»Ich denke, es wird Zeit, daß Ihr geht«, erklärte Gutmann kategorisch. »Ich habe nichts weiter zu sagen. Und denkt ja nicht, daß Ihr irgendwelche Aufnahmen von diesem Gespräch senden könnt! Ich verfüge über verborgene Störeinrichtungen, die alle Aufnahmen verhindern.«
»Das denkt Ihr vielleicht«, warf Flynn ein. »Ich habe jedoch ein paar Modifikationen vorgenommen.«
Gutmann funkelte erst Flynn und dann Toby an. »Ich könnte meine Leute anweisen, diese Kamera zu zerstören.«
»Nein, könntet Ihr nicht. Das würde zu viele peinliche Fragen nach sich ziehen.« Toby lächelte Gutmann an. »Im Gegensatz zu Euch wird mir Glauben geschenkt.«
»Ich spreche mit Euren Vorgesetzten«, warnte ihn Gutmann.
»Ihr erhaltet dann von dort Anweisung, was Ihr bekanntmachen sollt.«
»Ich bin der Boß«, entgegnete Toby.
Gutmann lächelte kalt. »Eine meiner Investitionen habe ich in das Kommunikationswesen gesteckt. Mir gehören vierzig Prozent der Imperialen Nachrichten.«
Toby schenkte ihm seinerseits ein kaltes Lächeln. »Denkt Ihr vielleicht, das würde mich aufhalten? Es bleiben immer noch andere Unternehmen. Ich bin heutzutage ein heißer Tip. Alle möchten mich einstellen. Zeit zu gehen, Flynn. Macht Euch nicht die Mühe, den Lakaien zu rufen, Elias. Wir finden den Weg selbst.«
Sie entfernten sich etwas eilig, nur für den Fall, daß Gutmann zu dem Entschluß gelangte, ihm wäre sein öffentliches Image dieses eine Mal egal. Als Toby und Flynn wieder draußen auf der Straße in der kühlen Abendluft standen, musterten sie einander nachdenklich.
»Na ja«, sagte Flynn. »Das war interessant.«
»Jawohl«, pflichtete ihm Toby bei und rieb sich die Hände.
»Ich hatte dir ja gesagt, daß hier eine Story auf uns wartet! Ich wünschte nur, ich wüßte, worum zum Teufel es dabei geht. Wir müssen noch etwas mehr in Unterlagen und Archiven kramen.
Mal sehen, bei wem sich Elias jüngst eingeschmeichelt hat, von dem wir nichts erfahren sollen. Könnte sich als interessant erweisen, mal festzustellen, ob er mit irgend jemandem nicht spricht. Auch daraus erfahren wir vielleicht etwas… Eines ist allerdings komisch: Ich hatte erwartet, er würde uns einen härteren Kampf liefern. Und die Drohungen waren so… durchsichtig. Früher war er subtiler.« Toby bedachte Flynn mit einem scharfen Blick. »War diese Äußerung über deine Kamera ein Bluff? Haben wir irgendwas von diesem Gespräch aufgenommen?«
»Je nachdem«, antwortete Flynn. »Ich verbessere meine Kamera regelmäßig, aber die wirklich wichtigen Leute achten darauf, immer über die modernsten Sicherheitseinrichtungen zu verfügen. Ich weiß es erst mit Sicherheit, wenn ich wieder im Labor bin.«
»Nun, das wird warten müssen«, stellte Toby fest. »Wir müssen erst noch einen weiteren Besuch machen. Diesmal eine Familienangelegenheit. Es geht um meine liebe Tante Grace, die an Stelle des verabscheuten Gregor Clan-Oberhaupt ist. Sie leistet dabei einen sehr guten Job, nach allem, was man hört.
Was interessant ist, denn die Grace, die ich von früher kenne, hätte nicht mal Buh! zu einer Gans gesagt, die ihr auf die Schuhe scheißt. Sie war ein schüchternes, in sich gekehrtes Geschöpf, die gute Tante Grace, und sie lebte in ihren Erinnerungen an eine Zeit, als alles noch einfacher war. Gregor mußte sie durch Schikanen überreden, überhaupt bei Hofe zu erscheinen. In jüngster Zeit taucht die liebe Grace aber voller Energie im Rampenlicht auf und entwickelt sich zu einer bedeutenden Gestalt des gesellschaftlichen Lebens. Irgend etwas hat sie schließlich aufgeweckt, und ich möchte erfahren, was das war.«
»Aber… ist das nicht eine gute Veränderung?« fragte Flynn.
»Freut es dich nicht, daß sie aus ihrem Schneckenhaus gekommen ist?«
»Sie ist immer noch eine Shreck«, sagte Toby. »Und wir tun nie etwas ohne wenigstens einen einzelnen Hintergedanken.«
»Ach ja«, versetzte Flynn. »Und welches ist deiner bei diesem Besuch?«
Toby lächelte. »Meine Kusine Clarissa. Sie ist die ganze Zeit bei Grace geblieben, seit der Todtsteltzer sie aus der Knechtschaft als eine von Löwensteins Zofen befreit hat. Ein hübsches junges Ding und richtig süß. Ich dachte, ich sehe mal nach, wie es ihr so geht.«
»Du alter Weichling«, sagte Flynn. »Warte mal! Ich dachte, sie wäre deine Schwester?«
»Halb Schwester und halb Kusine«, antwortete Toby und zuckte gelassen die Achseln. »Wir sind nun mal eine Familie dieser Art.«
Es war nicht weit bis zu Grace Shrecks Stadthaus; sie wohnte in derselben mondänen Gegend wie Gutmann. Private Sicherheitssysteme überwachten die Straßen und behielten jeden im elektronischen Blick, der den Eindruck erweckte, er würde hier nicht hingehören. Flynn allein wäre sofort angehalten worden, aber alle Welt kannte Toby Shreck. Das Shreck-Stadthaus gehörte der Familie seit Generationen und sah auch danach aus.
Die alten Steinmauern waren durch Alter und Umweltverschmutzung verblaßt, und die einst tadellosen Gärten hatte man verwildern lassen. Über die Fassade des Hauses rankten sich dicke Matten alten Efeus, die niemand antastete, teils aus einem Gefühl für Tradition, teils aus Argwohn, er könnte das einzige sein, was manches von dem Mauerwerk intakt hielt.
Die Fenster waren nur in einer Richtung durchsichtig und wandten der Außenwelt leere, gleichgültige Augen zu. Und Toby wußte genau, daß versteckte Geschütze überall montiert waren, um ungebetene Gäste abzuschrecken. Schließlich war dies ein Anwesen der Shrecks.
Früher war das Anwesen Heim und Zuflucht der meisten Shrecks gewesen, aber mit der Errichtung der Pastelltürme sank es auf den Rang eines bloßen Stadthauses hinab, wo Familienmitglieder, die in Ungnade gefallen waren, ein Weilchen bleiben konnten. Jetzt diente das große Herrenhaus mit seinen vier Flügeln allein Grace als Heim, wobei ihr eine kleine Armee von Dienern Gesellschaft leistete. Grace hielt viel davon, den Anschein zu wahren.
»Die meisten Zimmer stehen heute leer«, erklärte Toby Flynn, während sie mehr oder weniger geduldig vor dem Hauptsalon warteten. Der Butler war gerade hineingegangen, um sie anzukündigen, und ließ sich offensichtlich Zeit. Toby hätte gar nicht gedacht, daß so viel anzukündigen war. Hier konnte er jedoch nicht einfach hereinplatzen wie bei Gutmann.
Das hier war seine Familie. »Eigentlich eine Verschwendung.
Wenn man die Gegend bedenkt, könnten wir das Anwesen für ein ordentliches Sümmchen verkaufen. Grace gibt es allerdings nicht her, solange sie lebt. Es ist ihr Zuhause.«
»Und es ist wirklich eindrucksvoll«, fand Flynn. »Hätte ich gewußt, daß wir etwas so Piekfeines besuchen, wäre ich mal kurz nach Hause, um mir das beste Kleid und echte Diamanten anzulegen. Ein Mädchen macht schließlich gern den allerbesten Eindruck.«
»Das solltest du vor Grace nicht mal andeuten«, sagte Toby entschieden. »Sie ist ein bißchen altmodisch und leicht zu schockieren. Um irgendwas von ihr zu erfahren, brauche ich sie entspannt und locker.«
»Das ist ein wenig kaltblütig, oder? Ich meine, sie ist deine Tante!«
Toby lächelte. »Aber wir beide sind Shrecks. Werde da drin bloß nicht unvorsichtig, Flynn! Sie könnte dich in Stücke reißen, wenn ihr der Sinn danach steht.«
Der Butter, der einen förmlichen Gehrock und eine gepuderte Perücke trug, tauchte endlich wieder auf, um sie in den Hautsalon zu geleiten. Der Raum war groß genug, um die Pinasse eines Raumschiffs aufzunehmen, und war randvoll mit antiken Möbeln und unbezahlbaren Kunstwerken, wie man sie normalerweise nur in Museen gezeigt bekam. Riesige Familienportraits hingen an den Wänden, Generationen von Shrecks, aufgemacht in den unterschiedlichsten Stilrichtungen, aber alle mit den gleichen finsteren Gesichtern und kalten Augen.