibwächter Gionga weicht kaum von seiner Seite.«
»Weißt du, daß Gionga Krieger auf der Brücke über den Suir postiert hatte, die uns nicht durchließen?«
»Das habe ich kurz darauf erfahren. Gionga oder sein Fürst, einer von beiden war schlau. Sobald bekannt wurde, daß du Imleach wohlbehalten erreicht hattest, kam Fürst Donennach zu mir und erklärte mir, Gionga habe in seinem Eifer dort eine Wache aufgestellt, um zu verhindern, daß sich die Komplizen der Attentäter aus dem Staube machen. Die Krieger hätten ihre Befehle falsch verstanden und versucht, dich an der Reise nach Imleach zu hindern. Donen-nach entschuldigte sich wortreich und sagte, er habe den Kriegern den Befehl zum Abzug gegeben.«
Fidelma lachte höhnisch. »Wer das wohl glauben soll! Sie hatten den ausdrücklichen Befehl, mir den Weg nach Imleach zu sperren. Das haben sie deutlich gesagt.«
»Aber können wir das beweisen? Donndubhain ist ja auch fest von einer Verschwörung der Ui Fidgente überzeugt, doch welche Beweise hat er dafür? Bald ist der Tag der Gerichtsverhandlung. Wie ich gehört habe, wird Brehon Rumann von Fearna mit seinem Gefolge in Kürze eintreffen, vielleicht schon morgen. Die Brehons Dathal und Fachtna sind bereits hier. Der Adel des Königreichs versammelt sich auch schon. Und unser Vetter Finguine hat Solam, den ddlaigh der Ui Fidgente, herbegleitet.« Colgü verbarg seine Besorgnis nicht. »Ich bin beunruhigt, Fidelma, das gebe ich offen zu. Weißt du inzwischen, wer hinter dem Mordanschlag steckt?«
Fidelma wollte weder zu optimistisch sein noch ihrem Bruder die ganze Wahrheit sagen.
»Ich glaube, ich sehe verschiedene Wege, auf denen man zum Ziel gelangen kann. Aber leider kenne ich die Schuldigen noch nicht.«
»Das habe ich mir schon gedacht, denn sonst hättest du es mir gleich gesagt. Offenbar müssen wir uns darauf verlassen, daß du während der Verhandlung im Gerichtssaal die Wahrheit zu ergründen vermagst.«
Fidelma wünschte, sie könnte ihrem Bruder Mut machen, doch sie wußte nicht wie und fragte: »Hat Donennach von den Ui Fidgente immer noch die Absicht, dich der Verschwörung zu beschuldigen?«
»Soviel ich weiß, will Solam die Anklage erheben, ich sei an einer Verschwörung mit dem Ziel beteiligt, Donennach zu ermorden. Die Adligen von Muman haben zu erkennen gegeben, daß sie das nicht dulden wollen. Zu Recht oder Unrecht glauben sie an mich als an ihren König und sind der Meinung, ich hätte nichts Böses getan .«
»Das stimmt.«
»Aber wir müssen in der Lage sein, es zu beweisen. Wenn ich und die Eoghanacht vom Gericht verurteilt werden, fürchte ich, daß die Adligen das für einen Teil der Verschwörung halten werden, so wie Donndub-hain es tun wird! Dann werden sie sich selbst das Recht nehmen, die Ui Fidgente zu bestrafen. Donn-dubhain ist zunehmend erbost über das Verhalten der Ui Fidgente. Für ihn gibt es keinen Zweifel, daß sie es waren, die Imleach überfielen. Es kann so weit kommen, daß Donndubhain die Adligen zum Angriff gegen alle Clans der Dal gCais führt. Das Königreich könnte von Kriegen zerrissen werden. Statt Frieden zu erlangen, wie ich erhofft hatte, könnten wir in einen neuen, Jahrhunderte andauernden Kreislauf von Konflikten geraten.«
»Die Adligen von Muman werden dir gehorchen, wenn du ihnen befiehlst . «, begann Fidelma, doch ihr Bruder unterbrach sie: »Sie murren bereits und erheben Drohungen gegen die Ui Fidgente. Sie behaupten, die ganze Angelegenheit sei ein wohlbedachter Versuch, die Eoghanacht und die Macht Cashels zu vernichten. Was kann ich ihnen entgegenhalten, was den Überfall auf Imleach betrifft?«
»Wir wissen noch nicht, ob es wirklich die Ui Fid-gente waren«, entgegnete Fidelma. »Bruder, du mußt die Adligen von Muman im Zaum halten, denn wenn vor der Verhandlung etwas passiert, dann stehen wir vor den fünf Königreichen von Eireann tatsächlich als die Schuldigen da.«
Colgü schaute unglücklich drein. »Ich bemühe mich mit allen Kräften darum, Fidelma. Doch ich fürchte . ja, wirklich . Ich weiß, wie hitzköpfig einige der jungen Adligen sind. Sie könnten das Recht mit ihren Schwertern erzwingen wollen und ins Land der Ui Fidgente einfallen, um Rache für die Zerstörung des großen Eibenbaums von Imleach zu nehmen.«
»Ich kann dir nur sagen, Bruder, daß mehr hinter dieser Sache steckt als nur das Mißtrauen zwischen den Eoghanacht und den Ui Fidgente. Sag mir, ich war ja eine ganze Zeit nicht in Cashel, gab es jemals eine Mißstimmung zwischen dir und Finguine von Cnoc Äine?«
Die Frage verwirrte Colgü sichtlich.
»Zwischen Finguine und mir? Unserem Vetter? Warum das?«
»Gab es Mißstimmungen oder nicht?« hakte Fidel-ma nach.
»Nicht, daß ich wüßte. Weshalb fragst du?«