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Gutmanns Bleibe wirkte daneben eindeutig rustikal.

»Mann!« sagte Flynn schließlich. »Wie die obersten Zehntausend wohnen! Ich wußte ja nie, daß deine Familie so reich ist, Boß.«

»Sind wir gar nicht«, sagte Toby. »Wir waren es früher. Einzelne Stücke hier könnten die Familien schulden eines ganzen Jahrzehnts ausgleichen, aber Grace ist nicht bereit, sich auch nur von einem zu trennen. Solange sie in der Lage ist, sich weiterhin mit all diesem Zeug zu umgeben, kann sie sich auch einreden, der Clan Shreck wäre noch der gleiche wie früher und nichts hätte sich wirklich verändert.«

»Immerhin«, sagte Flynn, »ich wette, es ist mörderisch, in diesem Raum Staub zu wischen. Das machen sie wohl in Schichten.«

Und dann wurden sie endlich Grace Shreck vorgeführt. Toby und Flynn verneigten sich formell. Grace senkte königlich das Haupt. Sie saß in der Tiefe eines riesigen und sehr bequem wirkenden Sessels, der genau den richtigen Abstand vom prasselnden Feuer in dem großen Kamin hatte. Der Butler gab zwei bereitstehenden Dienern, ebenfalls in Gehrock und gepuderter Perücke, einen Wink, und sie eilten mit zwei antiken Stühlen herbei und stellten sie in genau der richtigen Entfernung von Grace auf, so daß Toby und Flynn ihr gegenüber Platz nehmen konnten. Sie setzten sich vorsichtig auf die zierlich wirkenden Stühle, die noch unbequemer waren, als sie schon aussahen.

Grace lächelte ihre Besucher an und gab dem Butler einen Wink, ohne sich umzudrehen. Er und die beiden Diener verließen den Raum und gingen die ganze Strecke rückwärts. Grace wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, und schniefte abschätzig.

»Diener… es ist heutzutage so schwierig, gutes Personal zu finden. Man muß so vorsichtig sein, was man in ihrer Gegenwart sagt! In meiner Jugend hätte es kein Familiendiener gewagt, ein Geheimnis oder überhaupt etwas über die Belange des Dienstherrn auszuplaudern, was er womöglich mitgehört hat, aber heute hat keiner mehr ein Gefühl für Loyalität. Alle lauschen ständig nach Klatsch, den sie an die Medien für ihre Skandalsendungen verhökern können. Egal, ob es nun stimmt oder nicht, solange es nur eine gute Story abgibt – so lautet ihre Einstellung. Ich hoffe wirklich, daß Eure Kamera da nicht läuft, junger Mann! Ich nehme meine Privatsphäre sehr ernst.«

»Wir nehmen nichts ohne deine Einwilligung auf, Tantchen«, erklärte Toby rasch.

Grace schniefte erneut. »Du nennst mich nur Tantchen, wenn du etwas von mir willst, Tobias. Was ist es diesmal? Wieder ein Darlehen?«

»Diesmal nicht, Tantchen, danke sehr. Wie es der Zufall wollte, habe ich in der Gegend gerade ein anderes Haus besucht und dachte mir, da könnte ich auch gleich bei dir hereinschneien und mal sehen, wie es dir geht. Und Clarissa.«

»Oh, daher weht also der Wind, wie? Dachte ich mir doch, daß ich bei ihrem Anblick ein Funkeln in deinen Augen sah, als du dich das letzte Mal herabgelassen hast, mich zu besuchen.

Ihr geht es sehr gut, Tobias. Was das arme Dinge ertragen mußte, hätte eine schwächere Person zerbrochen, aber natürlich hat Clarissa gutes altes Shreck-Eisen in den Knochen. Sie schafft das schon. Ich schicke gleich nach ihr. So, mein Neffe, du kannst mir jetzt einen Kuß auf die Wange geben und endlich zum wirklichen Zweck deines Besuchs kommen. Du kannst mich nicht täuschen, Tobias! Du bist nicht zu so später Stunde erschienen, nur um zu fragen, wie es mir geht, und um Clarissa schöne Augen zu machen.«

Toby grinste, stand auf, um Grace einen züchtigen Kuß auf die gepuderte Wange zu geben, und setzte sich wieder. »Du durchschaust mich immer, Tantchen. Ich brauche deine Hilfe für eine Reportage, an der ich gerade arbeite und die davon handelt, wie sich die Familien in der neuen Ordnung umorganisieren. Und eins muß man sagen: Du hast das Ansehen des Clans stark verändert, seit du die Leitung übernommen hast.«

Grace machte ein finsteres Gesicht. »Nicht, daß ich in dieser Frage eine Wahl gehabt hätte. Gregor war schon seit Jahren verrückt, aber solange er das Prestige der Familie wahrte, wollte niemand etwas hören, was gegen ihn gerichtet gewesen wäre. Als er schließlich ganz durchtickte und sich in seinem Turm verbarrikadierte, war klar geworden, daß jemand ihn als Oberhaupt ablösen mußte, ehe der Clan auseinanderfiel. Du warst nicht interessiert, und die übrigen höherrangigen Familienmitglieder waren zu sehr in Intrigen gegeneinander verwickelt, so daß die Bürde mir zufiel. Die einzige Senior-Shreck, die jeder akzeptieren konnte. Es war nicht leicht, aber ich denke gern, daß ich etwas bewirkt habe.«

»Das hast du ganz sicherlich, Tantchen«, sagte Toby vorsichtig. »Unter deiner Leitung sind die Shrecks in großem Stil wieder in die Politik eingestiegen. Ich wußte ja gar nicht, daß du dich mit aktueller Politik so gut auskennst.«

»Ich habe nun einmal einen Monitor, junger Mann, und ich sehe mir durchaus andere Sachen an als diese schrecklichen, niemals endenden Seifenopern. Und ich habe Ratgeber. Viele Ratgeber. Möchte einer von euch eine Tasse Tee?«

»Das wäre sehr schön, Lady Shreck«, antwortete Flynn.

Grace bedachte ihn mit einem beifälligen Blick. »Ich freue mich, daß manche jungen Leute immer noch gute Manieren zeigen. Im Gegensatz zu anderen, deren Namen ich nennen könnte, was ich aber nicht tue. Möchtest du auch Tee, Toby?«

»Eigentlich könnte ich etwas vertragen, was ein klein wenig stärker…«

»Du nimmst Tee.«

»Ich nehme Tee.«

Grace läutete, indem sie an einer handlichen Schnur zog.

»Sie werden eine Zeitlang brauchen, fürchte ich. Mit einer guten Tasse Tee darf man es nicht überstürzen, obwohl der Himmel weiß, daß mein Personal es versuchen würde, falls ich es duldete. Sie erzählen mir in einem fort von diesem Fertigzeug-Unsinn, als ob ich mich dafür interessieren würde. Manche Sachen muß man einfach richtig machen, und mehr ist dazu nicht zu sagen.«

»Wohnt Ihr schon lange hier, Lady Shreck?« erkundigte sich Flynn. »Ihr scheint Euch hier sehr wohl zu fühlen.«

»Oh, ich wohne schon hier, seit ich ein junges Mädchen war, vor mehr Jahren, als ich Interesse habe, mich zu erinnern. Mein Bruder Christian und seine Familie haben mir eine Zeitlang Gesellschaft geleistet, und wir hatten eine solch fröhliche Zeit zusammen. Bis er verschwand.« Grace runzelte die Stirn. »Ich bin seit eh und je überzeugt, daß Gregor dabei die Finger im Spiel hatte, konnte ihm aber nie etwas nachweisen. Und ich mußte schließlich an den Namen der Familie denken. Ein Skandal hätte uns ruinieren können.«

»Du hast nie erlaubt, daß überhaupt jemand das Thema auch nur zur Sprache brachte!« warf Toby scharf ein.

»Ich war besorgt, daß jemand, der zuviel Interesse an Christians Schicksal zeigte, es womöglich würde teilen müssen«, sagte Grace nicht weniger scharf. »Christian und Gregor haben sich nie verstanden. Das ist kein Geheimnis. Eines Tages haben sie sich heftig gestritten, genau hier in diesem Zimmer. Christian stürmte hinaus und ward nie mehr gesehen. Frage mich nicht nach weiteren Einzelheiten, Tobias, weil ich keine kenne.

Ich war zu dem Zeitpunkt nicht mal im Haus. Deine Mutter Helga hat nach Christian gesucht und ist ebenfalls nie wieder aufgetaucht. Nie wurde eine Spur von einem der beiden gefunden. Manchmal liebe ich es, der Vorstellung nachzuhängen, daß sich die beiden gefunden und entschieden haben, versteckt und in Sicherheit zu bleiben. Ich stelle mir gern vor, daß sie irgendwo glücklich leben, sicher und unentdeckt.«

»Warum haben sie sich dann nie bei mir gemeldet?« wollte Toby wissen.

»Gregor ließ dich ständig überwachen«, erklärte Grace sanft.

»Du warst der Köder. Ich habe dafür gesorgt, dich in meiner Nähe zu haben, habe dich beschützt, so gut ich konnte, bis ich schließlich einen sicheren Platz auf einem Internat für dich fand.«

»Vielleicht sollte ich Gregor fragen, was passiert ist«, überlegte Toby. »Ihn möglichst allein erwischen und sehr nachdrücklich befragen.«