»Man wird nach mir suchen«, entgegnete Evangeline. »Die Klon-Bewegung…«
»Zur Hölle mit ihr. Die neue Ordnung erlaubt nicht, gegen jemanden Krieg zu führen, der potentiell so nützlich ist wie ich.«
»Finlay…«
»Zur Hölle auch mit ihm. Ich lasse ihn ohnehin umbringen, weil er es gewagt hat, dich zu verführen und mir wegzunehmen. Weil er dich angefaßt hat. Niemand wird übermäßig erstaunt sein, wenn ihn unbekannte Attentäter aus irgendeinem Hinterhalt niederschießen. Eine Menge Feinde lauern da draußen auf ihn. Nein, ich kann mit dir anstellen, was ich möchte, und zum Teufel mit den Folgen, denn ich bin Gregor Shreck, und niemand kann mir etwas verwehren. Willkommen daheim, Evie. Willkommen in den liebenden Armen deines Vaters. Du wirst nie wieder von hier weggehen.«
Er winkte ein drittes Mal, und plötzlich umhüllte ein Fesselfeld Evangeline, das in der Luft schimmerte. Sie ballte die Fäuste und atmete schneller, aber das war alles an Reaktion, was das Fesselfeld erlaubte. Sie knurrte ihren Vater an, der kicherte und sich auf seinem großen roten Bett vor Freude wand.
»Du hattest noch nie eine Spur von Ehrgefühl, Gregor.«
»Bitte, nenne mich Vati. Wir spielen jetzt ein Spielchen, Evie. Ganz wie früher. Zieh dich aus. Langsam. Natürlich bleibt dir auch gar nichts anderes übrig.«
Und er kicherte erneut, ein überraschend schriller Laut von einem so großen Mann. Evangeline funkelte ihn an und traf keine Anstalten zu gehorchen. Gregors Kichern brach abrupt ab, und er erwiderte ihren finsteren Blick, wobei seine Augen vor unverhohlener Boshaftigkeit brannten. Er stemmte sich unbeholfen vom Bett hoch und atmete schwer, während er seine enorme Masse auf die Beine wuchtete. Er watschelte auf Evangeline zu und grunzte bei jedem Schritt, bis er schließlich unmittelbar vor dem Fesselfeld schwankend anhielt. Er lächelte. Die fetten Lippen waren feucht, die Augen dunkel und starr.
»Du tust, was dir gesagt wird, kleine Evie, oder ich suche mir einen schweren Gegenstand und zertrümmere das Glas mit dem Kopf deiner lieben Freundin Penny. Dann kannst du zusehen, wie sie auf dem Teppich herumzuckt und wie ein gestrandeter Fisch nach Luft schnappt und stirbt; schließlich ist es die Konservierungsflüssigkeit, die sie am Leben hält.«
»Höre nicht auf ihn!« rief Penny. »Er würde es nicht tun!«
»Doch, würde er«, sagte Evangeline. »Er hat schon Schlimmeres getan, nicht wahr, Vater?«
Sie machte sich daran, die Jacke auszuziehen, eine simple schwarze Angelegenheit, die sie von Finlay erhalten hatte und die nur wenige Knöpfe und Verschlüsse aufwies. Gregor hing mit dem Blick an jeder Bewegung, die Evangelines vom Fesselfeld gebremste Finger ausführten. Unter der Jacke trug sie ein einfaches himmelblaues Seidenkleid. Sie öffnete den Verschluß am Genick, damit das Kleid langsam an ihrem Körper herunterrutschen konnte. Das Energiefeld bremste diesen Vorgang so ab, daß er neckisch wirkte. Unter dem Kleid kam lediglich ein dünnes weißes Höschen zum Vorschein. Evangeline stand reglos da, während Gregor sie musterte. Sie hätte sich am liebsten abgewandt, zwang sich jedoch, es zu ertragen. Es war wichtig, keine Schwäche zu zeigen. Gregor betrachtete sie mehrmals von Kopf bis Fuß, leckte sich die Lippen und lachte rauchig. Einmal streckte er die Hand aus, als wollte er Evangeline anfassen, schreckte aber zurück, ehe er das Fesselfeld berührte. Er erwiderte Evangelines Blick und deutete auf das Höschen.
»Zieh das auch aus.«
»Mach es lieber selbst, Vater«, forderte sie ihn auf. »Wie du es früher getan hast.«
Gregor leckte sich erneut die fetten Lippen, die tiefliegenden Augen fest auf das weiße Höschen gerichtet, und trat einen Schritt weit vor. Evangeline senkte die Hand auf den Bund des Höschens. Gregor streckte seine Hand aus, bis sie ins Fesselfeld geriet. Evangelines Finger arbeiteten sich unter das Höschen vor. Gregor überschritt die Grenze des Fesselfeldes. Seine Bewegungen wurden langsamer. Und Evangeline packte den Griff des Messers, das sie in der Vagina versteckt hatte, und zog es hervor. Sie drückte den Knopf am Griff, mit dem sie die Monofaserklinge prasselnd zum Leben erweckte. Das Energiefeld, das die nur moleküldicke Klinge stützte, geriet mit dem schwächeren Fesselfeld in Kontakt und schloß es kurz.
Alle Bewegungsabläufe stürzten in ihren normalen Rhythmus zurück. Evangeline stieß das leuchtende Messer vor und schlitzte Gregors rechte Gesichtshälfte vom Kinn bis zur Stirn auf. Das rechte Auge spritzte in einem Nebel aus Blut und anderen Flüssigkeiten hervor. Gregor heulte wie ein Tier, kippte rückwärts und drückte sich dabei die Hände ans Gesicht. Evangeline setzte nach, packte ihn an den fetten Schultern, hielt ihm das glühende Messer an den Hals. Gregor erstarrte. Evangeline beugte sich schwer atmend über ihn.
Finlay war es, der ihr die Monofaserklinge verschafft hatte, ohne Fragen zu stellen. Ihm kam es völlig normal vor, wenn sich jemand eine so praktische Waffe wünschte. Besonders heute, wo sie offiziell verboten war.
Gregor wimmerte vor Schmerz und Schock, während ihm Blut übers Gesicht lief und die Kleidung durchnäßte. Evangeline lächelte gefährlich. »Bleib genau so, Gregor. Wenn du auch nur versuchst, aufzustehen oder um Hilfe zu rufen, schneide ich dir die Eingeweide heraus.«
Sie ließ los und wich vorsichtig zurück, bereit, ihn zu töten, falls sie mußte, aber aller Kampfgeist hatte ihn verlassen.
Evangeline zog eine der Decken vom Bett und wickelte die Krüge mit Penny und Wax hinein, ehe sie sich den improvisierten Sack über die Schulter hängte. Sie hörte, wie die beiden Gläser aneinanderklirrten, und hoffte, daß die Glaswände massiver waren, als sie aussahen. Jetzt, wo die beiden Köpfe von den Lautsprechern abgekoppelt waren, konnten sie ihr nicht sagen, was mit ihnen passierte. Rasch näherte Evangeline sich wieder Gregor, und er schreckte vor dem Messer zurück, das in ihrer Hand summte. Sie packte ihn an einer Schulter, wobei ihre Finger tief ins dicke Fleisch sanken, und setzte ihm das Messer wieder an den Hals.
»In Ordnung, Gregor, wir gehen jetzt. Wir alle. Steh auf.
Steh auf, oder ich schwöre, daß ich dich gleich hier umbringe.«
Gregor hörte die eiserne Härte aus ihrem Tonfall heraus und wußte, daß sie es ernst meinte. Er wuchtete seine Körpermasse auf die Beine und ging dabei sehr vorsichtig zu Werke, um nicht mal sachte an die flackernde Monofaserklinge zu stoßen.
Evangeline wies ihn an, sich in Bewegung zu setzen, und sie näherten sich langsam der Tür, die den einzigen Ausweg aus Gregors privater kleiner Folterkammer bot. Sie öffnete sich auf Gregors Befehl hin, und einen Augenblick später waren sie draußen auf dem Flur.
Der Wachtposten vor der Tür war völlig überrascht, drehte sich heftig um und traf Anstalten, die Schußwaffe in Anschlag zu bringen. Evangeline gab Gregor zu verstehen, daß er ihm den Befehl geben sollte, die Waffe niederzulegen und zurückzuweichen. Der Wachmann leistete dem Befehl widerstrebend Folge und gab seinen Kameraden auf dem Korridor den Befehl, die Waffen zu senken und jeweils an Ort und Stelle stehenzubleiben. Gregor und Evangeline bewegten sich langsam durch den Flur und näherten sich dabei dem Fahrstuhl. Gregor war bereits außer Atem, ermüdet von der Last, sein eigenes großes Gewicht zu schleppen, aber die Angst vor Evangeline hielt ihn auf Trab.
Sie trafen vor der Fahrstuhltür ein, und Gregor drückte die Ruftaste. Evangeline atmete inzwischen selbst schwer. Sie bedachte die Wachleute, die ihnen zusahen, rasch mit finsteren Blicken. Ob Wachleute oder Käfer oder Dämonen, sie konnten sie jetzt nicht mehr aufhalten, solange sie die Nerven behielt.
Es schien ewig zu dauern, bis der Fahrstuhl eintraf, aber endlich ging die Tür auf, und Evangeline zerrte Gregor rückwärts mit hinein, ohne die Wachen aus den Augen zu lassen. Sie verschwanden hinter der sich schließenden Tür, und Evangeline hieb so heftig auf die Taste für die Eingangshalle, daß sie sie fast zerstörte. Die Fahrt hinunter schien Jahrhunderte zu dauern. Gregor versuchte erneut, mit Evangeline zu reden, aber sie brachte ihn zum Schweigen, indem sie ihm die Klinge etwas enger an den Hals hielt. Als der Fahrstuhl endlich im Foyer eintraf, lief das Blut aus mehreren Schnitten an Gregors Hals.