Gregor Shreck hatte sein Privatquartier umgestaltet, seit sie zuletzt hier gewesen war. Die fensterlosen Wände des großen Gemaches waren in dunklem Purpurrot gehalten, der Farbe trocknenden Bluts – ein großer roter Mutterschoß mit verborgenen blutroten Lichtquellen und dunklen Schatten überall. Der dicke Florteppich unter Evangelines Füßen war von der Farbe sonnenverbrannter Haut und tief genug, um jedes Geräusch zu dämpfen. Auf allen Seiten standen gruselige Trophäen von Gregors jüngsten Opfern. Ein Haufen abgetrennter Köpfe, sorglos auf einem Silbertablett aufgehäuft. Eine Reihe haltbar gemachter Köpfe auf Stangen; ihre Gesichter wirkten alle leicht überrascht, und die Münder hingen offen, wie im Schock über das, was man ihnen angetan hatte. Keiner wies noch Augen auf. In einem niedrigen Schrank waren eine Reihe abgeschnittener Füße ausgestellt. Jemand hatte sie mit hübschen Schleifchen umwickelt und die Zehennägel schwarz angemalt.
Evangeline hörte, wie die Klimaanlage Schwerstarbeit leisten mußte, um mit dem durchdringenden Gestank des Todes und der Konservierungsmittel fertig zu werden.
Und dort lümmelte entspannt auf einem breiten Bett, dessen Design an riesige Rosenblätter erinnerte, das dunkle Herz dieses dunklen Reiches – Gregor Shreck. Er war seit eh und je klein und fett, ein schmieriger, schwitzender Fettkloß von einem Mann, aber in der Zeit ihrer Trennung hatte er weiter kräftig zugenommen. Er war jetzt riesenhaft, quoll förmlich über von Fleisch. Das Gesicht war fast vollkommen rund und quetschte die eigentlichen Züge in der Mitte zusammen. Die Kleidung war fast ganz schwarz, von scharlachroten Streifen durchzogen, und erinnerte an nichts so sehr wie einen vollgefressenen Blutegel.
»Also«, sagte Gregor Shreck mit zermürbend normal klingender Stimme. »Endlich bist du heimgekehrt. Ich wußte immer, daß du es irgendwann tun würdest, meine liebe, geliebte Tochter.«
»Ich bin hier, weil du meine Freundin Penny DeCarlo entfuhrt und damit gedroht hast, sie zu töten, falls ich nicht erscheine«, erwiderte Evangeline tonlos. »Nur aus diesem Grund bin ich gekommen. Wo ist sie? Was hast du mit ihr gemacht?«
»So ungeduldig!« stellte Gregor glücklich fest. »Niemand hat heute mehr Zeit für die zivilisierten kleinen Formen der Höflichkeit. Möchtest du deinem lieben Vati keinen Kuß geben?«
»Wo ist Penny?«
»Ah, die Ungeduld der Jugend! Kinder möchten ihre Geschenke immer sofort haben. Sehr gut, Evie, niemand soll behaupten, ich wäre kein nachsichtiger Vater. Du darfst deine kleine Freundin Penny sehen.
Ich war ja so aufmerksam zu ihr! Sie war immer ein bißchen dickköpfig, aber darum habe ich mich gekümmert.«
Er winkte träge mit einer riesigen fetten Hand, und ein Paneel in der linken Wand glitt auf und zeigte zwei abgetrennte Köpfe in Gläsern. Einer gehörte Penny DeCarlo. Evangelines Hand flog vor den Mund, um einen Aufschrei zu unterdrücken, und erst jetzt erkannte sie, daß die Köpfe noch lebten. Ihre Augen verrieten Wachheit und Leid, und die Lippen bildeten Worte, auch wenn nichts zu hören war. Penny war bleich, hatte kurze dunkle Haare und wäre unter anderen Umständen eine Schönheit gewesen. Der zweite Kopf gehörte einem alten Mann mit langen weißen Haaren und einem Schnurrbart. Kopf-und Barthaare schwammen sanft in der Konservierungsflüssigkeit. Beide Köpfe betrachteten Evangeline traurig, und sie zwang sich, die Hände herunterzunehmen und ihren Schock hinunterzuschlucken. Sie konnte es sich nicht leisten, eine Schwäche zu zeigen. Nicht hier. Sie funkelte Gregor an.
»Oh, sie sind noch quicklebendig«, versicherte ihr Gregor.
»Der auf der rechten Seite ist Professor Wax. Seinerzeit ein führender Wissenschaftler, heute ein überqualifizierter Briefbeschwerer. Valentin hat ihn mir gegeben, bereits in seinem Glas untergebracht. Mir schien, daß es doch eine Schande gewesen wäre, kein passendes Paar davon zu haben, und ich mußte schließlich auch irgendwie mein Mißvergnügen zeigen, als du dich mir widersetzt hast. Man könnte also sagen, daß es eigentlich deine Schuld ist. Ich finde, sie wirken zusammen richtig schick. Vielleicht eröffne ich eine Sammlung.«
»Warum kann ich sie nicht hören?« fragte Evangeline mit tauben Lippen. »Hast du ihnen auch die Stimmbänder herausgeschnitten?«
»Natürlich nicht, meine Liebe! Was würde daran denn Spaß machen? Ich muß nur hin und wieder die Lautsprecher abstellen, um ein bißchen Frieden und Ruhe zu genießen. Obwohl ich zugeben muß, daß Penny nicht mehr annähernd so viel schreit wie früher.«
Er wedelte erneut mit der Hand, und auf einmal war ein gleichmäßiges Summen zu hören, als sich versteckte Lautsprecher einschalteten. Penny richtete den Blick der traurigen Augen auf Evangeline und versuchte zu lächeln.
»Du hättest nicht herkommen sollen, Evie. Er ist wahnsinnig.
Vollkommen wahnsinnig.«
»Das wußte ich schon immer«, sagte Evangeline. »Aber ich mußte dich doch holen kommen! Ich… Ich wußte ja nicht…«
»O Evie…« Pennys Gesicht verzog sich, als hätte sie gern losgeweint, aber das war in der Konservierungsflüssigkeit nicht mehr möglich.
»Ruhig, Kind, ruhig«, mahnte der weißhaarige Kopf neben ihr. »Mach dir keine Sorgen. Gönne diesem fetten Mistkerl nicht die Befriedigung.«
»Oh, lieber Waxie!« sagte Penny. »Ohne dich, ohne deinen Trost würde ich verrückt werden.«
»Sind sie nicht süß?« fragte Gregor. »Richtige Turteltäubchen. Zwei verwandte Seelen, wenn du so möchtest.«
Wax richtete den Blick auf Evangeline. »Holt Penny hier heraus, wenn es Euch möglich ist. Sie hat das nicht verdient.
Ich schon. Ich habe Maschinen gebaut , deren einziger Zweck in Tod und Zerstörung bestand, und habe erlebt, wie sie eingesetzt wurden, um die Bevölkerung eines ganzen Planeten auszulöschen. Ich habe mich nie um das Leid meiner Testpersonen geschert. Ich habe mir selbst weisgemacht, ich würde das Imperium vor seinen Feinden schützen. Aber der Tod eines ganzen Planeten hat sogar mich krank gemacht.«
»Ich gehe nicht ohne dich!« protestierte Penny. »Ich lasse dich nicht im Stich.« Sie sah wieder Evangeline an. »Verschwinde von hier, Evie! Gregor hat alle Hemmungen verloren.
Er schert sich heute um nichts mehr außer seiner Rache.«
»Was sonst würde es denn lohnen?« wollte Gregor wissen.
»Die Rebellen stellen meine ganze Welt auf den Kopf, schreiben die Geschichte um, damit sie als tugendhafte Helden dastehen, während sie das Imperium ausplündern, um ihre politischen Phantasievorstellungen zu finanzieren. Die Barbaren haben die Tore niedergerissen und die Stadt gestürmt. Was bleibt uns denn jetzt noch, abgesehen davon, jede Form von Rache zu nehmen, zu der wir noch Gelegenheit finden, ehe endgültig die Nacht hereinbricht?«
»Und welche Rache schwebt dir für mich vor?« fragte Evangeline.
»Darüber denke ich schon seit geraumer Weile nach«, antwortete Gregor. »Entweder kehrst du zu mir zurück und bist wieder in jeder Hinsicht die liebevolle und pflichtbewußte Tochter, oder ich lasse dich auf eine Art und Weise leiden, wie du es nie für möglich gehalten hättest. Du hältst dich jetzt in meinem Machtbereich auf, und hier gelten keine anderen Grenzen als die meiner Vorstellungskraft. Und wenn ich damit fertig bin, dich bis an diese Grenze zu quälen, hacke ich dir den hübschen Kopf von den hübschen Schultern und stelle ihn in einem Glaskrug neben die anderen. Und vielleicht pisse ich hin und wieder in die Konservierungsflüssigkeit, nur so zum Spaß.
Den Rest deines Körpers kann ich jederzeit benutzen, um einen neuen Klon hervorzubringen, der meine übrigen Bedürfnisse stillt. Eine dritte Evangeline. Mit der werde ich vorsichtiger sein. Auf die eine oder andere Art wirst du mir dienen, liebe Evie.«