»Verrat«, sagte Julian Skye. »Ist das alles, worauf Ihr Chojiros Euch versteht?«
»Was für ein hartes Wort! Sagen wir doch lieber, daß der Clan Chojiro jemanden bewundert, der stark genug ist, um nach eigenen Regeln zu leben. Und der weiß, welches seine wirklichen Freunde sind. Darf ich SB also darüber informieren, daß sie bald ein Paket zu erwarten hat?«
»Ich denke darüber nach«, antwortete Julian und trennte die Verbindung.
Flynn betrat Toby Shrecks Büro im Hautquartier der Imperialen Nachrichten und sah sich geringschätzig um, während er die Tür mit der Ferse hinter sich zudrückte. Er trug die übliche Arbeitskleidung, hatte sich aber nicht verkneifen können, eine Spur Wimperntusche und Rouge aufzutragen. Er schniefte laut und fixierte Toby mit einem vernichtenden Blick. »Du hast das Büro wieder mal umdekoriert, wie ich sehe. Mir gefällt es immer noch nicht. Wirklich, Toby, all diese Hochtechnologie und polierten Oberflächen passen nicht zu dir! Was hier fehlt, ist ein weiblicher Touch. Bevor die Stilpolizei auftaucht und hier im Interesse der geistigen Gesundheit eine Brandbombe hineinwirft. Was dieses Büro braucht, sind freundliche Pastelltöne und große Blumensträuße überall. Blumen bereichern einen Raum.«
»Oh, gut«, versetzte Toby, der über die Papiere auf seinem Schreibtisch gebeugt saß. »Ich bin mit meiner Arbeit im Rückstand, die Gewerkschaften machen erneut Schwierigkeiten, und jetzt bist auch du aufgetaucht, um mich zu ärgern. Und wage ja nicht, irgendwelche Blumen hereinzubringen! Ich kann nicht gut mit Pflanzen umgehen, Flynn. Das weißt du. Ich muß nur an einer Blume vorbeigehen, und sie stirbt sofort an Vernachlässigung, aus reiner Bosheit mir gegenüber. Mir gefällt mein Büro so, wie es ist, vielen Dank auch. Obendrein bist du kaum in einer Position, um mit Steinen zu werfen. Falls ich dich hier losließe, würdest du die Wände mit Holobildern von Kindern mit großen Augen tapezieren und unter jedem Gegenstand ein Spitzendeckchen ausbreiten.«
»Und was stimmt nicht mit Spitzendeckchen?« erkundigte sich Flynn frostig. »Ein paar hübsche Spitzen vollbringen Wunder, um ein Zimmer fröhlicher zu gestalten.«
»Was tust du hier, Flynn?« fragte Toby geduldig. »Der Tag ist vorbei. Die Arbeit ist erledigt. Geh nach Hause und ärgere jemand anderen.«
»Das tue ich, sobald du mit gutem Beispiel vorangehst, Toby.
Ich dachte, du freust dich vielleicht, wenn ich dich mitnehme.«
»Danke, aber ich muß erst noch durch eine halbe Tonne Papierkram waten. Du glaubst ja nicht, was alles auf diesem Schreibtisch landet. Ich schwöre, daß es Leute in diesem Haus gibt, die nach einem Vindaloo-Curry nicht aufs Klo gehen können, ehe ich nicht vorher das entsprechende Formular unterzeichnet habe. In dreifacher Ausfertigung. Ah, verdammt…
Möchtest du einen Schluck Tee, Flynn? Das gehört zu den wenigen Dingen, die hier richtig gemacht werden.«
»Dazu sage ich nicht nein.«
Toby drückte den Interkom-Schalter. »Fräulein Lovett, bitte eine Tasse Tee für Mr. Flynn.«
Flynn zog eine ausgezupfte Braue hoch. »Seit wann bist du so förmlich?«
Toby zuckte die Achseln. »Vom Boß wird das erwartet. Ich habe versucht, die Sache formlos und entspannt anzugehen, als ich hier einzog, aber die Leute haben sich dabei einfach nicht wohlgefühlt. Ich schätze, es ist schwierig, locker und spontan mit jemandem umzugehen, der einen mit einem Tritt in den Hintern feuern kann, nur weil er morgens mit Kopfschmerzen zur Arbeit gekommen ist.«
Die Tür ging auf, und eine junge Frau mit kaum irgendwelchen Kleidungsstücken und einem wahrhaft erstaunlichen Dekollete schwankte auf unmöglich hohen Absätzen herein. Sie lächelte Flynn breit an, zeigte dabei perfekte Zähne von blendendem Weiß und präsentierte ihm eine dampfende Tasse Tee.
»Danke, meine Liebe«, sagte Flynn liebenswürdig. »Wißt Ihr, ich finde Eure Ohrringe einfach toll! Ihr müßt mir verraten, woher Ihr sie habt.«
»Tauche nur mit sowas im Büro auf, und du bist gefeuert, Flyrun«, warf Toby ein. »Danke, Fräulein Lovett. Das wäre für den Moment alles.«
Die junge Dame kicherte aus keinem erkennbaren Grund, hievte ihr Dekollete Richtung Tür und schwankte hinaus. Flynn sah Toby an.
»Sie ist meine Sekretärin«, erklärte Toby abwehrend. »Sie nimmt Diktate auf.«
»Ja«, sagte Flynn, »da wette ich. Ich setze auch gutes Geld darauf, daß sich ihr IQ auf Zimmertemperatur bewegt und sie soviel Persönlichkeit hat wie ein Stück Schnur.«
»In Ordnung, sie ist eine Puppe, wie ich zugeben muß. Für die richtige Sekretärsarbeit habe ich jemand anderen. Fräulein Lovett ist eher so etwas wie… Bürodekoration. Etwas, womit ich die Gewerkschaftsbosse ablenken kann, wenn sie mit ihren aktuellen Gehaltsforderungen hereinspazieren. Das obere Management hat mir Fräulein Lovett zugewiesen. Sie dachten, ich würde dann länger im Büro arbeiten. Um die Wahrheit zu sagen, geht mir das Mädchen fürchterlich auf die Nerven. Ihre Stimme würde Schafe in die Flucht jagen; sie hat keinerlei Talente, über die man in feiner Gesellschaft diskutieren könnte, und bei ihrem Lachen lösen sich glatt die Tapeten von den Wänden. Ich brauchte zwei Wochen, um ihr beizubringen, wie man Tee kocht. Ich würde sie ja feuern, wenn es ihr nicht das Herz bräche.«
»Das Leben der Topleute ist wirklich hart«, meinte Flynn.
»Wohl gesprochen!« bekräftigte Toby. »Dabei möchte ich nur etwas Arbeit erledigen. Echte Arbeit. Ich kann nicht einfach den ganzen Tag herumsitzen, Flynn, die richtigen Kästchen abhaken und dort unterschreiben, wo es mir gesagt wird.
Das entspricht nicht meinem Naturell. Ich muß etwas Reelles anpacken. Etwas, worauf es ankommt. Ich hatte immer gedacht, mit der Autorität dieses Jobs könnte ich mich endlich um die Art wichtiger Stories kümmern, hinter denen ich schon immer her war. Aber so funktioniert es einfach nicht. Ich bin hier vielleicht der Boß, aber ich muß mich wiederum meinen Bossen gegenüber verantworten, den Leuten, denen die Imperialen Nachrichten gehören. Und sie würden mit Begeisterung auch Boulevardsendungen bringen, solange es ihre Gewinne nicht schmälerte. Jedesmal, wenn ich ein gutes Thema vorschlage, kommt von oben die Anweisung: Nur keine Wellen schlagen!
Sie sind gern Risiken eingegangen, als sie noch ein kleines Unternehmen waren und verzweifelt darauf erpicht, den großen Konkurrenten Quoten abzujagen. Jetzt sind sie selbst ein führendes Unternehmen und ganz nervös geworden, was meine Person angeht. Heutzutage haben sie etwas zu verlieren. Weißt du, Flynn… Eigentlich sollte ich glücklich sein. Ich habe es geschafft! Ich habe meinen Traumjob! Ich leite die Imperialen Nachrichten! Selbst meine Spesen stellt niemand mehr in Frage. Aber ich langweile mich, Flynn, langweile mich buchstäblich zu Tode.«
»Du kennst die Antwort, Chef. Wiederhole das, was du letztes Mal getan hast, als wir dieses Gespräch führten. Suche dir eine Story aus und gehe ihr persönlich nach. Geh hinaus ins Feld und sieh mal, wie eng am Wind du diesmal segeln kannst.
Ich stehe dir immer als Kameramann zur Verfügung. Für die Standardgebühren. Plus Gefahrenzulage.«
»Das würde ich ja gern, Flynn, aber… Ach verdammt! Zum Teufel mit ihnen allen. Falls ich noch länger in dieser Bude hocke, schlage ich Wurzeln. Ich kann meinen Stellvertreter immer mal eine Zeitlang ans Ruder lassen. Er ist nicht allzu clever und wird starr vor Angst, wenn ihn jemand anbrüllt, aber ich schwöre, daß er Papierkram tatsächlich liebt. Komm, Flynn. Legen wir mal den Gang ein. Wir müssen uns um eine Story kümmern.«