Und doch – trotz all seiner Erfolge im Dienst der Rebellion war er letzten Endes nicht dabeigewesen. Hatte es nicht rechtzeitig geschafft, mit in die Hölle vorzustoßen, in die Löwenstein ihren Hof verwandelt hatte, hatte nicht mitverfolgen können, wie die Eiserne Hexe vom Thron gezerrt und vor aller Welt gedemütigt wurde. Er sah sich später die Holoaufzeichnung an, aber das war nicht dasselbe. Er hätte dabei sein sollen.
Er hatte sich gewünscht, daß sie sein Gesicht sah und wußte: Er hatte mitgeholfen, sie zu stürzen. Für dieses Recht hatte er eigentlich bezahlt gehabt, bezahlt durch Blut und Leid und den Verlust von Freunden.
Soviel Bitterkeit in einem kurzen Leben! Je mehr Julian darüber nachdachte, desto mehr schien es ihm, als wäre er nur zweimal im Leben wirklich glücklich gewesen: In den Jahren, die er zusammen mit seinem geliebten älteren Bruder Auric verbrachte, und in den Monaten in Gesellschaft der Frau, die sie beide liebten, SB Chojiro.
Auric ging später fort, verließ ihn. Auric forderte den Maskierten Gladiator in der Arena zum Kampf und hoffte dabei, daß er den Clan Chojiro genügend beeindruckte, um die liebreizende SB heiraten zu dürfen. Er rechnete nicht damit, das Duell zu gewinnen, dachte sich jedoch, wenn er nur einen ordentlichen Kampf lieferte, würden die Zuschauer ihn mit aufgerichteten Daumen ehren. Die Menge freute sich immer über einen tapferen Außenseiter. Der Maskierte Gladiator brachte ihn jedoch trotzdem um.
Julian hatte SB aufgesucht, um sie zu trösten, und sie weinte in seinen Armen, und er weinte ebenfalls. Es dauerte nicht lange, da verliebten sie sich ineinander, und er war eine Zeitlang so glücklich!
SB Chojiro war das einzig unerledigte Geschäft seines Lebens. Er wußte immer noch nicht so recht, welche Gefühle er für sie hegte. Ein Teil von ihm sehnte sich so danach, sie zu töten, daß er es regelrecht auf der Zunge schmeckte. Sie sollte leiden, wie er gelitten hatte. In der Offenheit seiner jungen Liebe hatte er ihr von seiner Rolle in der Rebellion berichtet, und sie lieferte ihn den Folterknechten aus, ohne es sich zweimal zu überlegen – denn schließlich gehörte sie zum Schwarzen Block.
Er überlegte, sie ein letztes Mal zu besuchen. Ihrer unbewältigten Beziehung auf die eine oder andere Art ein Ende zu machen. Es würde nicht leicht sein, eine Audienz bei einer so populären und vielbeschäftigten Person zu erhalten, aber er war ziemlich sicher, daß er eine Chance hatte. SB war sehr wichtig geworden, aber Julian selbst war auch nicht gerade eine Persönlichkeit von geringer Bedeutung. Seine Holoserie hatte ihn zu einem der besser bekannten Helden der Rebellion gemacht.
Das Publikum liebte ihn, oder zumindest die Version von ihm, die es wöchentlich in der Serie gezeigt bekam. Er hatte sogar einen eigenen Fanclub. So viele Briefe trafen ein und so viele Bitten um Fotos, daß er eine Sekretärin hatte einstellen müssen, die sich darum kümmerte. Vor ein paar Wochen allerdings hatte er sie ziehen lassen. Die Nachfrage nach Bildern war zurückgegangen, als sich seine körperliche Verfassung verschlechterte und die Briefe allmählich ausblieben.
Niemand wußte jedoch, wie krank er wirklich war. Weiterhin erhielt er Einladungen zu diversen gesellschaftlichen und politischen Anlässen. Eine Menge Clans hatten festgestellt, daß sie großzügig genug sein konnten, um über den geringen Rang seines Hauses hinwegzusehen, vor lauter Eifer, ihn mit einer ihrer noch ungebundenen Töchter zu verheiraten. Ein Rebellenheld wie Julian Skye wäre ein ausgezeichneter Sprecher für jeden Clan, der entschlossen war, in der neuen Ordnung zu einer ernstzunehmenden politischen Kraft zu werden. Viele hatten eine Charme-Offensive eingeleitet und präsentierten ihm jedesmal, wenn er sich in der Öffentlichkeit zeigte, hübsche Gesichter, ja schubsten sie regelrecht auf ihn zu. Julian hatte es sich gefallen lassen. Er tanzte so gern, und es schmeichelte seinem Ego, jedesmal ein hübsches Mädchen am Arm zu haben, wenn er in den Nachrichten und den Boulevardmagazinen zu sehen war. Ein kleiner kindischer Teil von ihm hoffte, daß SB zusah.
Der Clan Chojiro allerdings hatte ihm nie nachgestellt. SB hielt nichts vom Betteln. Wahrscheinlich wartete sie immer noch darauf, daß er zu ihr kam.
Julian richtete sich kerzengerade in seinem Sessel auf und tätigte einen Anruf beim Clan Chojiro. Rasch tauchte auf dem Wandmonitor ein ernstes, kaltes Gesicht auf, das Julian als zum gegenwärtigen Oberhaupt des Chojiro-Sicherheitsdienstes gehörig erkannte. Wahrscheinlich genoß Julians Name besondere Aufmerksamkeit. Er zeigte dem Sicherheitsmann das Beste, was er an einschüchterndem Lächeln draufhatte, stellte sich offiziell vor und bat um ein Gespräch mit SB. Der Sicherheitschef erwiderte das Lächeln und sagte, er würde sehen, was er tun könne. Sein Gesicht verschwand vom Bildschirm und wich dem beruhigenden Anblick eines Bächleins, das durch einen Wald floß, begleitet von sanfter, klimpernder Musik. Julian runzelte die Stirn. Er haßte es, wenn man ihn warten ließ. Das letzte Mal, als es zu lange gedauert hatte, zog er sämtliche Kleider aus und wedelte damit herum, als die andere Seite sich wieder meldete. Die Kirche würde diesen Fehler nicht wiederholen. Der Bildschirm sprang um und zeigte ein vertrautes Gesicht.
Julian zog eine Braue hoch. »Kardinal Brendan! Ich denke nicht, daß Ihr schon eingeräumt habt, heutzutage Kontakte zum Schwarzen Block zu unterhalten.«
»Offiziell tue ich es nicht, aber Ihr seid ein besonderer Fall.
Schön, Euch wiederzusehen, Julian. Ihr seht sehr gut aus.«
»Vielleicht sollte ich Euch die Adresse meines Optikers nennen. Schmeichelt mir nicht, Kardinal! Ich weiß, wie ich aussehe. Und nun: Warum rede ich mit Euch und nicht mit SB?«
»Ich fürchte, sie möchte zur Zeit nicht mit Euch sprechen, Julian. Ihr müßt das verstehen; Ihr und SB habt Euch unter sehr unglücklichen Umständen getrennt, und sie hegt die völlig berechtigte Befürchtung, Ihr könntet ihr nach wie vor Übles wünschen.«
»Na, warum sollte sie sich so etwas denken?« fragte Julian freundlich. »Nur weil sie mich verraten und den sanften Händen der imperialen Folterknechte ausgeliefert hat?«
»Damals herrschten andere Umstände«, gab Brendan zu bedenken. »Ich bin sicher, wir haben alle damals Dinge getan, die wir inzwischen bereuen. Die neue Ordnung bietet uns allen die Möglichkeit, neu anzufangen.«
»Spart Euch die hübschen Reden«, konterte Julian. »Ihr wart damals ein schleimiger Widerling und seid es noch heute, und wenn Ihr sterbt, wird man Euch nicht begraben müssen, sondern kann Euch einfach in den nächsten Abfluß schütten und Euch damit zu all der übrigen Scheiße hinzugießen. SB hat Euch eine Nachricht für mich anvertraut. Hört auf damit, Euch wichtig zu machen, und übermittelt sie mir.«
»Wie Ihr wünscht«, reagierte Kardinal Brendan völlig ungerührt. »SB hat mich gebeten, Euch zu sagen, daß sie nach wie vor warme Gefühle für Euch hegt, aber daß Ihr sie nur dann wiedersehen dürft, wenn Ihr beweist, daß Eure Gefühle ebenso aufrichtig sind.«
»Und wie schlagt Ihr vor, soll ich das tun? Mit einem Blumenstrauß, einer Schachtel Pralinen, der Leiche eines Feindes?
Gebt mir ein Stichwort, Kardinal; ich bin in großzügiger Stimmung.«
»Ihr müßt Eure guten Absichten beweisen, indem Ihr ihr den größten Feind der Chojiros hilflos gefesselt übergebt.«
»Ich dachte immer, das wäre ich, aber Frauen können so wankelmütig sein. Welches arme Schwein schwebt ihr vor?«
»Finlay Feldglöck.«
Julian starrte den Monitor lange an. »Ihr möchtet den Feldglöck?«
»Euren Freund, ja. Euren standhaftesten Bundesgenossen in der Rebellion. Wie könntet Ihr SB besser Eure Hingabe zeigen?«
»Sollte ich je erfahren, daß das Eure Idee war…«
»Ich bin nur der Übermittler, Julian. Aber selbst ein gescheiterter Schmierenkomödiant wie Ihr müßte eigentlich wissen, daß nichts wirklich Wertvolles zu haben ist, ohne dafür zu bezahlen. Wieviel ist Euch SBs Liebe wert? Und der Feldglöck war in jüngster Zeit auch kein großer Freund von Euch. Wie lange dauert es noch, bis er sich gegen Euch wendet wie gegen so viele seiner alten Bundesgenossen? Er ist kein glücklicher Mensch. Macht seinem und Eurern Elend ein Ende. Und beweist gleichzeitig, was Ihr wert seid.«